25.11.2024: Die Warschauer Erklärung zwischen sechs europäischen Staaten, darunter Deutschland, machte die Ausrichtung offiziell, die die neue EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen (CDU) verfolgen wird: Das Militär hochrüsten und die Rüstungskonzerne reicher machen.
Die Sozialausgaben werden gekürzt, nur die Militärausgaben werden erhöht. Unter diesem Blickwinkel sind die beiden Treffen in Warschau und Brüssel am 19. November zu sehen.
In der polnischen Hauptstadt sprachen sich die Außenminister:innen von fünf Ländern der Europäischen Union (Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Spanien) und das Vereinigte Königreich zum ersten Mal offiziell für europäische Anleihen zur Finanzierung der Rüstungsindustrie und zur Stärkung der europäischen Beteiligung am derzeitigen Wettrüsten aus. An dem Treffen nahm auch Kaja Kallas, die zukünftigen EU-Chefdiplomatin teil. [1]
Baerbock: Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht mehr ausreichend
Bundesaußenministerin Baerbock betonte vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten. Es gehe darum, welche Signale an Diktatoren in der Welt gesendet würden. Hier müsse Stärke demonstriert werden, so die Grünenpolitikerin. Dazu gehöre, dass künftig mehr als die von den NATO-Staaten vereinbarten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert werden sollten. Baerbock sagte der Ukraine zu, dass Deutschland seine Unterstützung ausweite durch Lieferungen mit Panzern, Munition und Gerät zur Luftabwehr.
Gemeinsame EU-Schulden für Aufrüstung
An dem Gipfel nahm auch der stellvertretende Ministerpräsident und Außenminister Antonio Tajani teil, der den alten italienischen Vorschlag der "Eurobonds" wieder aufgriff. Ursprünglich zur Finanzierung des europäischen Haushalts zur Krisenbekämpfung mit Hilfe von staatlichen Beiträgen auf dem Kapitalmarkt gedacht, dient der Vorschlag heute ausschließlich der "Ertüchtigung" der Kriegswirtschaft.
Die italienische Regierung hat ihre Forderung erneuert, die Militärausgaben von den strengen Parametern des neuen EU-Stabilitätspakts zu trennen, der schwindelerregende Kürzungen bei den Sozialausgaben erzwingt, aber auch die Militärausgaben blockiert. Dieses Problem betrifft vor allem hoch defizitäre und hoch verschuldete Länder wie Italien. Die "Ausnahmeregelung" würde es der Regierung Meloni ermöglichen, 2 Prozent des BIP für "Verteidigung" auszugeben. Aber selbst das wird nicht ausreichen, denn die NATO verlangt bereits viel mehr.
Im Juni hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärt, dass die EU in den nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Euro in die Stärkung der Verteidigung investieren sollte. Die Schaffung von europäischen Verteidigungsanleihen gehört zu den Optionen, die von der EU in Betracht gezogen werden, um die Mittel für den EU-Rüstungssektor aufzubringen.
"Zum ersten Mal haben hier in Warschau die fünf größten Länder der Europäischen Union europäische Verteidigungspflichten befürwortet“, sagte der polnische Außenminister Sikorski.
"Heute haben wir eine Strategie entworfen. Es ist die Strategie zur Unterstützung der europäischen Verteidigung durch Eurobonds […] Wir müssen vorwärtsgehen", erklärte der italienische Außenminister Tajani.
Die anderen europäischen Partner haben es vermieden, von "Eurobonds" zu sprechen, weil dies die Schaffung einer gemeinsamen Verschuldung impliziert, die nur wenige wollen, selbst für Waffen. Sie sprechen lieber von "innovativen Finanzierungsmöglichkeiten".
NATO will mehr Geld von der EU
Die Warschauer Erklärung ist auch vor dem Hintergrund dessen zu verstehen, was zur gleichen Zeit in Brüssel auf dem Europäischen Rat der Verteidigungsminister gemeinsam mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte gesagt wurde.
Der neue NATO-Generalsekretär Rutte, von Trump als "Freund" bezeichnet, bekräftigte die Notwendigkeit, dass der nächste Präsident der USA, Donald Trump, deutlich mehr als zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Waffen ausgeben muss: „Um sicherzustellen, dass die Abschreckung nicht nur für heute, sondern langfristig ist, um sicherzustellen, dass wir uns verteidigen können“, sagte er.
Europa habe seine Investitionen in die eigene Sicherheit bereits erhöht und sei auf dem richtigen Weg, erklärte der deutsche Verteidigungsminister Pistorius (SPD). Doch das reiche noch nicht aus, unterstrich er in Brüssel.
Die Ukraine könne auch weiterhin auf die Unterstützung durch die Europäische Union vertrauen, versicherte Pistorius. Eine Million Schuss Artilleriemunition, die die Europäische Union zugesagt hatte, sei inzwischen fast komplett in der Ukraine angekommen. „Der Effekt ist messbar, die Ukraine hat bei der Feuerkraft deutlich aufgeholt gegenüber den Russen“, so Pistorius. Deutschland hatte mehr als ein Drittel der Beschaffungskosten für diese Munition getragen.
Mit Blick auf den Ausgang der US-Wahlen betonte der neue NATO-Generalsekretär Rutte, von Trump als "Freund" bezeichnet, dass Europa mehr für die eigene Sicherheit tun müsse. "Um sicherzustellen, dass die Abschreckung nicht nur für heute, sondern langfristig ist, um sicherzustellen, dass wir uns verteidigen können", sagte er.
Diese Forderung der Militärs, der Rüstungsindustrie und ihrer Lobbys ist nichts neues, wie der spanische Sozialdemokrat Josep Borrell, noch kurze Zeit außen- (und militär-)politischer Vertreter der scheidenden Von der Leyen-Kommission, darlegte. "Die Militärausgaben der EU-Mitgliedsstaaten sind heute 30 Prozent höher als zu Beginn des Krieges in der Ukraine und werden dieses Jahr 326 Milliarden Euro erreichen. Wir werden sie weiter erhöhen müssen", sagte Borrell.
Auf den von der NATO vorgelegten Plan antwortete Borrell, wie es in der EU üblich ist: Es sei nicht nur notwendig, mehr Geld für das Militär bereitzustellen, sondern auch die "Koordination" der Ausgaben zwischen den Staaten zu fördern. Schließlich, wie im Draghi-Bericht über die "Wettbewerbsfähigkeit" vorgeschlagen, die monopolistische Konzentration auch unter den Kanonenherstellern zu fördern. Eine Aufgabe, die nicht einfach zu lösen ist. Der Waffenmarkt ist ein sehr lukrativer Markt, auf dem jeder sein eigenes Spiel spielt. Angefangen bei den Mitgliedstaaten.
EU-Staaten im Rüstungsmodus: Soziales bleibt auf der Strecke
"Diese erhöhten Rüstungsausgaben führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern treiben uns in eine neue Rüstungsspirale, die die Kriegsgefahr erhöht."
Özlem Alev Demirel (Die Linke), Fraktion The Left im EU-Parlament
"Während die EU-Mitgliedstaaten vor 10 Jahren zusammen noch rund 147 Milliarden Euro für Verteidigung ausgaben, sind es heute 326 Milliarden Euro. Allein in den letzten drei Jahren gab es eine Steigerung von 30 Prozent. Das bedeutet, dass die EU Staaten zusammen jetzt auf Rüstungsausgaben von 1,9 Prozent des BIP kommen. Diese Erhöhung kommt den Aktionären der europäischen Rüstungsindustrie zugute, während in Europa die Armut wächst und die Infrastruktur verfällt", erklärte die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel (Die Linke, EU-Fraktion The Left).
Und weiter:
"Mit der Umverteilung von Steuermilliarden vom zivilen in den militärischen Bereich entstehen hingegen neue Sicherheitsgefahren. So wird der Zustand von Brücken auf Bundesfernstraßen in Deutschland in 4 Prozent der Fälle als 'nicht ausreichend' oder schlechter bewertet. Der Personalnotstand, nicht nur in deutschen Krankenhäusern, ist gesundheits- und sicherheitsgefährdend. Zu dieser Entwicklung passt, dass es keine eigene Zuständigkeit für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mehr in der neuen EU-Kommission gibt. Kanonen statt Butter lautet offensichtlich die Devise."
Auch der italienische EU-Abgeordnete Pasquale Tridico (5-Sterne-Bewegung) aus der Fraktion The Left prangerte die Doppelmoral an, auf der die europäische Politik in den kommenden Jahren beruhen wird. Einerseits wird es Kürzungen bei den Sozialausgaben geben, andererseits sind die Militärausgaben bereits gestiegen und werden in den kommenden Jahren noch weiter steigen. "Das Eisenbahnsystem ist kaputt", so Tridico, "die Schulen sind marode, aber die Priorität des rechten Flügels ist es, Milliarden in die Rüstung zu stecken".
Es ist nicht nur die "Rechte", die die Militärausgaben erhöhen will. Auch die deutschen, spanischen und britischen Sozialdemokraten sind auf der gleichen Linie – wie auch die deutschen Grünen.
Der russische Krieg in der Ukraine und der Wahlsieg von Donald Trump in den USA werden genutzt, um die europäischen Volkswirtschaften dauerhaft in Richtung Kriegswirtschaft zu verändern.
Anmerkungen
[1] Gemeinsame Erklärung der Außenministerinnen und -minister Deutschlands, Frankreichs, Polens, Italiens, Spaniens und des Vereinigten Königreichs in Warschau, 19.11.2024
https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2685616
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