20.09.2024: Die herrschenden Klassen Guatemalas und Israels verbindet eine lange Freundschaft. Gründe liegen in Gemeinsamkeiten bei Rassismus und Kolonialismus.
Von Thorben Austen, Quetzaltenango (Guatemala)
"Die Freundschaft Guatemalas mit Israel geht auf die Abstimmung der Vereinten Nationen zur Gründung eines jüdischen Staates im Jahr 1947 zurück, als Guatemala das erste Land in Lateinamerika war, das das neu gegründete Israel anerkannte. Es war auch das zweite Land, das seine Botschaft nach Jerusalem verlegte, nachdem die Vereinigten Staaten dies 2018 getan hatten."
Jewish News Syndicate, 20.5.2024; https://www.jns.org/israel-and-guatemala-sign-scientific-technological-accord/
36 Jahre, von 1960-1996 tobte in Guatemala der Bürgerkrieg. Die rechten (Militär)regierungen jener Jahre konnten sich die meiste Zeit der Unterstützung durch die USA sicher sein. Diese hatten tatkräftig am Sturz des progressiven Präsidenten Jacobo Árbenz mitgewirkt und damit den Bürgerkrieg ausgelöst. Die Unterstützung war allerdings nicht uneingeschränkt.
1977 musste US-Präsident Jimmy Carter nach öffentlichem Druck aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in dem mittelamerikanischen Land die Militärhilfen vorübergehend einstellen. Israel sprang ein.
Waffen und Militärberater aus Israel für die Kriegsverbrechen der Militärdiktatur
Im September 1980 machte Elías Barahona ein erstes Ausmaß der israelischen Militärhilfe öffentlich. Barahona war Mitglied der Guerillaorganisation Guerillaarmee der Armen (EGP) und hatte seit 1976 als Sprecher von Innenminister Donaldo Álvarez Ruiz das Ministerium infiltriert und Informationen über geplante Militäraktionen an die Guerilla weitergegeben. 1980 floh er außer Landes. Laut Barahona sollen in Absprache mit den USA seit 1977 50.000 Galil-Gewehre, eine Million Patronen, 15 Arava-Flugzeuge, fünf Hubschrauber, tausend Maschinengewehre und 100 Dreibein-Maschinengewehre aus Israel geliefert worden.
"Während der Regierungszeit von Rios Montt kam es zu mehreren Massakern, die auf staatlich geförderte Gewalt zurückzuführen waren. Das berüchtigtste fand im Dorf Dos Erres statt. Während des Massakers töteten Soldaten brutal alle Einwohner bis auf vier, die entkommen konnten. Die Leichen der Dorfbewohner wurden im Dorfbrunnen entsorgt. Während einer 1999 von der UN-Wahrheitskommission angeordneten Untersuchung des Massakers „entsprachen alle ballistischen Beweise, die sichergestellt wurden, Geschosssplittern von Schusswaffen und Patronenhülsen von Galil-Gewehren, die in Israel hergestellt wurden“ (Electronic Intifada 2017)."
https://panoramas.secure.pitt.edu/news-and-politics/israels-close-relationship-guatemala-has-roots-countrys-civil-war-0
Des Weiteren hat Israel Guatemala nach Presseberichten mit einem elektronischen Überwachungssystem ausgerüstet, das Anfang der 1980er Jahre 80 Prozent der Bevölkerung Guatemalas erfasste. Mittels Computertechnik konnten die Sicherheitskräfte den Strom- und Wasserverbrauch erfassen und überdurchschnittlichen hohen Verbrauch feststellen, was Rückschlüsse auf Unterkünfte von Guerillaeinheiten im Großraum der Hauptstadt gab. Angeblich sollen Sicherheitskräfte auf diese Weise im Juli und August 1981 30 "sichere Häuser" der Guerilla ausfindig gemacht haben.
"Die indigene Bevölkerung so zu behandeln, wie wir die Palästinenser behandeln"
1982 sollen sich bis zu 300 israelische Militärberater im Land aufgehalten haben. Diese sollen insbesondere zu einem konsequenten Vorgehen der Armee gegen die indigene Bevölkerung geraten haben, die so "zu behandeln sei, wie wir die Palästinenser behandeln, niemanden ist zu trauen" und vergleichbare Aussagen sind als Ratschläge aus jenen Jahren überliefert.
Strittig ist in Guatemala, welchen Charakter die Militäraktionen spätestens ab 1982 annahmen. Offiziell ging es um die Bekämpfung der Guerilla, unstrittig ist, dass es ab spätestens 1982 zu großangelegten Massakern an der Indigenen Bevölkerung gekommen war. Strittig ist allerdings, ob das Motiv der Armee da noch eine Aufstandsbekämpfung war mit dem Ziel der Guerilla die Basis zu entziehen oder ob es sich um einen kalkulierten Völkermord gehandelt hat.
Ein Mitarbeiter des Gedenkmuseums casa de la memoria in Guatemala-Stadt erklärte Anfang des Jahres gegenüber dem Autor, von 1978 bis 1985 hätten die Militäraktionen das Ausmaß eines geplanten Völkermordes angenommen, mit dem Ziel die Indigene Bevölkerung "auszurotten oder zumindest zahlenmäßig stark zu schwächen". Vorangegangen waren "soziologischen Untersuchungen und Umfragen unter der weißen Oberschicht des Landes". Überwogen habe die Forderung nach einer "Ausrottung" der indigenen Bevölkerung, aus rassistischen Motiven und aus Angst vor einer massenhaften militanten Erhebung der "Indios".
Parallelen der Situation im Westjordanland
Heute ist der Bürgerkrieg in Guatemala seit 28 Jahren beendet. Zwar konnte die Guerilla in den Friedensverhandlungen Rechte für die Indigene Bevölkerung durchsetzen, zentrale Fragen wie die extrem ungleiche Landverteilung konnten aber maximal partiell verändert werden. Auch unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Bernardo Arévalo hat sich daran bisher nichts geändert, gewaltsame Vertreibungen gehen weiter.
Im Landraub und im mühsamen Kampf für Land lassen sich durchaus Parallelen der Situation im Westjordanland erkennen. Die Arte-Dokumentation "Farkha-Ein palästinensisches Dorf kämpft um seine Zukunft" [1] zeigt eindrucksvoll wie die Einwohner versuchen juristisch Eigentumstitel für ihr Land vorzuweisen, vor dem Hintergrund immer weiter vorrückender israelischer Siedlungen.
Vergleichbares spielt sich auch in Guatemala ab. Immer wieder vertreiben Sicherheitsdienste privater Unternehmen, vor allem der prosperierenden Palmölindustrie, Menschen von ihrem Land. In anderen Fällen gibt es juristische Auseinandersetzungen, in mehreren "Wellen" wurde Gemeindeland enteignet und privatisiert, den Anfang machen die "liberalen Reformen" der 1870er Jahre, auch während des Bürgerkrieges eigneten sich Militärs Länder an, von denen die Bewohner vertrieben wurden oder vor den Massakern geflohen waren.
Guatemala immer an der Seite Israels
Die Freundschaft zwischen den herrschenden Klassen Israels und Guatemalas hält derweil an. 2018 folgte Guatemala unter Präsident James Morales dem Beispiel von Donald Trump und verlegte seine Botschaft in Israel nach Jerusalem, ein Affront in der Arabischen Welt, in der (Ost)Jerusalem als Hauptstadt des Staates Palästina angesehen wird. (Foto ganz oben, Netanjahu am 16. Mai 2018 bei der Einweihung der nach Jerusalem verlegten Botschaft Guatemalas)
Nach der militärischen Eskalation in Gaza nach dem 7. Oktober 2023 stimmte Guatemala in der UN zweimal unter Präsident Alejandro Giammattei mit jeweils wenigen anderen Staaten gegen einen Waffenstillstand.
In der UN-Generalversammlung am 27. Oktober 2023 stimmte Guatemala als eines von 14 Ländern gegen die Forderung nach einer "Einstellung der Feindseligkeiten im Gazastreifen mit einem sofortigen und dauerhaften humanitären Waffenstillstand“. (siehe kommunisten.de, 30.10.2023: UN für Feuerpause und humanitäre Hilfe für Gaza. Deutschland enthält sich.)
Ebenso am 12. Dezember 2023. Guatemala gesellte sich zu den 10 Schurkenstaaten, die in der UN-Vollversammlung die Resolution für einen "sofortigen humanitären Waffenstillstand" im Gazastreifen, die "sofortige Freilassung aller Geiseln" sowie die "Gewährleistung des humanitären Zugangs" ablehnten. (siehe kommunisten.de, 14.12.2023: Zehn Schurkenstaaten für weiteres Morden. Deutschland enthält sich)
Der aktuelle Staatspräsident Bernardo Arévalo traf sich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit der israelischen Delegation. Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza, von anderen progressiven Staatschefs Lateinamerikas deutlich geäußert, kam von ihm nicht. Arévalo betonte lediglich seine "pazifistische Grundhaltung”.
Im Mai 2024 stimmte Guatemala bei der UN zwar für die Vollmitgliedschaft Palästinas in dem Gremium, mit 142 anderen Ländern weltweit, darunter nahezu allen lateinamerikanischen. Diese vergleichsweise harmlose Ja-Stimme brachte der Regierung Arévalo sofort die Kritik aller relevanten Parteien des rechten Parteienspektrums ein, auf keine innenpolitische Maßnahme Arévalos wurde bisher von "rechts" so geschlossen und aggressiv reagiert.
Bei einer Abstimmung am 18. September 2024, in der Israel aufgefordert wurde die besetzten Gebiete zu räumen, enthielt sich Guatemala, obwohl die meisten anderen lateinamerikanischen Staaten dafür stimmten. (siehe kommunisten.de, 19.09.2024: UN-Generalversammlung fordert ein Ende der illegalen israelischen Präsenz in den palästinensischen Gebieten. Deutschland wieder einmal auf der falschen Seite der Geschichte)
In diesem Klima ist in Guatemala die Solidaritätsbewegung für die Rechte des palästinensischen Volkes klein. Gingen und gehen in anderen Lateinamerikanischen Staaten regelmäßig zehntausende gegen den Völkermord in Gaza auf die Straßen, gab es bisher in Guatemala nur einige kleinere Veranstaltungen in der Hauptstadtregion, die von der ehemaligen Guerilla URNG, der palästinensischen Gemeinde und kleineren Organisationen durchgeführt werden. Auch die Landarbeiterorganisation Codeca hat sich mehrfach öffentlich gegen "Völkermord" positioniert.
Insgesamt bleibt das Engagement in diesem Bereich aber schwierig. Studentische Aktivisten einer kleinen, kulturellen Solidaritätsaktion in geschlossenen Räumen in Quetzaltenango berichtetem gegenüber dem Autor, auf die Ankündigung sei in der Universität sofort aggressiv und beleidigend reagiert wurden, weshalb die Aktivisten öffentliche Aktionen nur für "schwer durchführbar" halten.
txt: Thorben Austen, Quetzaltenango (Guatemala)
Bilder und Zwischenüberschriften von kommunisten.de eingefügt
Anmerkungen
[1] arte.tv, 27.2.2024: Ein palästinensisches Dorf kämpft um seine Zukunft
https://www.arte.tv/de/videos/115493-002-A/re-ein-palaestinensisches-dorf-kaempft-um-seine-zukunft/
siehe auch
- Genocide Trial in Guatemala Brings Memories of Israel’s Role in the Killings
https://progressive.org/latest/genocide-trial-in-guatemala-brings-memories-of-israels-role-in-the-killings-mcconahay-20240507/ - Israel’s Proxy War in Guatemala
https://nacla.org/news/2013/4/23/israel%E2%80%99s-proxy-war-guatemala - Israel's close relationship with Guatemala has roots in country's civil war
https://panoramas.secure.pitt.edu/news-and-politics/israels-close-relationship-guatemala-has-roots-countrys-civil-war-0 - Telesur Video: Guatemala and Israel: A Special Relationship
https://www.youtube.com/watch?v=bKVbguQpki4 - An der Seite Palästinas. Der Gazakrieg und die Stimmen Lateinamerikas. Eine Übersicht
https://www.jungewelt.de/artikel/471787.lateinamerika-und-nahost-an-der-seite-pal%C3%A4stinas.html?sstr=Pal%C3%A4stina%7CLateinamerika# - Una amistad que perdura: las relaciones históricas entre Guatemala e Israel
https://www.elsaltodiario.com/revista-pueblos/una-amistad-perdura-relaciones-historicas-guatemala-israel