24.10.2024: Der abgesetzte Vorsitzende Kasselakis fordert das Zentralkomitee heraus, droht mit rechtlichen Schritten gegen die Partei und will erneut kandidieren.
Nach noch nicht einmal einem Jahr an der Spitze der Partei hat Stefanos Kasselakis seine Partei ins Chaos gestürzt.
Stefanos Kasselakis kam praktisch aus dem Nichts, ohne jegliche politische Erfahrung oder Zugehörigkeit zur Linken. Er wurde im September 2023 zum Vorsitzenden gewählt, nachdem der ehemalige Vorsitzende und Ex-Premierminister Alexis Tsipras beschlossen hatte, von seinem Amt zurückzutreten. Es war auch Tsipras, der den in der Diaspora lebenden Griechen Kasselakis in die Partei einführte.
Bald nach seiner Wahl begann der neue Präsident, die linke Partei aufzumischen, indem er versuchte, langjährige Mitglieder loszuwerden. Dies führte dazu, dass Hunderte Funktionäre, elf SYRIZA-Abgeordnete und große Teile des linken Flügels die Partei verließen, darunter Ex-Finanzminister Euklid Tsakalotos sowie Ex-Arbeitsministerin Efi Achtsioglou. Sie gründeten die Neue Linke.
zum Thema 14.11.2023: Nicht nur DIE LINKE in Deutschland, auch SYRIZA zerlegt sich gerade selbst. |
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26.9.2023: SYRIZA: Investmentbanker neuer Vorsitzender |
Die jüngste Episode: Am 12. Oktober hat das Zentralkomitee von SYRIZA beschlossen, dass Kasselakis, der bereits Anfang September abgesetzt worden war, am 24. November bei der direkten Wahl eines neuen Vorsitzenden durch die Mitglieder nicht kandidieren darf.
Kasselakis war Anfang September durch das SYRIZA-Zentralkomitee (ZK) geschasst worden. In einer geheimen Abstimmung votierte eine klare Mehrheit von 163 der insgesamt 295 ZK-Mitglieder für einen Misstrauensantrag gegen Kasselakis. Den Antrag hatten 100 ZK-Mitglieder eingebracht. Kasselakis wurde so des Amtes enthoben – ein bisher einmaliger Vorgang.
Der Misstrauensantrag wurde von Personen eingebracht, die Kasselakis ursprünglich bei seiner Wahl unterstützt hatten. Die Gründe für ihren Sinneswandel waren nicht nur seine offenkundig fehlende Sachkompetenz gepaart mit einer exzessiven Zurschaustellung seines Privatlebens. Zum Verhängnis wurde Kasselakis sein autoritärer Führungsstil. Und dies ausgerechnet in einer Partei, die die innerparteiliche Demokratie in ihrer DNA hat.
Die Kluft zwischen dem Nachfolger von Alexis Tsipras und dem linken Flügel der Partei wurde zu einem Abgrund, als Kasselakis (ehemals ein wohlhabender Geschäftsmann) eine interne Untersuchung über ein angebliches Leck forderte, als seine Steuererklärungsdaten in der SYRIZA-nahen Zeitung Efimerida ton Syntakton veröffentlicht worden war, und sich entschlossen zeigte, rechtliche Schritte gegen seine eigene Partei einzuleiten.
Die Drohung erfolgte in einem Brief an das politische Sekretariat, in dem Kasselakis sich selbst als "Vorsitzender von SYRIZA“ bezeichnete, obwohl er abgesetzt worden war.
Die letzte Episode war dann die auf Geheiß von Kasselakis veranlasste Entfernung von Sokrates Famellos vom Fraktionsvorsitz im Athener Parlament. Famellos genießt in der Partei ein hohes Ansehen.
Kasselakis weigert sich jedoch, seine Absetzung zu akzeptieren, und besteht weiterhin darauf, dass die "Basis der Partei“ – also nicht das Komitee oder ein anderes Parteiorgan – ihn als Vorsitzenden will.
Parteitag vom 8-10. November. Neuwahl des Vorsitzenden am 24. November ohne Kasselakis
Das SYRIZA-Politbüro berief für 8. bis zum 10. November einen außerordentlichen Parteitag ein. Am 24. November soll die Parteibasis einen neuen SYRIZA-Vorsitzenden wählen. Bis 24. Oktober wird die Liste der Kandidierenden abgeschlossen.
Am Samstag, 12. Oktober, beschloss dann das Zentralkomitee in einer Sitzung voller Tumulte, scharfer Auseinandersetzungen und Boykottbemühungen, dass Kasselakis nicht auf die Liste der Kandidierenden für den neuen Parteivorsitz gesetzt wird. Wer die Beschlüsse der Partei nicht respektiert und sogar daran denkt, sie zu verklagen, "kann nicht ihr Vorsitzender sein“, heißt es in der verabschiedeten Resolution.
Von den anwesenden 152 ZK-Mitgliedern stimmten 138 gegen die Aufnahme von Kasselakis auf die Liste.
Seine engsten Anhänger nahmen an der Tagung nicht teil, um ein Sperrquorum zu erreichen und die Entscheidung zu verhindern.
Bei der Tagung wurde auch vorgeschlagen, Kasselakis aus SYRIZA auszuschließen, aber darüber wurde nicht abgestimmt.
Die Frage ist nun, ob der kommende Parteitag anders entscheiden und Kasselakis als Kandidaten anerkennen wird, wie er und seine Anhänger glauben. Sie berufen sich auf einen Artikel der Satzung, wonach der Parteitag als oberstes Organ der Partei die Entscheidungen des Zentralkomitees zurückweisen kann, das beschlossen hat, dass "der Ausschluss von Kasselakis mit sofortiger Wirkung und unwiderruflich ist“.
Existenz der Partei steht auf dem Spiel
Der innerparteiliche Kampf setzt die Existenz der Partei auf das Spiel und die Gefahr eines Risses wird immer konkreter. Die so genannte "Gruppe der 87“, die zu den härtesten innerparteilichen Gegnern von Kasselakis gehört, setzt stattdessen auf Sokratis Famellos, den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden von SYRIZA, der seine Kandidatur "in Kontinuität mit dem Erbe der Regierung Tsipras“ angekündigt hat.
Wenn SYRIZA weitere 4 bis 5 Abgeordnete verliert, wird sie auch ihren Status als größte Oppositionspartei im griechischen Parlament verlieren.
Der kürzlich wiedergewählte PASOK-Vorsitzende Nikos Androulaki hegt den Ehrgeiz, SYRIZA die Rolle der führenden Oppositionskraft zu entreißen, auch wenn er es bisher versäumt hat, seine Politik konkret von der der rechten Regierung der Nea Dimokratia zu unterscheiden.
Der ganze Zirkus um Kasselakis hat letztlich dazu geführt, dass viele SYRIZA-Wähler der Partei den Rücken gekehrt haben, und jüngste Meinungsumfragen zeigen, dass sie mit nur noch 8,5 Prozent von der sozialdemokratischen PASOK überholt wird.
Premier Mitsotakis frohlockt mit Blick auf die Turbulenzen bei SYRIZA: "Es gibt keine Alternative zur ND-Regierung.“ Er wolle bis 2027 regieren, sagt er. SYRIZA macht es ihm leicht, dieses Vorhaben einzuhalten.
Dabei befindet sich auch die regierende konservative Partei Néa Dimokratía einer Umfrage von letzter Woche zufolge im freien Fall. Ihre Werte fielen auf 21,6 Prozent, verglichen mit 29 Prozent bei den Europawahlen im vergangenen Juni und 41 Prozent bei den Parlamentswahlen im Juni 2023.
Die Opposition kann jedoch aus den Stimmenverlusten der Regierungspartei kein Kapital schlagen. Der Druck für den griechischen Premierminister kommt von der Rechten innerhalb der Nea Dimokratia, die, unzufrieden mit ihren "gemäßigten“ Positionen, mit Interesse auf den Vormarsch der extremen Rechten im übrigen Europa schaut.