Linke / Wahlen in Europa

Wahlurne Stimmabgabe15.09.2022: Am 11. September 2022 fand in Schweden die Wahl zum Reichstag statt. Am gleichen Tag wurden auch die Wahlen zu kommunalen und den regionalen Parlamenten abgehalten. Drei Tage nach dem Wahltag konnte die schwedische Wahlbehörde am späten Mittwochabend endlich das definitive Resultat der Reichstagswahl vom Sonntag präsentieren.

 

Die bisherige Mitte-links Regierungskonstellation aus Sozialdemokraten, Grünen, Zentrumsliberalen und Linken kommt auf 173 Mandate, die Parteien des bürgerlichen Spektrums – Konservative, Christdemokraten und Rechtsliberale – kommen zusammen mit den ultrarechten Schwedendemokraten auf 176 Mandate. 175 der 349 Sitze sind für mehrheitsfähige Beschlüsse im Reichstag in Stockholm nötig.

  SE Wahlergebnis2022  
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"Das ist eine dünne Mehrheit, aber es ist eine Mehrheit", sagte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und erklärte ihren Rücktritt. Bis zur Bildung einer neuen Regierung wird sie eine Übergangsregierung führen. Sie äußerte ihre Sorge über den Einfluss der Schwedendemokraten auf die künftige Regierungspolitik und appellierte an den mutmaßlichen künftigen Regierungschef Ulf Kristersson von den konservativen Moderaten, sich seiner deshalb großen Verantwortung bewusst zu sein.

Die Minderheitsregierung von Magdalena Andersson hat in der Endphase ihrer Regierungszeit mit der bisherigen Neutralitätspolitik Schwedens gebrochen und das Land ohne Referendum in die NATO geführt. Um die Blockade der Türkei gegen den schwedischen NATO-Beitritt aufzuheben, hat die sozialdemokratische Regierung die humanitäre Unterstützung der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien eingestellt und der Türkei die Auslieferung von Mitgliedern der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und ein Ende des Waffenembargos in Aussicht gestellt. Mitte August fand die erste Abschiebung in die Türkei statt.

"Wir fühlen uns von Premierministerin Andersson verraten"
Zagros Andaryari, Kurdisches Zentrum für eine demokratische Gesellschaft in Stockholm.

Der Würgegriff der schwedischen Regierung auf die kurdische Gemeinschaft – mit rund 100.000 Menschen eine der größten auf dem europäischen Kontinent - werde immer stärker, beklagt Zagros Andaryari vom Kurdischen Zentrum für eine demokratische Gesellschaft in Stockholm. "Die kurdische Gemeinschaft in Schweden hat immer mehrheitlich für die Sozialdemokratische Partei gestimmt, aber das wird nicht mehr der Fall sein. Wir fühlen uns von Premierministerin Andersson verraten", so Andaryari am Wahltag.

Wahlsieger Schwedendemokraten

Der große Sieger der Wahl ist die nationalistische, ultrarechte Partei der Schwedendemokraten (SD). Die Schwedendemokraten - eine Partei, die Ende der 1980er Jahre im Umfeld rechtsextremer Gruppierungen entstand und deren zahlreiche Mitglieder bis vor kurzem wegen Hassverbrechen und Gewalttaten angeklagt waren – steigerte unter der Führung des 43-jährigen Jimmy Åkesson ihr Wahlergebnis ein weiteres mal und kommt jetzt auf den zweiten Platz hinter den Sozialdemokraten. Sie konnten nicht nur ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2018 um 3,1 % steigern (und erreichen damit 20,6 %), sondern überholten auch die Konservativen, die auf 19,1 % fielen (und 0,7 % einbüßten), und nahm ihnen damit nach Jahrzehnten das Zepter der stärksten Partei von Mitte-Rechts ab. Gleichzeitig war es Jimmy Åkesson in der vergangenen Legislaturperiode gelungen, die Akzeptanz der Schwedendemokraten im Mitte-Rechts-Lager schrittweise zu erhöhen. Für die Moderaten (Konservativen) und die Christlichen Demokraten war eine selbst nur informelle Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten lange Zeit Tabu. Erstmalig ist in dieser Wahl diese politische Distanz aufgeweicht worden. So deutet sich an, dass die Wunschregierung von Ulf Kristersson eine Koalition aus Konservativen, Christdemokraten und Rechtsliberalen ist, die sich auf die Stimmen der Schwedendemokraten stützen kann, ohne dass diese Teil der Koalition werden.

Der SD-Vorsitzende Jimmie Åkesson sagt, er erwarte, dass seine Partei beim Regierungswechsel eine "zentrale Rolle" spielen werde, und dass das Beste für Schweden eine Mehrheitsregierung wäre.

Der Erfolg der Schwedendemokraten, der einen Wendepunkt für Schweden bedeutet, zeigt einmal mehr, dass die extreme Rechte nicht zurückgedrängt werden kann, indem die "respektablen" Mitte-Rechts-Parteien und die Sozialdemokratie die Themen übernehmen, die von der extremen Rechten gesetzt werden. So wurde das ganze Jahr über nur über Verteidigung, Kriminalität, Einwanderung und Inflation debattiert, obwohl die Wählerinnen und Wähler die Gesundheitsversorgung als das dringendste Problem ansahen. Im Ergebnis wurde das "Original" gewählt und die gesamte politische und kulturelle Landschaft infiziert, selbst in einem Land, das sich Solidarität und Gleichheit auf die Fahnen geschrieben hatte.

"Um die Regierungsmacht zu erlangen, muss unsere Seite für ihre eigenen Lösungen für die Probleme der Gesellschaft eintreten und neue Gruppen gewinnen. Nur so können wir das Ruder herumreißen" schlussfolgert die Vorsitzende der Linkspartei, Nooshi Dadgostar.

Enttäuschendes Ergebnis für die Linkspartei

Die Linkspartei schneidet bei dieser Wahlen enttäuschend ab. Sie erreicht 6,7 % der Stimmen, 1,2 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Wahl 2018. Nooshi Dadgostar, Parteivorsitzender seit 2020, hat seit langem deutlich gemacht, dass ihr Ziel ein Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten ist und nicht mehr nur eine externe Unterstützung. Unter Ausnutzung der Tatsache, dass die aufeinanderfolgenden sozialdemokratischen Minderheitsregierungen seit 2018 von den Stimmen der Linkspartei abhängig waren, konnte die Linkspartei wichtige Ergebnisse erzielen, wie u.a. den Stopp der Liberalisierung der Mieten im Wohnungsneubau und eine deutliche Anhebung der niedrigsten Renten.

"Wir haben dafür gesorgt, dass drei Millionen Mieter keine höhere Miete haben. Wir haben dafür gesorgt, dass sich die Krankenkasse verbessert hat. Wir haben den größten Rentenanstieg in der Neuzeit erlebt",
Nooshi Dadgostar, Vorsitzende der Linkspartei (Vänsterpartiet)

"Wir haben dafür gesorgt, dass drei Millionen Mieter keine höhere Miete haben. Wir haben dafür gesorgt, dass sich die Krankenkasse verbessert hat. Wir haben den größten Rentenanstieg in der Neuzeit erlebt", erläuterte die Parteivorsitzende Nooshi Dadgostar und warb für eine Stärkung der Linkspartei. "Wie eine Zusammenarbeit zwischen V, S, MP und C ausfallen wird, hängt vor allem von der Größe der einzelnen Parteien ab. Je stärker die Linkspartei wird, desto mehr können wir der Zusammenarbeit eine gute Richtung geben und neoliberale Vorschläge stoppen. Wer in den Sozialstaat, in sichere Arbeitsplätze und in große Klimainvestitionen investieren will, muss dafür sorgen, dass das Kräfteverhältnis nach links kippt. Dann müssen Sie die Linkspartei wählen."

Die Entschlossenheit, nicht nur mit den Sozialdemokraten (Neoliberalen und Atlantikern) zu regieren, sondern auch mit der Zentrumspartei, die sich zwar gegen Fremdenfeindlichkeit ausspricht, aber in der Wirtschaftspolitik absolut neoliberal ist, hat die Wähler*innen offensichtlich nicht überzeugt. Außerdem haben die Sozialdemokraten wie auch die Zentrumspartei deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht hätten, die Linkspartei in die Regierung aufzunehmen.

Erklärung von Nooshi Dadgostar, Vorsitzende der Linkspartei (Vänsterpartiet)

SE Nooshi DadgostarEs ist nun klar, dass der rechtsnationale Block eine Mehrheit im Parlament haben wird. Wir haben alles getan, um diese Entwicklung zu verhindern.

Wir hatten gehofft, eine rot-grüne Regierung zu bilden, aber das wird nicht passieren. Anstelle von Investitionen in den Sozialbereich wird es Kürzungen geben. Anstelle von wirtschaftlicher Sicherheit wird es Ungewissheit und Verunsicherung geben. Das ist klassische rechte Politik - und dann schieben sie alle Probleme auf die Einwanderer.

Die Wahlergebnisse der Linkspartei sind enttäuschend. Auf kommunaler Ebene scheinen wir Fortschritte zu machen, aber auf nationaler Ebene haben wir einen Rückgang zu verzeichnen, bei dem die Wahlbeteiligung eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Wir werden dies sowohl anhand von Statistiken als auch anhand unserer unterschiedlichen Erfahrungen in Schweden analysieren und diskutieren. Aber unser großes Ziel bei dieser Wahl war eine rot-grüne Mehrheit. Das ist uns nicht gelungen.

Ich denke, die Tatsache, dass unsere Seite insgesamt unterlegen ist, ist zu einem großen Teil auf eine schreckliche Wahlkampagne zurückzuführen, in der es nur um die Schwedendemokraten und die Darstellung der Probleme durch die Schwedendemokraten ging. Dies führte zu einem Verlust für die Gegenparteien, und die rot-grünen Parteien, die Wähler hinzugewannen, taten dies innerhalb des Blocks. Um die Regierungsmacht zu erlangen, muss unsere Seite für ihre eigenen Lösungen für die Probleme der Gesellschaft eintreten und neue Gruppen gewinnen. Nur so können wir das Ruder herumreißen.

Die Wahldebatten vermittelten das Bild, dass es bei den großen gesellschaftlichen Konflikten um ethnische Zugehörigkeit geht. Die Rechten wissen, wie unpopulär ihre ungerechte Wirtschaftspolitik ist, also müssen sie den Verteilungskonflikt als einen Konflikt über die Herkunft der Menschen tarnen. Wir haben versucht, diesen Vorwand zu entlarven. Wir haben immer wieder die Dinge hervorgehoben, die wirklich Probleme lösen: Arbeitsplätze und Wohnraum, Schulen und soziale Sicherungssysteme, notwendige Investitionen für das Klima. Das ist uns nicht gelungen, und wir müssen daraus lernen, um stärker zu werden. Weil wir stärker sein müssen.

Ich möchte Ihnen allen danken, die in diesem Wahlkampf so großartige Arbeit geleistet haben. In den Wahlkabinen und auf den Stimmzetteln, auf den Straßen und Plätzen. Ich bin stolz darauf, die Partei mit Ihnen zu präsentieren. Für all diejenigen, die sich jetzt Sorgen über das machen, was kommen könnte, und die etwas dagegen tun wollen, für sie sind wir da. In diesen Tagen sollte man nicht vergessen, dass die Linkspartei seit letztem Sonntag 2.000 neue Mitglieder gewonnen hat. Das bedeutet, dass wir jetzt so zahlreich sind wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Das ist wichtig, weil wir uns jetzt gegenseitig brauchen. Jetzt müssen wir viele sein.


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