Meinungen

Ken Loach Yanis Varoufakis24.02.2021: Im Vorfeld der zurückliegenden Unterhauswahlen im Dezember 2019 musste sich die britische Labour-Partei mit dem Vorwurf beschäftigen, wonach mehrere Parteimitglieder eine antisemitische Gesinnung hätten. Im Zentrum der Rufmordkampagne: der damalige linke Vorsitzende Jeremy Corbyn. Und jetzt ist Ken Loach wieder dran, einer der engagiertesten Regisseure Englands, der sich in seinen Filmen immer und immer wieder für die Schwachen eingesetzt hat, für die Opfer, für die Übergangenen, Vergessenen, Verstossenen. Dazu zählt er auch die Palästinenser*innen. Yanis Varoufakis verteidigt Ken Loach:

 

 

Nun ist es also so weit: Ken Loach ist jetzt das Ziel einer Rufmordkampagne, die von denen geführt wird, die vor nichts zurückschrecken, um die Apartheidpolitik Israels zu schützen. Ihre Botschaft an Menschen mit gutem Willen ist einfach: Wenn du nicht auch als Antisemit gebrandmarkt werden willst, dann schweige über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Angriff auf die Menschenrechte im Land Palästina.

Sie lassen uns andere wissen: Wenn wir das Ken Loach antun können, einem Mann, der sein Leben damit verbracht hat, sich für die Opfer von Unterdrückung, Rassismus und Diskriminierung einzusetzen, dann stellen Sie sich vor, was wir mit Ihnen machen können. Wenn Sie es wagen, die Menschenrechte der Palästinenser zu unterstützen, werden wir behaupten, dass Sie die Juden hassen.

Die Art, den Charakter eines Linken zu verleumden, ist in der letzten Zeit immer mehr verfeinert worden. Als die Financial Times mich einen marxistischen Motorradfahrer nannte, gestand ich den Vorwurf gerne ein. Mich einen Stalinisten zu nennen, wie es einige unkultivierte Rechte tun, löst ebenfalls keine existenzielle Krise in meiner Seele aus, denn ich weiß sehr wohl, dass ich unter jedem stalinistischen Regime ein Hauptkandidat für den Gulag wäre. Aber wenn man mich einen Frauenhasser oder Antisemiten nennt, ist der Schmerz sofort da. Und warum? Weil diese Anschuldigungen einen Nerv treffen, wenn man bedenkt, wie sehr wir alle in den westlichen Gesellschaften von Patriarchat, Antisemitismus und anderen Formen des Rassismus durchdrungen sind.

Es ist daher eine köstliche Ironie, dass diejenigen von uns, die sich am meisten bemüht haben, ihre Gesinnung von Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und anderen Formen des Rassismus zu befreien, am meisten verletzt werden, wenn man ihnen diese Vorurteile vorwirft. Wir sind uns bewusst, wie leicht Antisemitismus Menschen infizieren kann, die in anderer Hinsicht nicht rassistisch sind. Wir verstehen seine Hinterhältigkeit und Potenz gut, zum Beispiel die Tatsache, dass die Juden das einzige Volk sind, das sowohl als Kapitalisten als auch als linke Revolutionäre verachtet wurde. Das ist der Grund, warum der strategische Vorwurf des Antisemitismus, dessen Zweck es ist, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen und zu ächten, uns innere Unruhen bereitet. Das ist es, was hinter dem durchschlagenden Erfolg solcher Verleumdungskampagnen gegen meine Freunde Jeremy Corbyn, Bernie Sanders, Brian Eno, Roger Waters und jetzt Ken Loach steckt.

"Ist deine ausschließliche Kritik an Israel nicht symptomatisch für Antisemitismus?", werden wir oft gefragt. Abgesehen von der Farce der Behauptung, wir würden ausschließlich Israel kritisieren, ist Kritik an Israel keine Kritik an den Juden und kann es auch nie sein, genau wie Kritik am griechischen Staat oder am amerikanischen Imperialismus keine Kritik an den Griechen oder den Amerikanern ist. Dasselbe gilt für das Hinterfragen der Weisheit, einen ethnisch spezifischen Staat geschaffen zu haben. Wenn bemerkenswerte Menschen wie meine Vorbilder Hannah Arendt und Albert Einstein das zionistische Projekt eines jüdischen Staates in Palästina in Frage stellten, ist es beleidigend zu behaupten, dass eine Debatte über Israels Existenz antisemitisch sei. Die Frage ist nicht, ob Arendt und Einstein richtig oder falsch lagen. Die Frage ist, ob ihre Infragestellung der Sinnhaftigkeit eines jüdischen Staates im Land Palästina antisemitisch ist oder nicht. Es ist klar, dass Antisemiten zwar gegen die Gründung des Staates Israel waren, aber daraus folgt nicht, dass nur Antisemiten gegen die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina waren.

Eine persönliche Anmerkung: Als ich 2015 griechischer Finanzminister war, dachte eine griechische Pro-Troika-Zeitung, sie könnte mich mit einer Karikatur herabsetzen, die mich als Shylock-ähnliche Figur[1] darstellte. Was diese Idioten nicht wussten, war, dass sie mich sehr stolz gemacht haben! Der Versuch, mein Image zu beflecken, indem man mich mit einem Juden vergleicht, war und ist ein Ehrenzeichen. Ich spreche auch im Namen der oben erwähnten Freunde, die als Antisemiten verunglimpft wurden: Wir fühlen uns zutiefst geschmeichelt, wenn ein Antisemit uns mit einem Volk in einen Topf wirft, das den Rassismus so lange tapfer über sich ergehen lassen hat. Solange sich auch nur ein einziger Jude durch Antisemitismus bedroht fühlt, werden wir uns den Davidstern auf die Brust heften, bemüht und bereit, als Juden in Solidarität gezählt zu werden - auch wenn wir nicht jüdisch sind. Gleichzeitig tragen wir die palästinensische Flagge als Symbol der Solidarität mit einem Volk, das in einem von reaktionären Israelis errichteten Apartheidstaat lebt, der meinen jüdischen und arabischen Brüdern und Schwestern schadet und die Feuer des Rassismus schürt, welcher paradoxerweise eine immer stählernere Variante des Antisemitismus schmiedet.

Um auf Ken Loach zurückzukommen: Zum Glück kann keine Hetzkampagne gegen ihn erfolgreich sein. Nicht nur, weil Kens Arbeit und Leben ein Beweis für die Absurdität der Anschuldigung sind, sondern auch wegen der mutigen Israelis, die große Risiken eingehen, wenn sie das Recht von Juden und Nicht-Juden gleichermaßen verteidigen, Israel zu kritisieren.Zum Beispiel die Gruppe von Akademikern, die methodisch die unhaltbare Definition von Antisemitismus der IHRA [2] dekonstruiert haben, die Antisemitismus mit legitimer Kritik an Israel vermengt, die viele progressive Israelis teilen. Oder die großartigen Menschen, die mit der israelischen Menschenrechtsorganisation B'TSELEM zusammenarbeiten, um sich gegen die Apartheidpolitik der wechselnden israelischen Regierungen zu wehren. Ich bin ihnen genauso dankbar wie meinem Freund und Mentor Ken Loach.


Quelle: New Left Review, Yanis Varoufakis, 18 February 2021: In Defence of Ken Loach
https://newleftreview.org/sidecar/posts/in-defence-of-ken-loach
eigene Übersetzung  


Anmerkung:

[1] Shylock ist ein venezianisch-jüdischer Geldverleiher in William Shakespeares Stück "Der Kaufmann von Venedig"

[2] Die "International Holocaust Remembrance Alliance" (IHRA) hat 2016 eine nicht-rechtsverbindliche Arbeitsdefinition von Antisemitismus beschlossen: https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus
Unter Bezugnahme auf diese Arbeitsdefinition hat der Bundestag im Mai 2019 fraktions- und lagerübergreifend die transnationale "Boycott, Divestment and Sanctions ("Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen", kurz: BDS)-Bewegung als antisemitisch verurteilt. In der Folge haben immer mehr Kommunen Beschlüsse gefasst, mit denen tatsächlichen oder vermeintlichen Anhänger*innen der BDS-Kampagne kommunale Räume verweigert werden. Begründung: Die BDS-Kampagne sei antisemitisch. Tatsächlich geht es meist darum, Kritik an der Politik der israelischen Regierung zu verhindern oder zumindest zu behindern.


 

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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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