30.05.2019: "Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen! Ihr habt vor euch einen glücklichen Parteipräsidenten! Wir kommen voran im ganzen Land, in der Wallonie, in Brüssel und in Flandern, in allen drei Regionen des Landes." So jubelte Peter Mertens, der Vorsitzende der belgischen Partei der Arbeit (PTB/PdvA), die sich selbst als am Marxismus orientierte "authentische Linkspartei" und als "ein Teil der internationalen kommunistischen Bewegung" bezeichnet, am Abend des 26. Mai, bei der Bekanntgabe der EU Wahlergebnisse.
Der Jubel war gut begründet. Im Unterschied zu den meisten Linksparteien einschließlich kommunistischer Parteien in anderen EU-Staaten, die an diesem Abend Rückgänge oder eine Stagnation ihrer Wählerstimmen verzeichnen mussten, konnte die PTB einen außergewöhnlichen Stimmen- und Mandatszuwachs verbuchen. Im gesamtbelgischen nationalen Parlament wird die PTB künftig nicht mehr nur mit zwei, sondern mit sechsmal mehr, nämlich zwölf Abgeordneten aktiv sein. Darunter erstmals der Parteivorsitzende Peter Mertens selbst, Das ist ein Zuwachs, den Parteien sonst auch aus anderen politischen Spektren nur höchst selten erreichen. Selbst die Grünen, die überall als die großen Gewinner dieser EU-Wahl präsentiert werden, blieben in Belgien mit einem Zuwachs von neun Mandaten (Ecolo +7; Groen +2) knapp hinter der PTB zurück.
Stimmen |
% |
% | Mandate | ||
PTB | 584.621 | 8,60 | +4,8 | 12 | +10 |
Ecolo | 416.452 | 6,14 | +2,8 | 13 | +7 |
Groen | 413.836 | 6,10 | +0,78 | 8 | +2 |
Hinzu kommen die Positionsgewinne der PTB in den drei belgischen Regionalparlamenten. Im Brüsseler Regionalparlament wuchs ihre Abgeordnetenzahl von bisher vier auf elf Abgeordnete (Stimmanteil 13,5 % bisher 3.4 %, Zuwachs +10 %). In der französischsprachigen Wallonie erhielt die PTB 10 Mandate statt bisher zwei (Stimmanteil 13,68 %, bisher 5,76 %, Zuwachs +7,9 %).
Politisch am sensationellsten aber ist wohl, dass die "linksradikale" PTB/PvdA erstmals auch in das flämische Regionalparlament einzog, obwohl Flandern eine "traditionelle" Hochburg der Rechten und Rechtsextremisten ist. Der rechtsextreme "Vlaamse Belang" war auch diesmal neben der PTB der zweite Wahlsieger-Er wuchs von 5,9 auf besorgniserregende 18,6 %. Daneben wurde die kaum weniger rechtsextreme "Nieuw Vlaamse Alliantie" (N-VA) unter Bart de Wever, die für die Lostrennung Flanders von Belgien eintritt, zusätzlich noch mit 25,5 % die stärkste Partei im flämischen Landesteil. Bei dieser Stimmungslage ist das Abschneiden der PvdA in Flandern, die mit einem Stimmanteil von 5,3 % (bisher 2,5 %) jetzt erstmals in das flämische Regionalparlament einzieht, umso höher zu bewerten.
Wahlergebnisse der PTB: https://www.ptb.be/resultats2019 |
Außerdem konnte die PTB bei dieser Wahl erstmals auch fünf Sitze im belgischen Senat erringen.
Darüber hinaus gehört zu den Erfolgen der PTB/PvdA bei dieser Wahl, dass es ihr gelang, mit 5,7 % der Stimmen erstmals einen Abgeordneten in das EU Parlament zu entsenden: Marc Botenga, 38 Jahre alt, Jurist und Politologe, während des Studiums in der linken belgischen Studentenbewegung aktiv, danach als Mitarbeiter bei der linken Fraktion der "Konföderale Gruppe der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)" im EU-Parlament mit Sitz in Brüssel tätig, angetreten mit dem Slogan "La gauche qui pique contre l’Europe du fric" ("Die Linke, die sticht, gegen das Europa des großen Geldes").
Marc Botenga: Die Illusion eines Lexit |
In den ersten Stellungnahmen zu den Wahlergebnissen legten die Vertreter der PTB/PvdA Wert darauf hervorzuheben, dass ihre Erfolge keine Zufallsergebnisse, sondern das Ergebnis eines gemeinsamen langen und hartnäckigen politischen Kampfes der ganzen Partei mit vielen einzelnen konkreten Forderungen und Aktionen an der Basis vor Ort bei und mit den Leuten sind.
"Wir waren erfolgreich als authentische Partei der Linken"
Parteisprecher Raoul Hedebouw aus Liège/Lüttich, der bisher zusammen mit Marco von Hees der einzige Repräsentant der Partei im belgischen Parlament war, betonte: "Wir waren erfolgreich als authentische Partei der Linken, unsere Punkte auf die Tagesordnung durchzusetzen. Dank der Kampagne der PTB wird heute überall in Belgien von der Notwendigkeit gesprochen, die Mehrwertsteuer für Gas und Strom von 21 auf 6 Prozent zu senken. Dank der PTB spricht man überall in Belgien von der Notwendigkeit, endlich kostenlose öffentliche Nahverkehrsmittel zu bekommen. Dank der PTB spricht man überall in Belgien von der Notwendigkeit, eine kostenlos und hochwertige medizinische Grundversorgung einzuführen. Dank der PTB hat man endlich gewagt, von diesen famosen Steuernischen zu sprechen, die es den Multinationalen erlauben, null Euro Steuern zu bezahlen, während jeder beliebige Klein- oder Mittelunternehmer, jeder beliebige Selbstständige hier in Lüttich, Charleroi, Brüssel und in Flandern 25 Prozent Steuern bezahlen muss." Der Sprecher der PTB sagte, diese Wahlergebnisse seien auch ein sehr klares Signal für alle traditionellen Parteien. "Ein sehr klares Signal, dass das Volk die Schnauze voll hat von dieser ganzen antisozialen Politik, die betrieben worden ist. Länger arbeiten? Man ist nicht einverstanden. Immer flexibler arbeiten? Man ist nicht einverstanden. Die Leute haben die Schnauze voll von einer Gesellschaft, wo die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer".
Paul Mertens fügte hinzu, die PTB habe mit den Ergebnissen klar bewiesen, dass sie eine landesweite nationale Partei ist. Sie sei bereit "die Lokomotive der Linken", die die sozialen Fragen auf die Tagesordnung bringt. Und das werde sie weiter tun. "Es sind die Leute, die die Dinge verändern, die gewöhnlichen Leute, außergewöhnliche Leute, die zusammen agieren… Wir können es nur zusammen machen. Wir haben zusammen gekämpft. Wir haben zusammen gewonnen… Gemeinsam haben wir eine Welt zu gewinnen!"
Der frisch gebackene EU-Abgeordnete der PTB, Marc Botenga, fügte hinzu, dass dieser Kampf unbedingt auch auf die europäische Ebene übertragen werden müsse. "Jetzt haben wir eine Lokomotive der Linken, die auch auf der europäischen Ebene die Linien in Bewegung bringen kann." Die authentische Linke sei sehr notwendig, "um eine Alternative zu den Rechtsextremisten und zur Politik von Macron und Merkel anzubieten, die den Rechtsextremen mit ihrem Europa der Konkurrenz, des Sparzwangs und des großen Geldes den Weg öffnet".
txt: G. Polikeit
fotos: PTB
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