Interview mit dem neuen Sekretär von Rifondazione Comunista, Maurizio Acerbo
10.04.2017: Die italienische Partito della Rifondazione Comunista – Sinistra Europea (Partei der Kommunistischen Wiederbegründung - Europäische Linke) hat vom 31. März – 2. April ihren 10. Nationalen Kongress in der mittelitalienischen Stadt Spoleto abgehalten. Im Mittelpunkt der Debatten des Rifondazione-Parteitages stand die Frage einer neuen Einheit der Linken.
Derzeit gibt es in Italien links von der regierenden Partito Democratico, PD (Demokratische Partei) mindestens vier Organisationen der "antiliberalen Linken", die gegen den neoliberalen Regierungskurs der "Demokraten" unter dem früheren Regierungschef Renzi und dem jetzigen Ministerpräsidenten Gentiloni auftreten. Neben Rifondazione (PRC) gehören dazu die Partito Comunista Italiano, PCI (Italienische Kommunistische Partei, ehemals "Partei der italienischen Kommunisten" [PdCI], die wieder den traditionellen Parteinamen PCI übernommen hat), Sinistra Italiana (Italienische Linke, eine Neugründung aus der von Nichi Vendola gegründeten Sinistra Ecologia Liberal SEL, Ex-Abgeordneten der PD und einer Abspaltung von Rifondazione) sowie "Possibile", eine linke Abspaltung von der regierenden PD unter Führung von Pippo Civati. Außerdem entstand im Februar 2017 die Vereinigung "Articolo 1 – Movimento Democratico e Progressista (DP)" [1], ebenfalls eine Abspaltung aus der regierenden PD, an der der bisherige PD-Sekretär Pierluigi Bersani und Ex-Regierungschef Massimo D‘Alema maßgeblich beteiligt waren.
Da seit 2008 keine der alternativen Linksformationen mehr im Parlament vertreten ist, war in der Vergangenheit wiederholt über die Bildung einer linken Wahlallianz diskutiert worden. Der Parteitag von Rifondazione (derzeit rund 17.000 Mitglieder) wollte nun jedoch einen Schritt weiter gehen. Er schlug den anderen Linksformationen nicht nur ein Wahlbündnis, sondern die Bildung eines neuen "einheitlichen Subjekts" der antiliberalen Linken vor, das neben den bestehenden Linksformationen auch für die zahlreichen Aktivisten von Gewerkschaften, Bürger-, Umwelt- und Friedensbewegung offen sein soll, die sich den bestehenden Linksformationen nicht anschließen wollen. Die neue Vereinigung soll in offener Diskussion eine eigene politische Plattform erhalten, aber nicht nur bei Wahlen mit gemeinsamen Listen antreten, sondern darüber hinaus auch bei Aktionen und Kampagnen außerhalb der Parlamente zusammenarbeiten. Die bisherigen Parteien sollen aber nicht in der neuen Formation aufgehen, sondern weiterexistieren, wenn sie das wollen. Entscheidungen über politische Positionen und Aktionen sollen jedoch nicht mehr per Absprache zwischen den Parteispitzen, sondern durch demokratische Mehrheitsentscheidungen der Mitglieder des neuen "Subjekts" getroffen werden.
Am Schluss des Parteitages wählte das Nationale Politische Komitee das bisherige Führungsmitglied Maurizio Acerbo aus Pescara zum neuen Nationalsekretär der Partei. Der bisherige Parteisekretär Paolo Ferrero sagte dazu, er sei nach neun Jahren in dieser Funktion sehr glücklich, den Stab an Maurizio Acerbo übergeben zu können, der mit seinem Enthusiasmus, seiner Intelligenz und seiner Leidenschaft sicher einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Partei, zum Aufbau einer einheitlichen Linken und zur Wiederbelebung des Kampfes für eine Alternative leisten werde.
Interview mit dem neuen Nationalsekretär der PRC, Mauricio Acerbo:
Frage: Was ist das wichtigste Ergebnis Ihres Kongresses?
Maurizio Acerbo: Die Vereinigung der Linken steht im Zentrum unseres politischen Vorschlags, der von mehr als 60 Prozent der Delegierten gebilligt worden ist. Unsere Idee ist, dass man über eine bloße Wahlallianz hinausgehen und ein "einheitliches Subjekt" schaffen muss. Daran sollen nicht nur die Anhänger der Linksparteien teilnehmen können, die schon existieren, sondern vor allem die Anhänger der Linken, jene zehntausende Menschen außerhalb der politischen Formationen, die in den Gewerkschaften, in den Umwelt-Vereinigungen oder den Initiativen zur Verteidigung der Bürgerrechte aktiv sind. Diese stehen der organisierten Linken fern infolge der langen Reihe von Spaltungen innerhalb der Linken und der Bündnisse mit der "linken Mitte".
Frage: Welches sind die von diesem "einheitlichen Subjekt" anvisierten Kräfte?
Maurizio Acerbo: Diejenigen, die auf dem Boden einer Alternative zum Neoliberalismus und damit zur "Partito Democratico" (PD – Demokratische Partei) stehen. Wir sind der Ansicht, dass diese die Verkörperung einer Wirtschafts-Rechten und nicht einer "gemäßigten Linken" ist. Wir schätzen also die Evolution unserer Genossinnen und Genossen von der "Sinistra Italiana" (SI – Italienische Linke (die 2013 ein Wahlbündnis mit der PD eingegangen waren, Anm. d. Red.). Sie positionieren sich nunmehr als "Alternative zur PD" und haben beschlossen, sich der "Partei der Europäischen Linken" anzuschließen, in der auch wir Mitglied sind. Wir glauben, dass es auch möglich ist, mit "Possibile" von Pippo Civati zu arbeiten. Es handelt sich um aus der PD ausgeschiedene Genossen auf Positionen, die unseren ähnlich sind. Unser Vorschlag richtet sich auch an die Italienische Kommunistische Partei (PCI, Ex PdCI). Selbst wenn wir Differenzen über die Frage des Euro haben, sollte uns das nicht am Aufbau eines "einheitlichen Subjekts" hindern. Die Debatte über Europa geht quer durch alle Linkskräfte auf dem Kontinent. Wir wenden uns auch an Erfahrungen wie die von Neapel um den Bürgermeister Luigi De Magistris, mit dem zusammen wir die Stadt seit sechs Jahren regieren. Die Spaltung der Linken führt faktisch dazu, dass das Unbehagen in der Bevölkerung sich nach rechts wendet, oder zu Bewegungen wie die von Beppe Grillo, die keine klaren Konturen hat.
Frage: Welche Rolle bliebe in einem solchen Subjekt für die Kommunisten?
Maurizio Acerbo: Unser Vorschlag verlangt von niemandem, sich aufzulösen. Wir bitten einfach die verschiedenen Parteien, einen Schritt zurück zu tun, um zwei Schritte vorwärts zu machen. Dabei muss man akzeptieren, Teil einer gleichen politischen Bewegung zu sein, innerhalb derer die Mitglieder der verschiedenen Parteien beschließen, was zu tun ist und wie es zu tun ist, zusammen mit den Anhängern des "einheitlichen Subjekts" nach dem Grundsatz "Ein Kopf, eine Stimme".
Eine kommunistische Partei hat ja nicht nur die Rolle, ihr Logo bei den Wahlen zu präsentieren. Sie muss vor allem Politik erarbeiten, die sozialen Kämpfe organisieren, eine Rolle spielen auf dem Gebiet der Gewerkschaften, die Schlacht der Kultur führen, eine gesellschaftliche Partei sein, die Formen des Mutualismus (der gegenseitigen genossenschaftlichen Unterstützung) und der Selbstorganisation entwickelt. Die neue Rolle der Kommunistischen Partei wird nicht sein, weniger, sondern mehr zu tun, um aus der Isolierung herauszukommen, um unsere Ideen und Vorschläge in Umlauf zu bringen.
Frage: Wie haben die anderen Linksformationen auf Ihren Aufruf reagiert?
Maurizio Acerbo: Es gibt eine Bereitschaft zur Einigung. Aber es scheint, dass es noch nicht den Mut gibt zu akzeptieren, dass weiter gegangen wird als nur zu einer Liste für eine Wahlkoalition. Im Gegensatz dazu meinen wir, dass man weiter gehen muss, denn die Spaltung hat große Enttäuschung innerhalb der Wählerschaft hervorgebracht. Wir brauchen eine Botschaft, die nicht nur die ist, die Hürde für den Einzug ins Parlament zu überwinden, sondern die eines großen politischen Projekts.
Frage: Die PD hat gerade eine Abspaltung "nach links" erlebt. Ehemalige Mitglieder der historischen Italienischen Kommunistischen Partei haben "Articolo 1 - Movimento Democratico e Progressista" gegründet. Richtet sich Ihr Vorschlag auch an sie?
Maurizio Acerbo: Nein. Pierluigi Bersani (ehemaliger PD-Sekretär) und Massimo D‘Alema (Ex-Ministerpräsident), die Orchesterchefs dieser Spaltung, waren Teil und Hauptakteure der Gen-Mutation der italienischen Linken. Sie haben die neoliberale Politik der Jahre, bevor Matteo Renzi an die Spitze der PD kam, unterstützt. Jetzt, nachdem sie die interne Konfrontation innerhalb der Demokratischen Partei verloren haben, fangen sie an, wieder linke Dinge zu sagen. Von dieser Spaltung vermerken wir vor allem, dass sie eine Krise der Dialektik innerhalb der PD und ihres Umfelds zeigt. Aber "Articolo 1" hat nichts mit einer Formation zu tun, die sich in den Raum der Europäischen Linkspartei bewegt. Im Gegenteil, die neue Formation schlägt eine Koalition mit der PD vor, um sie von links mitzubestimmen. Das hat mit einem Zusammenstoß zwischen Blairisten (Verfechtern des Kurses des britischen rechten Ex-Labour-Chefs Tony Blair, Anm.) von gestern und von heute zu tun.
Frage: Was bedeutet der Sieg der Linie von Matteo Renzi bei den örtlichen Kongressen der PD?
Maurizio Acerbo: Das zeigt, dass es eine Linke in der PD nicht mehr gibt. Bei diesen Kongressen beobachtet man vor allem einen langsamen Exodus der Anhänger und Aktiven, die aus der Linken der PD kommen. Renzi hat die Unterstützung der lokalen Häuptlinge der PD. Es handelt sich nun um eine Partei, die aus Personen zusammengesetzt ist, die öffentliche Ämter ausüben, örtliche Abgeordnete, Verwalter von Gesellschaften der öffentlichen Dienste, mit dem Machtsystem der PD verbundene Unternehmer. Das ist eine Entwicklung, die weit vor Matteo Renzi (Sekretär seit Dezember 2013, Anm.) begonnen hat. Diejenigen, die heute Matteo Renzi kritisieren, waren selbst die Akteure dieser Gen-Veränderung.
Frage: Ein anderer bedeutender Akteur des öffentlichen Lebens in Italien ist die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Wie ist Ihr Urteil über dieses Thema?
Maurizio Acerbo: Die M5S war nicht im Zentrum unserer Kongressdiskussion. Ich für meinen Teil habe mich auch schon vor der Geburt dieser Formation immer mit dem Kampf gegen die Korruption befasst, Einschnitte in die Privilegien der Abgeordneten vorgeschlagen. Einer der Gründe, warum die Linke ihre Ausstrahlungskraft verloren hat, war, dass sie diese Themen als "populistisch" angesehen hat. 2006, als ich Abgeordneter wurde, habe ich ein Gesetz für Einschnitte in die Bezüge der regionalen Abgeordneten und Ratsmitglieder vorgeschlagen. Meine eigene Partei hat das abgelehnt auf der Grundlage der Ablehnung von Populismus. Damals gab es eine andere Führungsgruppe. Beppo Grillo gedieh an der Enttäuschung gegenüber der radikalen Linken. Man kann diese Enttäuschung überwinden, wenn die Linke, wie es Rifondazione in den letzten Jahren getan hat, ihre Wurzeln im Volk, ihre Haltung der Genügsamkeit wiederfindet. Die Linke muss darauf achten, sich nicht zu verschmelzen mit dem, was Marx schon vor Beppo Grillo, "die Kaste" nannte.
(Aus "Humanité", 4. April 2017)
Übersetzung: Georg Polikeit
[1] Articolo 1 bezieht sich auf den Artikel 1 der Verfassung Italiens: "Italien ist eine demokratische Republik, auf der Arbeit begründet. Die Souveränität gehört dem Volk, die diese im Rahmen der Verfassung ausübt."