12.10.2020: Die Europäische Union durchlebt wirklich schwierige Zeiten mit ihren beabsichtigten Freihandelsverträgen. Erst blockiert Zypern das Freihandels- und Investitionsabkommen CETA mit Kanada und jetzt zeigt das EU-Parlament dem Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Mercosur die rote Karte.
Unter dem Motto »Global Europe« versucht die EU-Kommission bereits seit 2006, europäische Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und die Länder des Südens über Handelsverträge als Rohstofflieferanten und Abnehmer von EU-Agrarüberschüssen und Industriegütern festzuzurren. Der Exportweltmeister Deutschland ist der vehementeste Verfechter der sogenannten Freihandelsabkommen. Während der EU-Ratspräsidentschaft wollte die Bundesregierung denn auch zwei transatlantische Handelsverträge vorantreiben – ein TTIP light und das vor Jahresfrist bombastisch proklamierte Assoziationsabkommen mit der südamerikanischen »Mercado Común del Sur« (Gemeinsamer Markt des Südens).
Doch nichts geht voran. Anfang August geschah sogar ein noch nie dagewesenes Ereignis in der Geschichte der europäischen Handelsverträge. Das Parlament der Republik Zypern lehnte das Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA ab. Ceta könnte nun vor dem Aus stehen. (siehe kommunisten.de: "Zypern stoppt CETA!")
Und nun hat sich das EU-Parlament dagegen ausgesprochen, das Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Mercosur zu ratifizieren. Mit 345 zu 295 Stimmen beschlossen die EU-Parlamentarier*innen, dem fertig ausgehandelten Text könne man in seiner jetzigen Form nicht zustimmen. [1]
20 Jahre verhandelt. Und nun das Aus?
20 Jahre lang hat die EU mit dem 1991 gegründeten Wirtschaftsbund von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay verhandelt - Venezuela ist ebenfalls Teil des Bundes, aber derzeit suspendiert. Das Abkommen würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Die Mercosur-Länder sind ein wichtiger Handelspartner für die EU, die Waren im Wert von rund 44 Milliarden Euro in den Mercosur exportiert, vor allem Maschinen, Autos und Autoteile sowie chemische Produkte wie z.B. Glyphosat. Im Gegenzug importiert die EU aus den Mercosur-Ländern Waren im Wert von 39,5 Mrd. Euro, vor allem Soja, Getreide, Nahrungsmittel, Fleisch und andere tierische Produkte. Die EU ist der zweitwichtigste Handelspartner des Mercosur, vor den USA. Und europäische Unternehmen sind die wichtigsten ausländischen Investoren in der Region.
Mit dem Abbau der Zölle und der geplanten Liberalisierung des Handels würden die Konzerne laut EU-Kommission jährlich 4 Milliarden Euro einsparen; neue Geschäftsmöglichkeiten ergäben sich im Telekom- und IT-Bereich. Durch einen verschärften Patentschutz werden die Rechte der Konzerne gestärkt, aber die Versorgung der Südamerikaner*innen, etwa mit bezahlbaren Generika, ausgehöhlt. Bei Regierungskäufen im Mercosur, die oft zur Stärkung einheimischer Firmen genutzt werden, sollen EU-Multis gleichberechtigt zum Zuge kommen.
"EU-Mercosur-Abkommen - nur Auto gegen Kuh?" Interview mit Antônio Inácio Andrioli |
"Die Zerstörung nicht nur des Amazonasgebietes, sondern auch der artenreichen Ökosysteme Cerrado und Chaco, ist schon jetzt dramatisch, sie müssen lebensfeindlichen Monokulturen weichen. Bayer-Monsanto aber will noch mehr Gensaatgut und Agrargifte verkaufen, Tönnies & Co. importieren Gensoja. BMW, Daimler und VW, dessen brasilianisches Management bereits vor knapp 40 Jahren mit den Folterern der Militärdiktatur zusammenarbeitete, würden langfristig nicht mehr argentinische, sondern chinesische Autoteile verwenden", schreibt der Büroleiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Buenos Aires, Gerhard Dilger. [2]
Die EU verfolgt mit dem Abkommen aber auch noch weiterreichende Ziele. "Das Abkommen sollte auch unter geoökonomischen und geopolitischen Gesichtspunkten bewertet werden", meint Prof. Dr. Detlef Nolte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Mit dem Abkommen könnte die EU "im Spannungsfeld zwischen China und den USA" punkten.[3]
1999 wurde das Projekt im brasilianischen Rio de Janeiro aus der Taufe gehoben. Doch dann kam die linke Welle mit Lula da Silva in Brasilien, Néstor Kirchner in Argentinien und Hugo Chávez in Venezuela. Die Verhandlungen stagnierten.
Mit dem kalten Putsch gegen Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff 2016 und dem darauffolgenden Sieg des rechtsextremen Jair Bolsonaro kam wieder Schwung in die Verhandlungen; Venezuelas Mitgliedschaft war schon Ende 2016 suspendiert worden (siehe kommunisten.de: "Venezuela aus Mercosur ausgeschlossen"), in Argentinien regierte noch der neoliberale Unternehmer Mauricio Macri. Schon im Juli 2019 einigte sich die EU-Kommission mit den vier Mercosur-Staaten auf den Handelsteil des Vertrags. [4] Im Juli diesen Jahres folgte der politische Teil, das übergeordnete, geheime Assoziierungsabkommen.
Doch inzwischen hat sich die politische Konjunktur schon wieder geändert.
Im Mercosur-Land Argentinien regiert seit Ende 2019 wieder eine linksperonistische Regierung unter Alberto Fernández, der seine Skepsis gegenüber dem Mercosur-Deal stets betont hat.
In Europa setzt die »Fridays for Future« Bewegung das Thema der Klimakatastrophe auf die politische Tagesordnung. So wurde vor allem wegen der Abholzungen und Waldbrände im Amazonasgebiet die Kritik am Mercosur-Abkommen immer lauter. Das Abkommen gilt als Brandbeschleuniger für den brasilianischen Urwald. Das EU-Parlament hat denn auch seine Ablehnung mit der Umweltpolitik des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro begründet.
Darüber hinaus befürchten Europäische Landwirte unfaire Konkurrenz durch südamerikanische Agrarkonzerne. Die Landwirtschaftsminister von elf deutschen Bundesländern forderten bei ihrer Sitzung am 25. September 2020 von der Bundesregierung, die Ratifizierung des Abkommens auszusetzen!
Mercosur-Vertrag ohne Klimaschutz
Am 8. Oktober veröffentlichte Greenpeace Deutschland den bislang unter Verschluss gehaltenen Vertragstext zum EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen [5], der den Gegner*innen neue Munition gibt. Demnach gilt zwar Rechtsstaatlichkeit als "wesentliche Elemente" des Vertrags, nicht jedoch Umwelt- und Klimaschutz. Das widerspricht dem Vorstoß von Frankreich und den Niederlanden im Mai, das Pariser Klimaabkommen stets zum wesentlichen Element zu machen: in "künftigen und aktuell verhandelten Handelsverträgen".
Die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini sagt: "Weder im Handelsteil noch im politischen Rahmenabkommen gibt es harte Instrumente, um gegen Abholzung und Menschenrechtsverbrechen vorzugehen."
Wenn Klimaschutz ein »wesentliches Element« wäre, könnte die EU bei Verstößen gegen grüne Vorgaben, z.B. wenn Brasilien die Entwaldung des Amazonas durch neue Gesetze erleichtert, Sanktionen verhängen.
"Diese »essential elements« sind mit scharfen Reaktionsmöglichkeiten verbunden, sie haben Macht", sagt Jürgen Knirsch von Greenpeace. "Das heißt, wenn ein Land gegen ein »essential element« verstößt, kann der andere Handelspartner Sanktionen ergreifen. Nehmen wir mal an, Bolsonaro würde tatsächlich den Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen erklären. So wie das Abkommen jetzt gestrickt ist, bliebe der EU nur zu sagen: Ja, schade, das hatten wir doch anders verabredet. Wenn Klimaschutz allerdings ein wesentlicher Bestandteil wäre, könnte die EU hergehen und darauf pochen: Hier wird etwas verletzt oder nicht umgesetzt, was wir eigentlich im Abkommen stehen haben. Wir akzeptieren darum nicht die 99.000 Tonnen mehr Rindfleisch, die wir euch eigentlich laut Abkommen abnehmen würden. Oder sie könnte sagen: Das ist ein solcher Bruch der internationalen Zusammenarbeit, wir erklären das Abkommen mit Brasilien aufgekündigt – oder sogar mit allen Ländern." [6]
"Jetzt aber hat Europa dagegen keine Handhabe", kritisiert Jürgen Knirsch. "Warum verzichtet die EU darauf, gerade Umweltfragen zu sanktionieren?"
Absetzbewegung
Nach der Veröffentlichung der bisher unter Verschluss gehaltener Teile des Mercosur-Handelsvertrags durch Greenpeace fordert jetzt auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) Nachbesserungen: "So wie das Abkommen derzeit vorliegt, kann ich eine Ratifizierung nicht unterstützen", sagte die SPD-Politikerin am Freitag [9.10.) der Süddeutschen Zeitung. "Eine Schwachstelle des Abkommens ist, dass Verstöße gegen die Umweltregeln nicht so streng sanktioniert werden wie Verstöße gegen die Handelsregeln." Dieses Ungleichgewicht müsse behoben werden, so Schulze.
Das sieht der neue EU-Handelskommissar Vladis Dombrovskis offenbar ähnlich. Solange Brasilien keine Zusagen zum Schutz des tropischen Regenwaldes mache, werde die EU dem Mercosur-Abkommen nicht zustimmen, sagte Dombrovskis. Damit distanzierte sich erstmals auch ein hochrangiges EU-Kommissionsmitglied von dem umstrittenen Vertragswerk.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich bereits im Sommer skeptisch zu einer Unterzeichnung des Abkommens in der jetzigen Form geäußert. Merkel sagte, sie teile Geist und Intention des Abkommens, es müsse aber über Klima- und Umweltschutz verhandelt werden.
Auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, Markus Söder, hält das ausgehandelte Freihandelsabkommen inzwischen nicht mehr für umsetzbar. Die EU-Abgeordneten der CSU haben denn auch, im Unterschied zu ihren CDU-Kolleg*innen, für den Antrag gestimmt, dass das Abkommen "in seiner jetzigen Form" nicht ratifiziert werden kann. [1]
Mit der zunehmenden Kritik zieht Deutschland hinter einer Reihe von europäischen Mitgliedstaaten hinter her. Auch von Frankreich wird das Handelsabkommen abgelehnt. Offene Ablehnung des Abkommens kommt seit längerem aus Österreich. Skepsis gibt es außerdem in den Niederlanden und Belgien.
Damit das Abkommen in Kraft tritt, muss das Europaparlament zustimmen sowie die Regierungen aller EU-Mitgliedsländer und deren Parlamente. So dürfte das EU-Mercosur-Abkommen vorerst keine Chancen haben, zumindest bis Brasilien seine Klimapolitik ändert und Frankreich 2022 wählt, denn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will das heikle Thema vor den Wahlen 2022 nicht anfassen.
"Jetzt verhandeln die Kommission und die Mitgliedsstaaten im Hintergrund darüber, wie man das Abkommen noch retten kann", sagt die EU-Abgeordnete der Grünen, Anna Cavazzini. Denn ein endgültiges Aus von Mercosur wäre für die EU ein schwerer Rückschlag.
So schlägt der Handelsausschussvorsitzende Bernd Lange (SPD) vor, ein begleitendes Protokoll abzuschließen, das festlegt, wie die Ziele umgesetzt, kontrolliert und Verstöße bestraft werden. Würde das Abkommen aufgeschnürt und mit schärferen Strafmechanismen versehen, hätten die Mercosur-Staaten Gegenforderungen; das Geschachere würde neu beginnen, so Lange.
"Dieses Abkommen, das seit 20 Jahren in der Verhandlung ist, muss gestoppt werden."
Jürgen Knirsch, Greenpeace
Jürgen Knirsch (Greenpeace) warnt vor diesen Manövern. Es werden nun versucht, das Abkommen zu retten, "indem man entweder dieses Nachhaltigkeitskapitel schärft oder von Brasilien in Zusatzvereinbarungen verlangt, dass sie dieses oder jenes machen. Das ist einfach ein faules Abkommen. Wenn man da jetzt Kosmetik betreibt, und eine neue Schale um den verfaulten Apfel tut, wird es das rotte Innenleben nicht verändern."
Knirsch: "Wir hätten dann zwar ein Kapitel, das besser wäre und Biss hätte, aber das würde an dem ganzen Mechanismus ja nichts ändern. Es würde trotzdem dieser unsinnige, veraltete Deal stattfinden: Wir würden diese Länder nach wie vor benutzen, um von ihnen billige Rohstoffe zu bekommen – die dann vielleicht etwas umweltfreundlicher abgebaut oder angebaut werden. Und wir schicken mit Klimaschutz nicht in Einklang stehende Autos dorthin. Die anderen Kapitel des Abkommens würden damit auch nicht nachhaltiger. … Deshalb lautet die richtige Forderung: Dieses Abkommen, das seit 20 Jahren in der Verhandlung ist, muss gestoppt werden, wenn man mit diesen Ländern einen gerechten Handel im Einklang mit den Grenzen des Planeten betreiben will." [6]
"Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein neokoloniales, menschen- und umweltfeindliches Projekt, ja ein einziger Anachronismus – und deswegen wird es scheitern."
Gerhard Dilger, Büroleiter des RLS-Regionalbüros in Buenos Aires
EU-Mercosur – Ein giftiges Abkommen: Reiseführer zum EU-Mercosur Abkommen und PestizidhandelDer Reiseführer "EU-Mercosur – ein giftiges Ankommen" wird von Powershift veröffentlicht und zusammen mit Attac Deutschland, Campact, den Naturfreunden Deutschland, dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, dem Forum Umwelt und Entwicklung sowie der Plattform Anders Handeln Österreich herausgegeben. Der Reiseführer führt zu den beliebtesten Reisezielen von in Deutschland produzierten Pestiziden, in diesem Fall in die vier Mercosur-Staaten: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Das Handelsabkommen, das die EU mit diesen Ländern abgeschlossen (aber noch nicht unterschrieben) hat, würde den Import von Pestiziden in den Mercosur vergünstigen. Zudem treibt es ein Landwirtschaftsmodell voran, das vom Verbrauch großer Mengen an Pestiziden abhängt. Profitieren würden u.a. deutsche Pestizidhersteller wie Bayer und BASF, die bereits heute Pestizide in diese Region exportieren, auch solche, die in der EU auf Grund ihrer Gefährlichkeit nicht zugelassen sind. Zum Download: https://power-shift.de/wp-content/uploads/2020/07/Reisef%C3%BChrer_EU_Mercosur_Ein_giftiges_Abkommen_Juli_2020.pdf |
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Anmerkungen
[1] Das Abstimmungsverhalten der deutschen Europaabgeordneten:
https://twitter.com/gruene_europa/status/1313828252105007112
[2] https://www.rosalux.de/news/id/42626/vampirvertrag-stoppen
[3] https://internationalepolitik.de/de/das-abkommen-eu-mercosur
[4] http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=2048
[5] https://trade-leaks.org/mercosur-eu-association-agreement-leaks-8-october-2020/
[6] https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft-wirtschaft/handelsabkommen/keine-autos-fuer-kuehe