09.08.2019: Jetzt ist das 26. Festival wieder vorbei. Monatelange Planung, dutzende Telefonate und Emails, und dann vergehen die acht Tage des Festivals wie im Flug. Auf der Abschlusszeremonie am vergangenen Samstag (3.8.) hält Bakir, der Hauptorganisator, während eines malerischen Sonnenuntergangs eine bewegende Rede. Er sei begeistert, wie hart die Freiwilligen dieses Jahr gearbeitet hätten, das "Soll" wurde sogar um 25% übertroffen. Was bedeutet das konkret?
Es wurden nicht nur viele dutzend Meter an Betonmauern zur Stabilisierung von Straßen und Häusern gebaut, sondern vor allem im Ökogarten Kamar al Balad mehr Fläche terrassiert als geplant. Das heißt: mehr Platz zum Anbauen im Frühjahr, mehr biologisches Obst und Gemüse, größere Unabhängigkeit von israelischen Produkten.
Natürlich ist allen klar, dass es auf dem Festival nicht auf eine möglichst große Arbeitsleistung ankommt, sondern das solidarisch-kollektive Zusammenarbeiten sinnstiftend für ein zukünftiges Zusammenleben ist. Und genau das hat dieses Jahr so gut funktioniert wie sonst selten. Doch auch inhaltlich war das Festival politischer als in den letzten Jahren. Diskussionsrunden zur Apartheidsmauer, die die Westbank vom Rest der Welt trennt, BDS, Feminismus aber auch zwei Jugendplenen, auf denen sich Jugendliche aus Palästina, Deutschland, Spanien, Dänemark und Kurdistan austauschen konnten, standen auf dem Programm. Daran wollen wir im nächsten Jahr anknüpfen und neue Interessierte sind herzlich Willkommen.
Im weiteren Verlauf seiner Rede dankt Bakir vor allem den Frauen für das Kochen und den Dorfbewohner*innen, die ihre Zementmischer und sonstige Maschinen kostenlos zur Verfügung gestellt hatten. Anschließend sprechen Vertreter von Hadash (http://hadash.org.il) dem Wahlbündnis linker Parteien in Israel, der Fatah und der Gemeinde Salfits, zu der das Dorf Farkha gehört.
Auch der Arbeitsminister (Fatah) ist anwesend und spricht. Das zeigt zwar die (mündliche) Anerkennung des Festivals, die jedoch ohne konkrete Taten bleibt. In den letzten Jahren ist die finanzielle Unterstützung für das Festival von offizieller Seite nach und nach zurückgefahren worden, so dass es von Spenden, auch aus dem Ausland, abhängig ist.
Zentrale Themen bei den meisten Reden: Der sogenannte "Deal of the Century", vorgelegt von Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, der die Dominanz Israels festschreiben soll und die fortschreitende Zerstörung palästinensischer Häuser.
Nach der offiziellen Zeremonie leert sich der Platz, die Gäste, angereist aus der ganzen Westbank und aus Israel, fahren nach Hause und zurück bleiben die palästinensischen und internationalen Freiwilligen. Bis in die frühen Morgenstunden werden Nummern ausgetauscht, Gruppenselfies gemacht und hier und da fließt auch schon mal eine Träne. So eine Woche verbindet und schafft (politische) Bindungen, die ein ganzes Leben halten können.
Standing Together
Am nächsten Tag geht es weiter nach Jerusalem. Am Abend steht dort ein Gespräch mit Uri Weltmann und Carmel Givon von »Standing Together« an. (Infos zu Standing Together) Sie haben Interesse an der Konzeption und der Politik der marxistischen linken. Beide sind Kommunisten, Uri bei Maki, also der Kommunistischen Partei Israels (http://maki.org.il/en/) – er ist Mitglied in deren Zentralkomitee - und Carmel in der Young Communist League, quasi der Jugendorganisation der Partei. Und beide sind vor allem in der jüdisch-palästinensischen Organisation "Standing Together" aktiv. Ein Verhältnis, das nicht immer ganz reibungsfrei ist.
Standing Together versucht den Kampf gegen die Besatzung, aber auch gegen soziale Ungleichheit und den neoliberalen Kapitalismus in Israel zu führen. Mit Jüd*innen und Palästinenser*innen zusammen. Und das ziemlich erfolgreich: In den letzten Monaten ist die Mitgliedschaft von 250 auf mehr als 1.600 angewachsen und bei vielen Protesten, wie gegen Abschiebungen, das Nationalitätengesetz und hohe Mieten war Standing Together präsent und hat bei der Organisation mitgeholfen. Ein witziges Detail am Rande: Während des Gesprächs stellt sich heraus, dass Carmel Givons Großeltern aus Südkurdistan nach Israel kamen, er also Teil der Minderheit der jüdischen Kurd*innen ist. Der Familienname sei früher Barzani gewesen, bevor sie in Israel einen jüdisch klingenden Nachnamen gewählt hätten.
Von anderen Linken wird Standing Together wiederum kritisiert. Der Moment einer gleichberechtigten jüdisch-arabischen Partnerschaft sei vorbei. Der mächtige israelische Staatsapparat ziele voll und ganz auf die Palästinenser*innen ab und deshalb müsse die Energie jüdischer Aktivist*innen darauf gerichtet sein, Palästinenser*innen in ihrem Kampf zu unterstützen (https://972mag.com/false-jewish-arab-partnership/141069/). So würden bei Standing Together Themen vermieden, die als "zu radikal" für den weiteren Beitritt von israelisch-zionistischen Jüd*innen angesehen werden (zum Beispiel BDS). In der Praxis führe dies dazu, dass jüdische Israelis die Führung bei Standing Together hätten und die Palästinenser*innen nur zum Mitmachen eingeladen sind. Eine weitere Kritik besteht in der fehlenden "Bescheidenheit", die für die Solidarität mit den unterschiedlichen Kämpfen erforderlich ist. Nur weil eine Demonstration von den lilafarbenen Plakaten der Bewegung geprägt ist, bedeutet das nicht, dass ausschließlich sie diese Aktion organisiert hat. Solidarität bedeute hinter den Schwachen zu stehen und ihren Kampf zu unterstützen und nicht vor ihnen, mit eigenen Schildern, so die Kritik. So oder so: Standing Together ist eine interessante Initiative, deren weitere Entwicklung man solidarisch verfolgen sollte. Und anscheinend streitet sich die israelische Linke genauso gerne wie die deutsche.
Rojava in Israel/Palästina
Vor der Abreise steht für mich ein weiterer Höhepunkt an: Im Imbala haben haben Academia for Equality und die Rosa Luxemburg-Stiftung in Israel zu einem Vortrag über Rojava eingeladen. Ich berichte über die türkischen Kriegsdrohungen und meine Forschungsreise in die Region. Das Imbala ist ein interessantes Projekt der israelischen Linken. Mitten im Stadtzentrum West-Jerusalems, zum palästinensischen Ost-Jerusalem sind es vier Minuten zu Fuß, liegt der kleine Raum, der an einen Infoladen erinnert, in einer Seitenstraße. Seit Februar 2018 ist er offen und dient als "Safe Space" für Linke, egal ob jüdisch oder palästinensisch.
Sahar, eine der Mitbegründerinnen, sagt: "Als wir gegen den Gaza-Krieg 2014 protestierten, wurden wir auf den Demonstrationen angegriffen. Wir brauchten immer einen Exit-Plan, um unversehrt wegzukommen." So entstand die Idee einen dauerhaften Raum zu schaffen, an dem jenseits von Nationalismus diskutiert werden konnte. In einer Stadt wie Jerusalem, in der die Mieten mit München und Hamburg vergleichbar sind, kein leichtes Unterfangen. Also dient das Imbala jetzt auch als kleines Café um die Kosten zu decken. Alle Veranstaltungen werden in Hebräisch, Arabisch und Englisch angekündigt und es gibt bei Bedarf immer eine Übersetzung.
Das Imbala dient als Treffpunkt für Extinction Rebellion, queere Gruppen, Animal Rights-AktivistInnen und vielen mehr. Naiv frage ich Sahar, warum sie denn keinen Laden in Ost-Jerusalem angemietet hätten, dort seien die Mieten doch billiger. Sie verdreht die Augen und lacht: "Wir sind doch keine Siedler!".
Eigentlich ist das Imbala im Ferienmonat August geschlossen. Für meinen Rojava-Vortrag machen sie eine Ausnahme. Und um kurz nach acht platzt der Raum aus allen Nähten. Fast 40 Leute sind gekommen. "So viele waren es selten", freut sich Sahar. Im Publikum einige Akademiker*innen der Hebrew-Universität, sogar eine Kommunikationswissenschaft- beziehungsweise Medienwissenschaftskollegin aus Deutschland, die in Israel gerade ihr Martin-Buber-Stipendium absolviert. Die Diskussion im Anschluss ist angeregt und solidarisch. Viele hören zum ersten Mal von der türkischen Zusammenarbeit mit dem IS und anderen dschihadistischen Elementen in Syrien und sind begeistert von der Revolution in Rojava. Andere haben mehr Ahnung. Als mir das Wort für die Kritik- und Selbstkritik-Runden in der kurdischen Freiheitsbewegung fehlt, ruft ein israelischer Genosse: "Du meinst doch Tekmil!". Für einige scheint das Konzept des Demokratischen Konföderalismus auch für Israel-Palästina interessant zu sein und schon gibt es die Idee im kommenden Jahr ein Tagesseminar zu Abdullah Öcalans Theorie anzubieten. Na, das wäre doch was!
Bye Palästina! Bye Farkha-Festival! Bye israelische Linke! Wir sehen uns 2020.
Kerem
Fotos vom Farkha-Festival 2019
Fotos von Kerem und von Farkha-Festival auf Facebook
Anmerkungen
Infos zu Standing Together bei
- https://www.standing-together.org/english,
- +972: "The new Jewish-Arab movement that plans to save the Israeli left"
- +972: "To give up on Jewish-Arab partnership is to give up hope" oder bei
- "Das andere Israel", S. 49)
mehr zum Farkha-Festival 2019