Linke / Wahlen in Europa

06.09.2023: Katalanischer Unabhängigkeitsführer Puigdemont nennt Bedingungen für die Unterstützung einer progressiven Regierung ++ Verhandlungen in zwei Phasen: erst Amnestie, dann Selbstbestimmung ++ PSOE: Puigdemont hat "einen Weg des Dialogs eröffnet" ++ Yolanda Diaz: "Wir werden weiter reden, wir werden weiter nach Lösungen durch Dialog und Demokratie suchen."

 

Für die Bildung einer progressiven Regierung brauchen die spanischen Sozialdemokraten PSOE die sieben Stimmen der mitte-rechts Unabhängigkeitspartei "Gemeinsam für Katalonien" (Junts) des katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont. Gestern (5.9.) legte Puigdemont auf einer Pressekonferenz in Brüssel die Grundlinien für eine mögliche Unterstützung der Sozialdemokraten dar. Die rechte Volkspartei PP gewann zwar bei der Wahl am 23. Juli die meisten Sitze, aber weder sie noch Sánchez' sozialdemokratische PSOE in der Koalition mit dem Linksbündnis SUMAR haben eine Mehrheit von 176 Parlamentssitzen.

Francina Armengol (PSOE) zur Vorsitzenden des Kongresses gewählt

Mitte August fand mit der Wahl des Präsidiums der Abgeordnetenkammer die Generalprobe für die Wahl der neuen Regierung statt. Nach zähen Verhandlungen erhielt die PSOE des amtierenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez auch die Zustimmung der katalanischen Unabhängigen für die Wahl der Präsidentin des Unterhauses. Francina Armengol, 52-jährige Sozialdemokratin und ehemalige Präsidentin der Regierung der Balearen, erhielt 178 Stimmen, zwei mehr als die absolute Mehrheit. Francina Armengol ist ausdrücklich republikanisch eingestellt ist, befürwortet den plurinationalen Charakter Spaniens und ist daher bei den Unabhängigen beliebt.

ES Francina Armengol

In ihrer Antrittsrede kündigte Armengol an, dass es den Abgeordneten von nun an möglich sein wird, in Katalanisch, Baskisch und Galicisch zu sprechen, um das "wahre Spanien" im Plenarsaal zu vertreten.

Im Gegenzug für die Wahl eines Präsidiums mit progressiver Mehrheit (die PP erhielt 4 Sitze, die PSOE 3 und SUMAR 2) verpflichteten sich PSOE und SUMAR förmlich, die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission nicht zu behindern, die die Spionagetätigkeit spanischer Behörden gegen zahlreiche Unabhängigkeitsführer mittels des israelischen Spionageprogramms Pegasus untersuchen soll. Zudem erhielt Puigdemont grünes Licht für einen weiteren Untersuchungsausschuss, der die mögliche Verantwortung oder Nachlässigkeit der spanischen Dienste bei den Massakern einer dschihadistischen Zelle klären soll, die am 17. August 2017 ein Massaker auf Barcelonas Las Ramblas und in Cambrils verübte, bei dem 16 Menschen getötet wurden.

Verzichten musste die Katalanen auf eine Amnestie für alle Personen, die wegen ihrer Rolle beim Selbstbestimmungsreferendum 2017 und bei den massiven Protesten nach der Verurteilung mehrerer katalanischer Mandatsträger und Minister (die später von Sánchez begnadigt wurden) im Jahr 2019 strafrechtlich verfolgt werden. Die katalanischen Unabhängigkeitsparteien ERC und Junts erklärten jedoch, bei den Regierungsverhandlungen an der Amnestie festzuhalten. Carles Puigdemont bekräftigte, dass das Ja der Junts per Catalunya nicht als Selbstverständlichkeit für die Amtseinführung von Sánchez angesehen werden sollte.

Carles Puigdemont: Vier Voraussetzungen für Verhandlungen

"Wir haben nicht sechs Jahre Widerstand geleistet, um eine Legislaturperiode zu retten", erklärte Carles Puigdemont gestern bei der Konferenz in einem Brüsselrer Hotel, die einberufen wurde, um die Forderungen von Junts per Catalunya für die Verhandlungen mit der PSOE vorzustellen, wenn sie die Kandidatur von Pedro Sánchez als Präsident einer progressiven Koalitionsregierung unterstützen soll.

Carles Puigdemont war Präsident der katalanischen Regionalregierung, als diese im Oktober 2017 ein von den spanischen Gerichten und der Zentralregierung in Madrid verbotenes Unabhängigkeitsreferendum abhalten ließ. Die Regionalregierung wurde daraufhin abgesetzt, viele führende Aktivist:innen der Unabhängigkeitsbewegung wurden festgenommen und später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Puigdemont floh ins Exil nach Belgien, wo er seitdem lebt, um der Strafverfolgung durch Spanien zu entgehen. Seit 2019 ist er Abgeordneter des Europaparlaments.

"Das Referendum vom 1. Oktober war kein Verbrechen, ebenso wenig wie die Unabhängigkeitserklärung und die massiven Proteste gegen die Unterdrückung und das Urteil des Obersten Gerichtshofs", betonte Puigdemont gestern noch einmal. "Der Verzicht auf Repression zugunsten der demokratischen Unabhängigkeit ist eine ethische Anforderung und muss ein dauerhafter Verzicht sein."

Die Alternative, die die Wahlen vom 23. Juli gebracht haben, ist "zwischen einer politischen Blockade oder einem Pakt", "nicht irgendein Pakt, sondern mit Junts, einer Formation, die man aus dem Weg zu räumen versucht hat", so Puigdemont. Die Distanz ist groß und das Vertrauen minimal, aber "wenn es eine Einigung gibt, muss sie historisch sein", so der Führer der Unabhängigkeitsbewegung.

Er nannte daher vier Voraussetzungen für die Verhandlungen: die Anerkennung und Legitimität der Unabhängigkeit, die endgültige und vollständige Einstellung der Unterdrückung, die Schaffung eines Mechanismus zur Gewährleistung und Überprüfung der Vereinbarungen und die Bezugnahme auf die internationale Gesetzgebung zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten. Die Maximalforderung nach einem vereinbarten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien wird aufgeschoben, wenn auch nicht aufgehoben.

Dies sind Vorbedingungen für die Aufnahme der eigentlichen Verhandlungen, deren endgültiger Abschluss, der einer späteren Phase vorbehalten ist, in der Anerkennung des Grundsatzes der Selbstbestimmung des katalanischen Volkes durch den Staat und somit in der vereinbarten Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit besteht.

Alle Bedingungen, die mit der Verfassung vereinbar sind, betonte Puigdemont, sollen in der Zeit vor der Amtseinführung von Sánchez erfüllt werden. Die Amnestie, die notwendig ist, um die juristische Phase des Katalonienkonflikts abzuschließen, sollte daher in weniger als drei Monaten vom Parlament verabschiedet werden - ein schwieriges, aber nicht unmögliches Ziel. SUMAR zum Beispiel verteidigt sie nachdrücklich, und Jaume Asens – SUMAR-Unterhändler bei Junts - bekräftigte an diesem Dienstag, dass es "machbar" sei, ein Amnestiegesetz vor der Amtseinführung im Kongress zu verabschieden.

Für die spanische Regierung antwortete deren Sprecherin, die Ministerin für Regionalpolitik Isabel Rodríguez: "Unsere Positionen sind antipodisch. Aber wir haben ein Werkzeug, nämlich den Dialog, einen Bezugsrahmen, nämlich die Verfassung, und ein Ziel, nämlich die gemeinsame Existenz". Puigdemont habe mit der Konferenz "einen Weg des Dialogs eröffnet", den man mit "Diskretion" angehen werde.

Nicht nur die rechten Parteien, sondern auch Ex-Ministerpräsident Felipe González, vom rechten Flügel der PSOE, wettern: "In der Verfassung ist kein Platz für Amnestie oder Selbstbestimmung." Diese von Francos Gefolgsleuten oktroyierte Verfassung von 1978 ist das konstituierende Problem von Spaniens Demokratie. Sie erteilt dem offensichtlich plurinationalen Charakter Spaniens, was ein Blick ins Baskenland, nach Galicien oder Katalonien zeigt, eine Absage. Diese Verfassung gehört längst generalüberholt. Ein "historisches Abkommen", wie es Puigdemont mit Sánchez anstrebt, würde den Weg zur Beilegung der Konflikte mit den Regionen ebnen.

"Wir werden weiter reden, wir werden weiter nach Lösungen durch Dialog und Demokratie suchen."
Yolanda Díaz

ES Puigdemont YolandaDiazAm Montag (4.9.) war Yolanda Díaz, Mitglied der Kommunistischen Partei PCE und Chefin des Linksbündnisses SUMAR, nach Brüssel gereist, um Puigdemont zu treffen. Es war der erste offizielle Besuch einer Vertreterin der spanischen Regierung – Yolanda Diaz ist Arbeitsministerin und Vizepräsidentin der Koalitionsregierung mit der PSOE - bei dem ehemaligen katalanischen Regierungschef. Obwohl sie klarstellte, dass sie als Vorsitzende von SUMAR angereist war, erklärte der sozialistische Teil der Regierung, dass er dem Treffen distanziert gegenüberstehe.
Yolanda Diaz twitterte nach dem Treffen: "Der Dialog ist eine Methode und eine Verpflichtung. Zur Förderung des sozialen Fortschritts und auf dem Weg zu einem plurinationalen Land, in dem die Politik im Mittelpunkt der Lösungen steht. Wir werden weiter reden, wir werden weiter nach Lösungen durch Dialog und Demokratie suchen.

Wahrscheinlich hat dieses Treffen am Vorabend der Pressekonferenz einige raue Kanten in der Argumentation des Führers der katalanischen Unabhängigkeit geglättet.

Nun hängt es vom politischen Willen der Sozialdemokraten ab und inwieweit Sánchez die Kontrolle über seine Partei behalten kann. Sie müssen sich irgendeiner Form zur Souveränität Kataloniens bekennen, wenn sie verhindern wollen, dass der Countdown für eine Neuwahl am 27. November in Gang gesetzt wird.

Bislang hat nur der ehemalige Präsident Felipe González gegen die Amnestie gewettert, die der PSOE-Führung jedoch unvermeidlich erscheint, um die Zustimmung der Junts zu erhalten, so dass bereits einige technische Lösungen geprüft werden. Andererseits haben die Wahlen im Juli die progressive Mehrheit schrumpfen lassen, die nur durch eine Erweiterung auf die verschiedenen plurinationalen Gruppierungen den reaktionären Block im Parlament überwinden kann, wie es bei der Wahl von Francina Armengol zur Präsidentin des Abgeordnetenhauses geschehen ist.

Sánchez braucht die sieben Stimmen von Junts, um eine Rückkehr zur Wahlurne zu vermeiden, und Junts scheint dies als eine Gelegenheit nutzen zu wollen, um wieder ins Spiel zu kommen, wobei dies auch bedeutet, sich mit der linken katalanischen Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana ERC wieder zu einigen, die seit langem die Strategie des Dialogs verfolgt.

Im Moment bereitet sich der von König Felipe VI. als Führer der stärksten Parlamentsfraktion berufene PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo auf eine Amtseinführung Ende September vor, die jedoch ein Misserfolg sein wird: Der von Puigdemont vorgegebene Rahmen hat auch die Fiktion ernsthafter Gespräche zwischen Junts und der PP endgültig beendet, da Feijóo ein Treffen mit der Partei ausgeschlossen hat, da er die Amnestie für eine "inakzeptable und unmögliche Forderung" hält. Sein einziger Verbündeter bleibt die ultra-rechte, rassistische Partei Vox.

Die verschiedenen beteiligten Parteien - PSOE, SUMAR, ERC und Junts - werden wahrscheinlich in den nächsten drei Wochen Gespräche abseits des Rampenlichts führen und die ausweglose Situation bei der Debatte um die Amtseinführung Feijóos nutzen, die, wenn es nicht zu einer großen Überraschung kommt, am 29. September in einer zweiten gescheiterten Abstimmung gipfeln wird. Nach Informationen aus der PSOE werden ab diesem Zeitpunkt dann auch formelle Verhandlungen zwischen Junts und PSOE beginnen.


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