Europa

17.11.2024: EU-Parlament verschiebt Gesetz zum Schutz der Wälder und des Klimas ++ Im Jahr 2019 war der Kampf gegen die Klima- und Umweltkrise das Bindeglied zwischen den beiden großen Fraktionen, den Christdemokraten und den Sozialdemokraten. Heute haben sich die Dinge geändert: Die Umwelt ist nach wie vor der Klebstoff, aber zwischen der EVP und den ultrarechten Kräften (einschließlich der AfD), die sich zusammengeschlossen haben, um Umwelt- und Klimapolitik zu verzögern oder zu blockieren. ++ Tiefe Übereinstimmung zwischen den Positionen der EVP und denen der Ultrarechten auch in anderen Bereichen

 

Wenn in Brasilien die Regenwälder brennen, ist die Empörung in Europa groß. Für Rinderweiden, den Anbau von Soja als Tierfutter, aber auch Palmöl, Holz, Kakao und Kaffee werden vor allem in Südamerika und Südostasien riesige Flächen Regenwald abgeholzt und zum Beispiel auch Graslandökosysteme und Savannenwälder im brasilianischen Cerrado in gigantische Ackerflächen umgewandelt. Doch tatsächlich trugen die Handelspolitik der EU und der Fleischhunger der Europäer:innen erheblich zur Waldzerstörung besonders in Brasilien, Indonesien, Paraguay und Argentinien, aber auch in anderen Ländern bei. Für den Konsum an landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Europa werden anderswo auf der Welt Wälder zerstört oder geschädigt.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass zwischen 1990 und 2020 420 Millionen Hektar Wald - eine Fläche größer als die EU - durch Entwaldung verloren gegangen sind. Der EU-Verbrauch macht etwa 10 % der weltweiten Entwaldung aus. Palmöl und Soja sind für mehr als zwei Drittel davon verantwortlich.

Amazonas abgeholzter Regenwald

Entwaldungsfreie Lieferketten sind daher ein wichtiger Baustein für den Schutz der Umwelt und des Klimas.

Am 19. April 2023 beschloss das EU-Parlament die Entwaldungsverordnung, die darauf abzielt, den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt zu bekämpfen. Nach dem Gesetz dürfen Produkte wie Kaffee, Holz, Soja, Kakao,Kautschuk, Palmöl und aus Rindern hergestellte Erzeugnisse künftig nur noch dann in der EU verkauft werden, wenn dafür nach 2020 keine Wälder gerodet wurden. Damit soll auch die Abholzung des Regenwaldes etwa im südamerikanischen Amazonasgebiet deutlich reduziert werden. Unternehmen müssen künftig eine Sorgfaltserklärung abgeben, dass für ihr Produkt nach dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder geschädigt wurde. Wer sich nicht an die Vorschriften hält, muss mit hohen Strafen von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes in der EU rechnen.

Die Regelungen gelten auch für Landwirte, Waldbesitzer und Händler in der EU, sobald sie die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse auf dem EU-Markt bereitstellen oder exportieren.

Die Verordnung ist am 30. Juni 2023 in Kraft getreten und sollte nach einer Übergangszeit von 18 Monaten ab dem 30. Dezember 2024 angewendet werden. Für kleine Unternehmen sollte eine Übergangszeit von 24 Monaten gelten.

Grüne Minister: Anwendung der Verordnung verschieben

Doch EU-Mitgliedstaaten und betroffene Unternehmen wehren sich gegen die Verordnung und erklärten, dass sie nicht in der Lage wären, die Vorschriften der EU-Entwaldungsverordnung einzuhalten, wenn sie ab Ende 2024 gelten würden.

Daraufhin haben bereits im April 2024 auf Initiative von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zusammen mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) mehrere EU-Mitgliedstaaten an die Europäische Kommission appelliert, den Anwendungsstart zu verschieben. Die Kommission stimmte Anfang Oktober zu und schlug eine Verschiebung um 12 Monate vor.[1]

EU-Parlament: Verschiebung um ein Jahr

Am Donnerstag, 14. November, hat auch das EU-Parlament die Verschiebung um ein Jahr mit 371 Stimmen gegen 240 Stimmen und 30 Enthaltungen gebilligt.

EU Allianz EVP Ultrarechte gegen Umwelt

Das Parlament nahm auch andere Änderungen an, darunter die Schaffung einer neuen Kategorie von Ländern, die hinsichtlich der Entwaldung "kein Risiko" darstellen, zusätzlich zu den bestehenden drei Kategorien "geringes", "normales" und "hohes" Risiko. Für Länder, die als "kein Risiko" eingestuft werden, d. h. für Länder mit stabiler oder zunehmender Entwicklung der Waldfläche, gelten deutlich weniger strenge Anforderungen, da das Risiko der Entwaldung vernachlässigbar sei oder gar nicht bestehen würde.

Eingebracht wurde der Antrag von der Fraktion der Europäischen Volkspartei EVP - der auch CDU und CSU angehören.

Die neue Allianz zur Abschaffung des Green Deal

Weil im EU-Parlament die Grünen sowie die Sozialdemokraten die von einer CDU-Abgeordneten eingebrachten Anträge ablehnten, waren die europäischen Christdemokraten auf die Stimmen der ultrarechten, nationalistischen Abgeordneten angewiesen. Ohne die Stimmen von mehreren AfD-Abgeordneten wäre keine ausreichende Mehrheit zustande gekommen

Damit hat eine Allianz von Christdemokraten und Ultrarechten eines der prominenteren Umweltgesetze ("Entwaldungsverordnung") der Sozialdemokraten und Grünen gekippt.

EP Rechtsallianz

 

Im Jahr 2019 war der Kampf gegen die Klima- und Umweltkrise das Bindeglied zwischen den beiden großen Fraktionen, der Volkspartei und den Sozialdemokraten. Heute haben sich die Dinge geändert: Die Umwelt ist nach wie vor der Klebstoff, aber zwischen der EVP und den ultrarechten politischen Kräften (einschließlich der AfD), die sich zusammengeschlossen haben, um grüne Politik zu verzögern oder zu blockieren

Es lag in der Luft, aber wahrscheinlich hat niemand damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Die Mehrheit aus christdemokratischer Volkspartei, Sozialdemokraten und Liberalen, die es vor einigen Monaten mit Hilfe der Grünen geschafft hatte, Ursula von der Leyen (CDU) für eine neue Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission ins Amt zu hieven, zeigt nun sichtbare Risse.

Die Tatsache, dass die Europäische Volkspartei, nachdem sie ursprünglich die Zustimmung zur Verordnung gegen die Abholzung unterstützt hatte, eine beispiellose Kehrtwende vollzieht und sich mit den Stimmen der Ultrarechten gegen Klima- und Umweltschutz stellt, ist ebenso ein Beweis dafür wie die Pattsituation bei der Anhörung der Kandidatinnen und Kandidaten für die EU-Kommission.

Patt bei der Anhörung der Kandidaten für die EU-Kommission

Die Sozialdemokraten bestehen auf einer gemeinsame Abstimmung über die fünf Vizepräsidenten, die Ausdruck der "Mehrheitsparteien" sind, und eine separate Abstimmung über den sechsten, den "Außenseiter" Raffaele Fitto von den faschistischen Fratelli d'Italia, der zum Kommissar befördert würde, aber nicht Vizepräsident werden soll. Die französischen und die spanischen Sozialdemokraten drohen: Entweder gibt von der Leyen bei Fitto als Vizepräsident nach oder wir stimmen gegen die gesamte Kommission. Die Christdemokraten Volksparteien stellen als Gegenmaßnahme die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribeira als Kommissarin für Green Deal in Frage. Im Moment ist alles eingefroren bis zum 27. November.

Tiefe Übereinstimmung zwischen den Positionen der EVP und denen der Ultrarechten

Die gemeinsame Abstimmung von Christdemokraten und Ultrarechten könne als Drohsignal an die Sozialdemokraten betrachtet werden, um sie in der Frage der Vizepräsidentschaft zu erweichen, meint der italienische Journalist und Kommentator, Andrea Colombo. Das sei zwar nicht ganz unbegründet, aber trotzdem irreführend.

"Es ist nicht so, dass die zweite Ursula-Mehrheit, die um die Grünen erweitert wurde, die im vergangenen Juli für von der Leyens Wiederwahl gestimmt haben, im Sterben liegt. Sie wurde nie geboren. Selbst wenn die Kommission die für den 27. November angesetzte Abstimmung im Europaparlament dank eines Taschenspielertricks bestehen sollte, wäre dies nur eine neue Täuschung. So wie auch das Bündnis vom Juli eine Täuschung war", so Andrea Colombo. Denn in Wirklichkeit gebe es beim Green Deal wie bei der Einwanderung eine echte und tiefe Übereinstimmung zwischen den Positionen der EVP und denen der Rechten, einschließlich ihrer ultrarechten Flügel, Orbáns Patrioten und sogar der AfD-Souveränisten. [2]

Sollte sich diese neue politische Konstellation konsolidieren, wird es nicht nur eine gemeinsame Zerschmetterung von Green-Deal-Projekten geben, sondern angesichts weitgehend identischer Standpunkte wird sie sich auf weitere Bereiche ausdehnen: Rüstungs-, Innen-, Sozial-, Migrations-, Konzern-, Finanz-, Steuer-, Haushalts- und alle Teile der Außenpolitik.

Ein Probelauf fand bereits am 20. September statt, als die Christdemokraten mit den Ultrarechten und Faschisten der Fraktion der Partei Europäische Konservative und Reformer (EKR) unter Vorsitz von Giorgia Meloni und den Patrioten für Europa (PfE mit FPÖ, Lega, Partij voor de Vrijheid, Rassemblement National, Vlaams Belang, Vox, ..) einen gemeinsamen Antrag einbrachten, mit dem der venezolanische Oppositionelle Edmundo Gonzalez Urrutia als Sieger der Wahl in Venezuela im Juli anerkannt wird.

"Anstatt einen Kompromiss mit uns zu suchen, arbeiten die Konservativen mit Rechtsaußen zusammen und ziehen somit eine ultrarechte Mehrheit durch."
Moritz Körner (FDP), Mitglied des Europäischen Parlaments über die gemeinsame Resolution von EVP, EKR und PfE zu Venezuela

"Größere inhaltliche Differenzen können wir zwischen CDU und AfD, EVP und den noch rechteren politischen Gruppierungen im EU-Parlament längst nicht mehr erkennen", sagt der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei).

Die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus sieht in dem Vorgehen ein Einreißen der sogenannten Brandmauer. Das Mitte-rechts-Bündnis EVP "baut aus den Trümmern Brücken zur Rechten", so Paulus.

In Straßburg bilden die Christdemokraten bereits eine Schattenmehrheit mit den Ultrarechten und warten darauf, in den einzelnen Staaten in Regierungskoalitionen zu wechseln - mit Italien, wo sie dies bereits tun, als leuchtendes Vorbild. Die Sozialdemokraten wollen genau das Gegenteil erreichen: eine Barriere errichten, hinter der sie versuchen können, die letzte Verteidigung angesichts einer Offensive zu organisieren, die sie immer weiter zurückdrängt.

Anmerkungen:

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52024PC0452R%2801%29&qid=1731321503796

[2] il manifesto, 15.11.2024: Commissione Ue, comunque sia sarà un insuccesso
https://ilmanifesto.it/commissione-ue-comunque-sia-sara-un-insuccessone


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