20.05.2019: Am Freitag (17.5.) hat der Bundestag fraktions- und lagerübergreifend die BDS-Bewegung als antisemitisch verurteilt ++ Israelische und jüdische Intellektuelle lehnen Bundestagsbeschluss und die Gleichsetzung von BDS und Antisemitismus ab ++ US-Botschafter Grenell fordert Ausdehnung des BDS-Beschlusses auf Iran ++ Deutsche NGO warnen vor Einschränkung der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Israel und Palästina ++ IPPNW: Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr
Seit knapp 15 Jahren setzt sich die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) dafür ein, Israel militärisch, politisch, wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich zu isolieren. Sie will so mit friedlichen Mitteln dazu beitragen, dass die Besatzung der 1967 von Israel eroberten palästinensischen Gebiete endet. Außerdem setzt sich die Kampagne für ein Rückkehrrecht der seit 1948 vertriebenen Palästinenser*innen und ihrer Nachfahren ein. (What is BDS?)
Obwohl die BDS-Bewegung in Deutschland keine politische Rolle spielt, haben in jüngster Zeit immer mehr Kommunen Beschlüsse gefasst, mit denen tatsächlichen oder vermeintlichen Anhänger*innen der BDS-Kampagne kommunale Räume verweigert werden. Begründung: Die BDS-Kampagne sei antisemitisch. Tatsächlich geht es meist darum, Kritik an der Politik der israelischen Regierung zu verhindern oder zumindest zu behindern.
Videoaufzeichnung einer Veranstaltung mit Andreas Zumach an der Uni München: |
So beabsichtigte z.B. in München die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe im kommunal geförderten EineWeltHaus den Film "Broken" in Anwesenheit des palästinensischen Regisseurs Mohammed Alatar zu zeigen. Der Film beleuchtet die Hintergründe der Entscheidung des internationalen Gerichtshofes in Den Haag, den Bau der Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten für völkerrechtlich illegal zu erklären. Obwohl BDS nicht Thema der Veranstaltung und der eingeladene Regisseur Mohammed Alatar explizit kein Unterstützer der BDS-Kampagne ist, untersagte das Münchner Kulturreferat die Veranstaltung. "Bei einer Gesamtschau der Veranstaltung ist davon auszugehen, dass bei lebensnaher Betrachtung die Diskussionsveranstaltung nicht ohne eine Befassung mit den Inhalten, Zielen und Themen der BDS-Kampagne auskommt, da insbesondere ein zentrales Ziel der BDS-Kampagne der Abriss der Mauer […] ist", heißt es in dem Schreiben der Stadt München.
Israels Apartheids- und Kolonialpolitik muss gestoppt werden durch Boykott, Desinvestment und Sanktionen (BDS)"... Wir unterstützen daher den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft aus dem Jahr 2005 zur gewaltfreien und weltweiten BDS-Bewegung (www.bds-kampagne.de), die durch Boykott, Desinvestment (Kapitalentzug) und Sanktionskampagnen Israel veranlassen will, seine Kolonialpolitik aufzugeben. Ziele dieser Bewegung sind:
Die israelische Regierung betreibt eine völkerrechtswidrige und kolonialistische Politik zu Lasten der PalästinenserInnen, die sie sowohl in Israel als auch in den Besetzten Gebieten Palästinas unter Apartheid leiden lässt. Auszug aus dem deutschen Aufruf zur Unterstützung der BDS-Kampagne http://bds-kampagne.de/aufruf/deutschlandweiter-bds-aufruf/ |
Nun hat auch der Bundestag fraktions- und lagerübergreifend die BDS-Kampagne und Antisemitismus in einen Topf geworfen.
Fraktionsübergreifend gegen BDS
Am Freitag, 17. Mai 2019, beschloss der Bundestag einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen" (Antrag 19/10191) angenommen. Für den Antrag stimmten CDU, CSU, FDP, SPD sowie große Teile der Grünen. Dagegen stimmten weite Teile der Linken und Teile der Grünen. Die AfD enthielt sich ebenso wie Teile von Grünen und Linken.
Laut Bundestagsbeschluss soll die Bundesregierung "keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen" mehr unterstützen. Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen, sollen ebenfalls nicht länger finanziell gefördert werden. Behauptet wird, dass die Bewegung das Existenzrecht Israels in Frage stelle; eine Behauptung, die von der BDS-Kampagne zurückgewiesen wird.
Im Beschluss heißt es weiter, die Boykottaufrufe würden "an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte" erinnern. "Don’t Buy-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten wecken unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole »Kauft nicht bei Juden!« und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern." Und weiter: "Der Deutsche Bundestag verurteilt alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert werden, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion sind, und wird ihnen entschlossen entgegentreten."
Um nicht jede Kritik an der israelischen Regierungspolitik als antisemitisch denunzieren zu können, wollten Grüne und SPD einen einschränkenden Satz einfügen: "Der kritische Umgang mit israelischer Regierungspolitik ist von Meinungs-, Presse- und Äußerungsfreiheit geschützt und muss selbstverständlich in Deutschland genauso wie in Israel erlaubt sein." Dieser Passus wurde aber unter anderem auf Betreiben der FDP herausgestrichen.
Im Vorfeld hatten einige Abgeordnete der Grünen um Jürgen Trittin erklärt, dass sie dem Antrag nicht zustimmen werden, weil der Anlass für die Gründung von BDS - die über ein halbes Jahrhundert währende Besatzung - im Antrag nicht erwähnt werde. Es fehle "jedes Bekenntnis zum Schutz und zur Verteidigung der Meinungsfreiheit". Außerdem fürchten sie, dass entwicklungspolitische Projekte in Palästina in Frage gestellt werden könnten.
AfD will Verbot der BDS-Bewegung
In namentlicher Abstimmung lehnte der Bundestag einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel "BDS-Bewegung verurteilen – Existenz des Staates Israel schützen" (Antrag 19/9757) ab. Die AfD fordert in ihrem Antrag u.a. die Bundesregierung auf, die "BDS-Bewegung bundesweit, zum Beispiel auf dem Wege des Vereinsrechtes, zu verbieten".
Antrag der Fraktion DIE LINKE
Einem Antrag der Linksfraktion mit dem Titel "BDS-Bewegung ablehnen – Friedliche Lösung im Nahen Osten befördern" (Antrag 19/10261) stimmten nur Abgeordnete der Linken zu. CDU/CSU, SPD, AfD und FDP lehnten ihn ab, die Grünen enthielten sich.
Die Linke plädiert dafür, den Antisemitismus in BDS-Aufrufen zu verurteilen, schließt sich aber keiner der weitergehenden Forderungen an. Im Antrag der Linksfraktion wird der Bundestag aufgefordert, sich "unabänderlich zu seinem Versprechen, Antisemitismus in allen seinen Formen zu verurteilen und zu bekämpfen" zu bekennen. Weiter heißt es: "Für uns steht fest, dass eine friedliche Lösung, auf Basis der bisherigen UN-Resolutionen sowie der zwischen beiden Parteien geschlossenen Abkommen nur mit zwei unabhängigen, lebensfähigen, demokratischen und miteinander kooperieren-den Staaten umsetzbar ist."
Die Linksfraktion kritisiert in ihrem Antrag, dass der "allumfassende Boykottaufruf …in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens" führt, und dass es Äußerungen und Handlungen aus der BDS-Bewegung gebe, "die darauf abzielen das Existenzrecht des Staates Israel in Zweifel zu ziehen". "Wo Boykottaufrufe in der Bundesrepublik Deutschland an antisemitische Positionen des Nazifaschismus erinnern, sind sie inakzeptabel und scharf zu verurteilen", heißt es weiter. Der Bundestag solle beschließen, "jeden Antisemitismus in BDS-Aufrufen zum Boykott von israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern oder Sportlerinnen und Sportlern, sowie von israelischen Waren und Unternehmen zu verurteilen".
Die Bundesregierung wird aufgefordert, "eine friedliche Lösung zu befördern und sich für zwei unabhängige, demokratische und miteinander kooperierende Staaten, auf Basis der bisherigen UN-Resolutionen sowie der zwischen beiden Parteien abgeschlossenen Abkommen, einzusetzen".
Unterstützung für die am weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte Israels
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begrüßte in einer Twittermeldung die Resolution des Bundestags als "wichtige Entscheidung". "Ich gratuliere dem Deutschen Bundestag zu der wichtigen Entscheidung, die Boykottbewegung (BDS) als antisemitische Bewegung zu brandmarken und anzukündigen, dass es verboten ist, sie zu finanzieren." Er hoffe, dass diese Entscheidung konkrete Schritte nach sich ziehe und forderte andere Länder dazu auf, es dem Bundestag gleichzutun. Israel verweigert seit Beginn des Jahres 2018 Organisationen und Personen, die BDS unterstützen, die Einreise. (siehe CPI: "Israel Bars Entry to Groups Promoting BDS Movement")
Netanjahu betrachtet den Beschluss des Bundestages als Unterstützung für seine Politik.
Mit dem "Nationalstaatsgesetz" teilt er die Bevölkerung Israels in zwei unterschiedliche Gruppen: das "jüdische Volk", das im Staat Israel das nationale Selbstbestimmungsrecht hat, und alle Menschen nicht-jüdischer Abstammung, denen kein nationales Selbstbestimmungsrecht zuerkannt wird. "Eine sehr klare Form der Apartheid", sagt der israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim. (siehe kommunisten.de: "Israels Rechte errichten Apartheid-Staat")
Seit die US-Regierung ihre Botschaft nach Jerusalem verlegt hat, verstärkt Netanjahu die Vertreibung palästinensischer Familien aus dem besetzten Ost-Jerusalem, ihre Wohnungen werden zerstört oder an jüdische Siedler*innen übergeben. (siehe CPI: "UN Officials Call for Immediate Halt to East Jerusalem Demolitions" | "Israel’s Gradual Ethnic Cleansing of Occupied East Jerusalem Continues") Im Westjordanland wird die Bewegungsfreiheit von Palästinenser*innen eingeschränkt. Das israelische Militär begeht ungestraft Kriegsverbrechen.
Nun sollen auch auf den besetzten Golanhöhen neue Siedlungen gebaut werden; US-Präsidenten Donald Trump hat kürzlich die von Israel besetzten syrischen Golanhöhen als israelisches Territorium anerkannt.
Bundestagsbeschluss unterscheidet nicht zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten
So ist auch an dem Bundestagsbeschluss bemerkenswert, dass er nicht zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten unterscheidet. Auch ein Boykott von Waren, die aus den völkerrechtlich illegalen israelischen Siedlungen stammen, wird damit indirekt als antisemitisch gebrandmarkt. Das steht grundsätzlich im Widerspruch zur Uno-Resolution 2334 vom Dezember 2016, die alle Staaten auffordert, "in ihren relevanten Beziehungen zwischen dem Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden".
Netanjahu zählt zu den vehementesten Unterstützern der Aufkündigung des Atom-Abkommens mit dem Iran durch die US-Regierung, verlangt einen schärferen Wirtschaftskrieg gegen den Iran und schließt auch einen Krieg nicht aus. (siehe kommunisten.de: "Netanyahu schmiedet Allianz für Krieg gegen Iran")
Konsequenterweise schlug der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, umgehend vor, den Beschluss des Bundestages gegen BDS auf das iranische Regime auszuweiten, weil es die Zerstörung des jüdischen Staates anstrebe. "Das iranische Regime fordert die Zerstörung Israels. Keine Finanzierung für Instex jetzt?", twitterte er am Samstag (18.5.). Instex ist der Finanzierungsmechanismus, der von Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich eingerichtet wurde, um die US-Sanktionen gegen Teheran zu umgehen und den Handel mit der Islamischen Republik Iran aufrecht zu erhalten.
Während die israelische Regierung den Bundestagsbeschluss begrüßt, kritisieren über 60 israelische und jüdische Intellektuelle in einem Aufruf, dass der Bundestag "der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels" helfe, "jeden Diskurs über palästinensische Rechte und jede internationale Solidarität mit den Palästinensern, die unter militärischer Besatzung und schwerer Diskriminierung leiden, zu delegitimieren".
Jüdische und israelische Intellektuelle warnen vor Gleichsetzung von BDS und Antisemitismus
In dem Aufruf warnen sie davor, BDS mit Antisemitismus gleichzusetzen, wie es die Bundestagsresolution nun tut. Diese Vermischung sei "inakzeptabel und eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland". Die Unterzeichner*innen weisen darauf hin, dass unter ihnen sowohl Unterstützer*innen als auch Gegner*innen der BDS-Bewegung seien. Sie alle lehnten jedoch "die trügerische Behauptung ab, dass die BDS-Bewegung als solche antisemitisch sei, und wir verteidigen das Recht jeder Person oder Organisation, sie zu unterstützen". "Wir fordern Sie auf, Antisemitismus und alle Formen von Rassismus zu bekämpfen, ohne diese böswilligen Bemühungen zu unterstützen. Wir bitten Sie, die freie Meinungsäußerung und demokratische Räume in Deutschland zu schützen, anstatt diejenigen zu isolieren und zum Schweigen zu bringen, die ihre politischen Überzeugungen gewaltfrei zum Ausdruck bringen", heißt es in dem Aufruf.
Vermischung von BDS und Antisemitismus ist inakzeptabel
Zudem warnen sie davor, die mehr als hundert palästinensischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den BDS-Aufruf unterzeichnet haben, künftig von deutscher Förderung auszuschließen. Das würde zu einer weiteren Schwächung der gesamten palästinensischen Gesellschaft beitragen. ("Aufruf von Jüdischen und Israelischen Wissenschaftlern an Deutsche Parteien, BDS nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen", 15.5.2019)
Auch die Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Muriel Asseburg, ist der Auffassung, dass die BDS-Kampagne nicht als antisemitisch eingestuft werden dürfe. "Ziele, Argumentation und Methoden sind nicht antisemitisch, da sie sich nicht gegen Juden als Personen und nicht gegen den jüdischen Glauben richten", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Methoden wie Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen sind gewaltfreie und legitime Mittel, um Anliegen wie die Wahrung der Menschenrechte durchzusetzen", sagte sie. "Einzelne Vertreter dieser Bewegung können von Judenhass motiviert sein und manche Aktionen können auch problematisch sein. Das entspricht aber nicht dem Mainstream der Bewegung."
Katja Maurer von medico international meint in einem Kommentar, dass der Bundestag mit seinem Beschluss dem Kampf gegen Antisemitismus "einen Bärendienst" erweist. Sie weist darauf hin, dass die meisten der im Bundestag vertretenen Parteien politische Stiftungen haben, die auch in den palästinensischen Gebieten tätig sind und die fast alle mit Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, die den BDS-Aufruf unterzeichnet haben. "Sie werden sie hoffentlich auch künftig fördern", hofft sie.
BDS. Kein seriöser Umgangvon Katja Maurer, medico international "… Der Antisemitismus-Vorwurf ist zu einem billigen Versuch der Zensur verkommen, der nach Aufmerksamkeit in einem marktschreierischen öffentlichen Raum heischt. Ohne wirklich praktische Folgen, aber ehrverletzend. Zugleich erweist diese Form der Debatte dem Kampf gegen den Antisemitismus einen Bärendienst. Das zeigt nicht zuletzt der AfD-Antrag, der den Antisemitismus-Vorwurf als Kampfbegriff gegen den Islam missbraucht und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Nachdenklichkeit, Differenziertheit, dialektisches Denken – all das ist in einem so polarisierten Raum nicht möglich und nicht gewollt. Wie da kritisches Bewusstsein entstehen und eine reflektierte Debatte stattfinden soll, bleibt ein Rätsel. Erst recht offen bleibt die Frage, wie Initiativen entstehen sollen, die Bewegung in die dramatisch verfahrene Situation im israelisch-palästinensischen Konflikt bringen können. Der zu erwartende Beschluss des Bundestages gegen BDS wird die außenpolitischen Möglichkeiten Deutschlands, Druck für eine politische Lösung auf Israel auszuüben, die auch die Interessen der Palästinenserinnen und Palästinenser berücksichtigt, weiter einschränken. Eine differenzierte Debatte über und mit BDS ist nötig Auch macht ein Bundestagsbeschluss ebenso wie der Antisemitismus-Vorwurf gegen die Kampagne jede kritisch-solidarische Diskussion um BDS unmöglich. Die Boykottforderung des BDS ist zwar differenzierter als es gemeinhin dargestellt wird, trotzdem ist im deutschen Kontext ein Boykottaufruf im Zusammenhang mit Israel unauflöslich mit der Erinnerung an den nationalsozialistischen Judenboykott verknüpft. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt und den Holocaust nur für Geschichte hält, betreibt einen gefährlichen Normalisierungsdiskurs in Bezug auf die deutsche Geschichte. Dennoch sollte man auch zur Kenntnis nehmen, dass Sanktionen ein vielfach eingesetztes Mittel der internationalen Politik sind. Man denke nur an den Iran oder Russland. Kritisch zu fragen wäre BDS auch, wie der emotionalisierte Diskurs über den israelischen Kolonialismus eine profunde Beschäftigung mit dem Antisemitismus und seiner Historie überlagert und zunichte macht. Die Frage muss erlaubt sein, wo es um Solidarität und wo es um Projektion eigener antikolonialer Geschichte auf Israel geht. Hier gilt es unbedingt zu trennen zwischen einer rechten bis rassistischen Regierung in Israel, einer infamen Besatzungspolitik und „Israel in den Grenzen von Auschwitz“ (Dan Diner). Wie kann eine politische Bewegung für die Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser aussehen, die tatsächlich etwas ändert? Manchmal hat man den Eindruck, dass die sehr heterogene BDS-Bewegung dem Credo folgt, jedes Echo sei gutes Echo. Ob aber die Lautstärke, mit der BDS agiert, wirklich so erfolgreich ist oder ob das Pro- und Contra-BDS nicht eigentlich nur dazu dient, die Lager zu verrammeln, wäre vielleicht eine sinnvollere Diskussion als die Entkernung des Antisemitismus-Vorwurfs fürs politische Tagesgeschäft. …" Auszug aus dem Kommentar von Katja Maurer, medico international, 16.5.2019: "BDS. Kein seriöser Umgang" |
Maurer ist mit ihrer Befürchtung nicht alleine. Vertreter*innen anderer deutscher politischer Stiftungen, die im Nahen Osten tätig sind, sehen den Beschluss ebenfalls kritisch. Sie befürchten, die Resolution könnte ihre Arbeit in Israel, Palästina und den Nachbarstaaten erschweren, denn die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Palästina, mit denen sie zusammenarbeiten, haben 2005 den BDS-Aufruf unterzeichnet. "Mit all diesen Gruppen setzen wir uns mit der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung auseinander - aber selbstverständlich auch immer mit den Menschenrechtsverletzungen der Palästinensischen Autonomiebehörde", sagt z.B Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, in einem Interview.
Der Beschluss geht zu weitBarbara Unmüßig: Wir stehen hinter wesentlichen Aussagen der Resolution. Für Antisemitismus gibt es keine Legitimation. Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar. Entsprechenden Äußerungen treten wir vor Ort als Stiftung in Israel, in den palästinensischen Gebieten und in Jordanien auch stets entgegen. Trotzdem geht der Beschluss zu weit. SPIEGEL ONLINE: Warum? Unmüßig: Weil er nicht differenziert. Die Gleichsetzung von BDS-Unterstützern mit Antisemiten geht nicht. Es gibt unbestritten innerhalb der Bewegung antisemitische Aktivitäten und Tendenzen, aber die kann man nicht mit der Bewegung als ganzer gleichsetzen. SPIEGEL ONLINE: Arbeiten Sie mit BDS-Unterstützern zusammen? Unmüßig: Die meisten zivilgesellschaftlichen Gruppen in Palästina haben 2005 den BDS-Aufruf unterzeichnet. Viele auch deshalb, weil sie damals den Ausbruch einer dritten Intifada verhindern wollten. Anstatt gewaltsam gegen die israelische Besatzung vorzugehen, haben sie sich für einen friedlichen und gewaltlosen Widerstand entschlossen. Darunter sind Frauengruppen, mit denen wir für Gleichberechtigung kämpfen, Beduinen, mit denen wir für das Recht auf Wasser streiten, Jugendgruppen, die wir zu kritischem Denken animieren wollen. Mit all diesen Gruppen setzen wir uns mit der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung auseinander - aber selbstverständlich auch immer mit den Menschenrechtsverletzungen der Palästinensischen Autonomiebehörde. Quelle: Spiegel online, 17.05.2019: "Kritik an Israel-Resolution im Bundestag "Der Beschluss geht zu weit" |
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW lehnt den Bundestagsbeschluss ebenfalls ab. Sie appellierte an die Abgeordneten des Bundestages, dem Antrag "Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen" nicht zuzustimmen. Die IPPNW bekräftigt, dass sie "die Forderung, Antisemitismus in allen seinen Formen zu verurteilen und zu bekämpfen" entschieden unterstützt. Mit dem inzwischen beschlossenen Antrag werde jedoch die BDS-Bewegung mit ihrer "pauschalen Einstufung als antisemitisch" delegitimiert, ein Diskurs über Menschenrechte verhindert und so die Meinungsfreiheit gefährdet.
Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr" … Auf dem Hintergrund der Statistik des BKA und der Erfahrungen in der Friedensarbeit ist die Absage an jegliche Auseinandersetzung mit der Kampagne BDS (Boycott, Divestment und Sanctions) und ihre pauschale Einstufung als antisemitisch für die IPPNW allerdings nicht nachvollziehbar. Die Delegitimierung der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, verhindert einen Diskurs über Menschenrechte, über die anhaltende Verletzung von Völkerrecht und über mögliche Lösungen. In der Vergangenheit hat bereits mehrfach schon eine unterstellte Unterstützung der BDS-Bewegung zu Diffamierungen (z.B. bei der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die "Jüdische Stimme"), Ausgrenzung, und Dialogverweigerung geführt. Auch wenn die deutsche IPPNW nicht Mitglied der BDS-Bewegung ist, sieht sie doch im Dialog mit ihren Vertreter*innen eine wichtige Voraussetzung für eine konstruktive Diskussion - auch hier in Deutschland. Auf die Einhaltung des Völkerrechts und die Wahrung von Menschenrechten mit dem gewaltfreien Mittel des Boykotts hinzuweisen, wie es die BDS-Bewegung tut, ist nicht gleichzusetzen mit der Ablehnung des Existenzrechts eines Staates. Gerade die Sorge um das Weiterbestehen eines demokratischen Staates Israels ist eine Triebfeder vieler Menschen, die BDS als sinnvolle Initiative betrachten. …" Auszug aus der Erklärung der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW, 17.5.2019: "Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Antrag zu BDS" |
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