27.11.2024: SYRIZA reagiert auf den Schock von Kasselakis, der inzwischen seine eigene Bewegung gegründet hat. Am Sonntag wurde Sokratis Fàmellos mit 49,41 Prozent der Stimmen zum Parteichef gewählt. Jetzt stehen wieder soziale Themen auf der Tagesordnung
"Wir haben den Neustartknopf gedrückt". So jubelte ein SYRIZA-Funktionär inmitten wehender roter Parteiflaggen. Entspannte Gesichter hatte man schon lange nicht mehr vor dem Hauptquartier der Hellenischen Linken im Zentrum Athens gesehen, wo am Sonntagabend das Ergebnis der Urwahl des Vorsitzenden gefeiert wurde.
Sokratis Fàmellos, ein 58-jähriger Abgeordneter, wurde mit 49,4 % der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. Er verfehlte knapp die Fünfzig-Fünfzig-Hürde, die erforderlich ist, um eine Stichwahl zu vermeiden, aber sein Konkurrent Pavlos Polakis, ein Abgeordneter und ehemaliger Minister, der 43 % der Stimmen erhielt, räumte seine Niederlage ein und beendete das Rennen.
Insgesamt hatten sich an dem innerparteilichen Urnengang 70.152 SYRIZA-Mitglieder beteiligt; etwa 11.000 von ihnen hatten sich dafür extra in die Partei einschreiben lassen. Obwohl diese Zahl angesichts der rasanten Talfahrt seit einem Jahr als Erfolg gilt: An innerparteilichen Wahlen vor einem Jahr hatten sich noch rund 150.000 Parteimitglieder beteiligt; die damals Stefanos Kasselakis, einem in den USA aufgewachsenen Auslandsgriechen, in den Sattel halfen.
Stefanos Kasselakis, war im September 2023 zum Vorsitzenden gewählt worden, nachdem der ehemalige Vorsitzende und Ex-Premierminister Alexis Tsipras beschlossen hatte, von seinem Amt zurückzutreten. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker aus den USA, der in einer nach dem Rücktritt von Tsipras angeschlagenen Partei die Möglichkeit gesehen hatte, selbst in die Politik einzusteigen, indem er auf offene Urwahlen setzte, hat die Partei nach noch nicht einmal einem Jahr ins Chaos gestürzt. Er scheiterte bei der erhofften Umwandlung von SYRIZA in eine "wirtschaftsfreundliche"“ Partei, die einer "modernen Linken", wie er sich ausdrückte, angemessen wäre. Anfang September wurde er vom Zentralkomitee geschasst. Zentralkomitee und ein folgender Parteikongress schlossen ihn von der Kandidatenliste für die Wahl eine neuen Vorsitzenden aus. (siehe kommunisten.de, 24.10.2024: "SYRIZA vor dem Kongress in der Krise. Kasselakis sorgt für Zündstoff bei den Vorwahlen")
Nachdem am 8. November sein Versuch, sich vom Parteikongress zum Kandidaten für den Vorsitz zu machen, gescheitert war, gab er unmittelbar danach bekannt, das er SYRIZA verlassen und eine neue Bewegung gründen wird.
"Es ist ein Moment der Verantwortung", sagte Fàmellos, der sich der "großen Herausforderung" bewusst ist: Als Vertreter der Gründergeneration von SYRIZA wird er an die Spitze einer Partei gerufen, die von einer tiefen Identitätskrise geplagt wird. Sechs Abgeordnete sind in den letzten Tagen nach dem Austritt des ehemaligen Parteivorsitzenden Stefanos Kasselakis abgesprungen, wodurch SYRIZA auf 29 Sitze und damit unter die 31 Sitze der PASOK gefallen ist, und damit ihre Rolle als führende Oppositionskraft im Parlament verloren hat.
Sokratis Fàmellos: Wiederaufbau von SYRIZA
Der neue SYRIZA-Chef Sokratis Fàmellos ist eines der Gründungsmitglieder von SYRIZA. Der gelernte Maschinenbauingenieur war seit dem Rücktritt von Alexis Tsipras im Juli 2023 bis zum vergangenen August Fraktionsvorsitzender, als Kasselakis ihn wegen seiner Kritik an ihm absetzte. Er hatte seine Kandidatur "in Kontinuität" mit dem Erbe der Tsipras-Regierung - in der er stellvertretender Umweltminister war - angekündigt und versprochen, die Partei neu zu formieren: Für die altgedienten Funktionäre ist seine Wahl ein Beleg dafür, dass die Antikörper von SYRIZA endlich auf den Schock von Kasselakis reagiert haben.
Der neue Parteivorsitzende versprach, bei den Problemen anzusetzen, die die Griechen derzeit am meisten beunruhigen: "Wir haben eine Explosion der Immobilienpreise, während die Löhne feststecken". Er sprach sich dafür aus, das größte griechische Elektrizitätsunternehmen, die inzwischen privatisierte DEI, unter öffentliche Kontrolle zu stellen, um die Preise zu senken. "Die steigenden Lebenshaltungskosten, unter denen das Land leidet, sind auch das Ergebnis politischer Entscheidungen, die die Reichen immer reicher machen", sagte er.
Auf seiner Agenda steht der Wiederaufbau der lokalen Organisationen von SYRIZA, die vor einem Jahr durch die Spaltung, die zur Gründung von Nea aristerà führte, geschwächt wurden. Hunderte Funktionäre, elf SYRIZA-Abgeordnete und große Teile des linken Flügels - darunter Ex-Finanzminister Euklid Tsakalotos sowie Ex-Arbeitsministerin Efi Achtsioglou - hatten in der Auseinandersetzung mit Kasselakis die Partei verlassen und die Nea aristerà (Neue Linke) gegründet. Die elf Abgeordneten der neuen Partei, die gerade ihren Gründungskongress hinter sich haben, bekräftigen, dass sie nicht zum alten Haus zurückkehren werden, und verzeihen einigen Funktionären nicht, dass sie Kasselakis unterstützt haben, der in der Zwischenzeit seine "fortschrittliche" Partei, die Bewegung für Demokratie, gegründet hat, mit der er hofft "Unternehmertum und soziale Mobilität" zu fördern.
An konkretem Widerstand gegen die Regierung von Nea Dimokratia mangelt es nicht: Letzte Woche demonstrierten 20.000 Menschen unter den Fahnen der wichtigsten Gewerkschaften in Athen und Thessaloniki, um angemessene Löhne und einen besseren Arbeitsschutz zu fordern.
Und Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, der sich mit dem rechten Flügel der Partei auseinandersetzen muss, der wegen der Entspannungspolitik mit der Türkei nervös ist, musste den ehemaligen Ministerpräsidenten und Abgeordneten Antonis Samaras ausschließen.
Auch wenn sie im Parlament geschrumpft ist, will SYRIZA außerhalb ihrer Mauern immer noch beweisen, dass sie die einzige glaubwürdige Alternative zum rechten Flügel ist.
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