05.04.2024: Am Montag und Dienstag, 8. und 9. April, wird der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Anhörungen im Fall Nicaragua gegen Deutschland durchführen. Vorwurf: Beihilfe zum Völkermord. Deutschland liefert Waffen und beteiligt sich am Hungerkrieg ++ UN-Menschenrechtsrat fordert Ende der Waffenlieferungen an Israel. Deutschland stimmt mit NEIN
Am Montag und Dienstag, 8. und 9. April, wird der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Anhörungen im Fall Nicaragua gegen Deutschland durchführen.
Zeitplan für die Anhörungen
Montag, 8. April 2024, 10 bis 12 Uhr: Mündlicher Vortrag (Nicaragua)
Dienstag, 9. April 2024, 10 bis 12 Uhr: Mündliche Verhandlung (Deutsch)
Die Anhörungen werden live und auf Abruf (VOD) in den beiden Amtssprachen des Gerichtshofs auf der Website des Gerichtshofs (https://www.icj-cij.org/home) und auf UN Web TV (https://webtv.un.org/en/schedule) übertragen.
Auch auf https://www.theleftberlin.com/events/livestream-germany-on-trial-at-the-icj/ ist die Anhörung ebenfalls live zu verfolgen.
IGH: Vorwurf des Völkermordes ist "plausibel"
Am 26, Januar 2024 hat der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice ICJ / IGH) in Den Haag eine vorläufige Entscheidung in der von Südafrika gegen Israel angestrengten Klage gefällt hatte, in der dem Israel Völkermord im Gazastreifen vorgeworfen wird. Der IGH hält den Vorwurf des Völkermordes für "plausibel" und wies Israel als Besatzungsmacht an, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Handlungen zu verhindern, die nach der Völkermordkonvention verboten sind. (siehe kommunisten.de, 27.1.2024: "Internationaler Gerichtshof: Israel muss völkermörderische Handlungen verhindern.")
Inzwischen kündigte die Regierung Irlands an, als Nebenkläger die Klage Südafrikas gegen Israel wegen Genozidan den Palästinensern in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu unterstützen.
Auch die deutsche Regierung kündigte im Januar an, in dem Verfahren zu intervenieren. Aber auf Seiten Israels, das laut IGH "in mindestens mehreren Punkten" plausibel Verbrechen begeht, die "unter die Genozidkonvention fallen".
Nicaragua verklagt Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord
Nicaragua hat nach der vorläufigen Entscheidung des IGH beim IGH einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens gegen Deutschland wegen angeblicher Verstöße Deutschlands gegen seine Verpflichtungen aus der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, den Genfer Konventionen von 1949 und ihren Zusatzprotokollen, "unveräußerlichen Grundsätzen des humanitären Völkerrechts" und anderen Normen des allgemeinen Völkerrechts in Bezug auf die besetzten palästinensischen Gebiete, insbesondere den Gazastreifen, gestellt.
Nicaragua bittet den Gerichtshof, in Erwartung der Entscheidung des Gerichtshofs in der Hauptsache, vorläufige Maßnahmen in Bezug auf die "Beteiligung Deutschlands an dem anhaltenden Völkermord und den schwerwiegenden Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und andere zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts im Gazastreifen" anzuordnen, da dies äußerst dringend sei.
In diesem Sinne fordert Nicaragua die deutsche Regierung auf, "die Lieferung von Waffen, Munition, Technologie und/oder Komponenten an Israel unverzüglich einzustellen, da es plausibel ist, dass diese dazu verwendet werden könnten, Verstöße gegen die Völkermordkonvention zu erleichtern oder zu begehen".
Darüber hinaus hat Nicaragua darauf hingewiesen, dass die Aussetzung der Mittel für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) durch diese Länder zeigt, dass diese Regierungen aktiv Verstöße gegen die Regeln des Völkerrechts durch Israel zum schweren und unmittelbaren Schaden des palästinensischen Volkes, insbesondere der Menschen im Gazastreifen unterstützen. (siehe kommunisten.de, 12.2.2024: "Nicaragua verklagt Deutschland vor dem IGH wegen Beihilfe zum Völkermord")
Alessandra Annoni, Dozentin für internationales Recht an der Universität Ferrara, sagt dazu: "Nicaraguas Klage gegen Deutschland ist ein anderes Verfahren als die Südafrikas: Sie zielt darauf ab, die deutsche Verantwortung für das Versagen bei der Verhinderung des Völkermords in Gaza festzustellen. Berlin hat es versäumt, seiner Verpflichtung aus dem ersten gemeinsamen Artikel der Genfer Konventionen nachzukommen, nämlich für die Einhaltung der Regeln des humanitären Völkerrechts zu sorgen. Der Fall stützt sich auf die Lieferung von Waffen an Israel, von denen man weiß, dass sie zur Durchführung von Handlungen verwendet werden, die schwere Verletzungen der Grundrechte und des humanitären Rechts darstellen, sowie auf die Aussetzung der Finanzierung der einzigen Organisation, die in der Lage ist, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu sichern: Durch die Aussetzung der Finanzierung der UNRWA verhindert Berlin, dass diese Bedürfnisse gesichert werden."
|
||
Trümmer und Leichen. Die Überreste des Al Shifa Krankenhauses nach dem israelischen Angriff |
||
|
UN-Experten fordern ein sofortiges Waffenembargo gegen Israel. Deutschland liefert weiter
Am 23. Februar 2024 haben führende UN-Rechtsexpert:innen erklärt, dass bei Staaten, die weiterhin Waffen und Munition an Israel liefern, die Gefahr der Verletzung humanitären Völkerrechts besteht. Staaten, welche die Genfer Konvention ratifiziert haben, müssen von Waffenexporten absehen, wenn angesichts der Tatsachen und früheren Verhaltensmustern zu erwarten ist, dass sie bei der Verletzung des Völkerrechts verwendet werden.
Sie fügen hinzu, dass die Ausfuhr von Waffen und Munition nach Israel unterbleiben muss, solange ein eindeutiges Risiko besteht, dass die Genfer Konventionen von 1949 und die Vertragsstaaten des Waffenhandelsabkommens verletzt werden und die Waffen zur Begehung von Verbrechen verwendet werden. Dies gilt auch für den Austausch militärischer Geheimdienstinformationen.
Dabei betonen sie, dass die Eilentscheidung des IGH vom 26.01.2024 würde die Notwendigkeit eines Waffenembargos bestärkt, da nach Ansicht des IGH in Gaza ein plausibles Risiko eines Völkermordes besteht. Die UN-Rechtsexpert:innen betonten auch, dass Personen im Amt, die durch ihr Handeln gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen, im Rahmen der Weltgerichtsbarkeit vor dem internationalen Strafgerichtshof strafrechtlich verfolgt werden können.
In dem Bericht werden die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Australien genannt, die seit Oktober Waffen an Israel geliefert haben, wobei Deutschland, das im vergangenen Jahr nach dem 7. Oktober die Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht hat, nach den USA der zweitgrößte Lieferant von Rüstungsgütern ist. [1]
Unter den Eindrücken des Vorgehens der israelischen Armee in Gaza und der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes haben Staaten wie Spanien, Belgien, Italien und seit dem 20.03.2024 auch Kanada ihre Waffenlieferungen an Israel eingestellt. Der japanische Großkonzern Itochu Corporation hat ein Abkommen zur Lieferung von Militärtechnologie an Israel ausgesetzt. Anfang Februar stoppten die Niederlande ein Geschäft über den Export von Teilen des F-35-Kampfjets nach Israel, nachdem ein Gericht festgestellt hatte, dass die israelischen Streitkräfte diese Teile verwenden würden, um "schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu begehen oder zu erleichtern".
In Großbritannien haben sich drei ehemalige Richter des Obersten Gerichtshofs dem mittlerweile von über 600 Jurist:innen unterzeichnetem Aufruf angeschlossen, Waffenverkäufe an Israel zu stoppen. "Die Bereitstellung von militärischer Hilfe und Material für Israel könnte Großbritannien zu einem Beteiligten an einem Völkermord sowie schweren Verstößen gegen das Internationale Humanitäre Recht machen", heißt es in dem Appell.
Die Bundesregierung argumentiert, dass sie in Gaza eine humanitäre Katastrophe, jedoch keinesfalls Völkerrechtsverletzungen durch Israel erkennen könne und die Genehmigungen der Waffenlieferungen im Rahmen des Einschätzungsraums der Bundesregierung rechtmäßig seien.
UN-Menschenrechtsrat fordert Ende der Waffenlieferungen an Israel. Deutschland stimmt mit NEIN
Mit 28 Ja-Stimmen gegen 6 Nein bei 13 Enthaltung hat der aus Vertreter:innen von 47 Staaten bestehende UN-Menschenrechtsrat heute Vormittag in Genf ein Resolution beschlossen, mit der ein Ende der Waffenlieferungen an Israel gefordert wird. Jeglicher Transfer von Waffen, Munition und anderer militärischer Ausrüstung nach Israel müsse gestoppt werden, heißt es mit Verweis auf die "mögliche Gefahr eines Völkermords".
Neben den USA und seinem Anhängsel Deutschland haben nur Argentinien, Bulgarien, Malawi und Paraguay gegen die Resolution gestimmt.
Der von Pakistan im Namen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ) eingebrachte Text wurde auch von Bolivien, Kuba und der palästinensischen Autonomiebehörde unterstützt. In der Resolution wird Israel aufgefordert, "seiner rechtlichen Verantwortung zur Verhinderung eines Völkermords nachzukommen". Neben einem Waffenembargo gegen Israel ruft der Text zudem zu einer sofortigen Waffenruhe im Gazastreifen auf. Zudem wird das Aushungern von Zivilisten als "Methode der Kriegsführung" verurteilt.
Außerdem wird die UN-Untersuchungskommission für die besetzten palästinensischen Gebiete und Israel aufgefordert, über die direkte und indirekte Weitergabe oder den Verkauf von Waffen, Munition, Teilen, Komponenten und Gütern mit doppeltem Verwendungszweck an Israel zu berichten und die rechtlichen Folgen dieser Weitergaben zu analysieren.
Deutschland beteiligt sich am Aushungern der Bevölkerung in Gaza
Israel hat das Palästinensische Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA) beschuldigt, mehr als 450 "Militärangehörige" der Hamas und anderer Widerstandsgruppen zu beschäftigen, und behauptet, dass ein Dutzend von ihnen an dem Angriff auf Israel am 7. Oktober beteiligt war. Stichfeste Beweise präsentierte Israel für die Anschuldigungen nicht.
Die USA, Deutschland und eine Reihe weiterer Länder haben daraufhin trotzdem sofort, und ohne weitere Prüfung der Vorwürfe, die finanzielle Unterstützung der UN-Agentur eingestellt und sich damit an die Seite Israels beim Aushungern der Bevölkerung von Gaza gestellt.
Aber bereits nach einem ersten (vertraulichen) Zwischenbericht der UN-internen Untersuchungskommission vom 29. Februar nahmen Kanada, Schweden, Australien, Dänemark und Finnland ihre Zahlungen wieder auf.
Auch der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarčič sagte, er habe keine Beweise für die Anschuldigungen Israels gegen Mitarbeiter des UNRWA gesehen. Weder ihm noch - seines Wissens nach - irgendjemand anderes bei der EU-Exekutive oder ein anderer UNRWA-Geber sei von Israel Beweise vorgelegt worden. Das UNRWA sollte weiterhin eine " entscheidende " Rolle in Gaza spielen. Daraufhin erklärte die EU-Kommission, sie werde 50 Millionen Euro an das Hilfswerk zahlen, aber 32 Millionen Euro zurückhalten, während sie sich weiterhin mit den israelischen Anschuldigungen befasst.
Im Unterschied dazu hält die deutsche Regierung die Gelder immer noch zurück. Zwar hat das Außenministerium am 25. März erklärt, 45 Millionen Euro für die Arbeit des UNRWA bereit zu stellen, allerdings nur für dessen Arbeit "außerhalb des Gazastreifens".
Anmerkungen
[1] United Nations, Press Realeses, 23.2.2024: Arms exports to Israel must stop immediately: UN experts
https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/02/arms-exports-israel-must-stop-immediately-un-experts
- 'Lavender': KI-gesteuerter Vernichtungskrieg in Gaza. Eine Maschine, die 100 zivile Todesopfer für jeden Hamas-Offiziellen erlaubt
- Trümmer und Leichen. Die Überreste des Al Shifa Krankenhauses nach dem israelischen Angriff
- UN-Bericht: Anatomie eines Völkermordes
- Experten: "Fast ein Viertel der Bevölkerung Gazas vom Tod bedroht" | Lula: "Das ist kein Krieg, das ist ein Genozid."
- Nicaragua verklagt Deutschland vor dem IGH wegen Beihilfe zum Völkermord
- Entscheidung des IGH stürzt Bundesregierung ins Dilemma: Völkerrecht oder Unterstützung Israels
- Internationaler Gerichtshof: Israel muss völkermörderische Handlungen verhindern.
Wortlaut der einstweiligen Maßnahmen in deutscher Übersetzung ++ Vortrag des Urteils durch die Oberste Richterin Joan Donoghue in Stichpunkten ++ Video des Vortrags ++ vollständiger Text des Urteils in englischer Sprache ++ - Südafrika beschuldigt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof des "Völkermords" in Gaza
in einem 84-seitigen Dokument werden der Vorwurf akribisch begründet - UN-Berichterstatterin: Völkermord in Gaza - Interview mit Francesca Albanese
- Die Hölle in den Krankenhäusern von Gaza, Massengräber im al-Shifa Hospital
- Wieder eine Nakba? Durchgesickerte Dokumente bestätigen israelischen Plan, Palästinenser:innen nach Ägypten zu vertreiben
- "menschliche Tiere", das ist "Rhetorik der Nazis ". Oder: Requiem für Gaza