17.03.2017: Die Niederländer*innen haben am vergangenen Mittwoch die zweite Kammer des Parlaments gewählt. Dass diesmal mehr auf dem Spiel stand, ist auch an der Wahlbeteiligung zu erkennen. Waren es 2012 noch 74,6%, so gingen diesmal gut 81% der Stimmberechtigten zur Wahl. Viele Wahllokale mussten sogar zusätzliche Kabinen und Stimmzettel zur Verfügung stellen.
Und ein Erfolg ist zu verzeichnen: Geert Wilders rassistische und islamfeindliche Partij voor de Vrijheid PVV (Partei für die Freiheit), die lange in den Umfragen auf Platz 1 lag, ist nicht die stärkste Kraft geworden. In den Medien und sozialen Netzwerken überschlagen sich deshalb die Nachrichten. "Danke Holland“ schreibt etwa der Stern und "Erleichterung über Wahlausgang in Holland“ die FAZ. "Niederlande, du bist ein Champion“, titelt tagesschau.de in Bezug auf Peter Altmaiers Tweet. Der fügt noch einen "herzlichen Glückwunsch zum großartigen Ergebnis“ hinzu. Auch Martin Schulz zeigt sich erleichtert, da "der Hetze von Geert Wilders und seiner unsäglichen Haltung gegenüber ganzen Bevölkerungsgruppen“ eine klare Absage erteilt wurde. Doch diese Absage ist bei weitem nicht so klar, wie sie dargestellt wird.
Rutte als Bewahrer der Demokratie?
Als gegen 21:00 Uhr die meisten Wahllokale schlossen (einige hatten aufgrund des hohen Andrangs noch länger geöffnet), wurden schon kurz darauf die ersten Hochrechnungen veröffentlicht. Schon zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass es Geert Wilders Partei für die Freiheit nicht gelungen war, stärkste Kraft zu werden. Nichtsdestotrotz erhält sie mit 13,1% der Stimmen 20 Sitze (2012: 15 Sitze) im zukünftigen Parlament. Wilders selbst ließ daraufhin verlauten, dass Ministerpräsident Rutte ihn noch lange nicht los sei.
Ruttes rechtsliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie VVD (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) hatte sich in den letzten Tgen vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf Rennen mit der PVV geliefert. Am Wahltag gewann sie jedoch mit einem eindeutigen Vorsprung. Sie kam auf 21,3% und erhält demnach 33 der insgesamt 150 Sitze, jedoch 8 weniger als noch vor fünf Jahren
Doch während Mark Rutte als der große Demokrat und "Wilders-Bezwinger“ gefeiert wird, vergessen viele, für welche Politik er einsteht. Im Wahlprogramm der VVD für 2017 heißt es etwa, "dass die Partei die Nachrichtendienste ausbauen und an die neuesten technologischen Entwicklungen anpassen möchte“. Zudem "soll die Einsatzbereitschaft des gesamten Militärs an erster Stelle stehen“. Das Wahlprogramm der PVV hingegen besteht zwar nur aus einer DinA4 Seite, fordert jedoch ebenso mehr finanzielle Mittel für die Verteidigung.
Auch in Sachen Asyl und Migration steht die VVD der PVV in nichts nach. Demnach soll die Niederlande "kein Platz für Geflüchtete aus sicheren Herkunftsländern“ sein. "Illegale“ Personen oder Menschen, die keine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, dürfen von Gemeinden nicht mehr aufgenommen werden. Um dem vorzubeugen wird auch das "Abschließen von Verträgen“ gefordert. Dass Rutte dabei Verfechter des EU-Türkei-Deals ist, ist kein Geheimnis. Sollten sich Geflüchtete nicht an die aufgestellten Anforderungen halten, drohen Konsequenzen. "Benehmt euch, oder verschwindet“, so hat er es in einem Brief, welcher Ende Januar in zahlreichen Zeitungen abgedruckt wurde, formuliert.
AKP-Auftrittsverbote: Nebelkerze und Wahlkampf
kommunisten.de hat vor einigen Tagen einen Kommentar von Kerem Schamberger veröffentlicht, in welchem die Doppelzüngigkeit der deutschen Bundesregierung bezüglich der Türkei und den AKP-Wahlauftritten in Deutschland beschrieben wird. Dieselbe Linie wird auch in den Niederlanden gefahren. Und die Situation hätte nicht passender sein können. Denn als die AKP-Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya am vergangenen Samstag daran gehindert wurde, das türkische Konsulat in Rotterdam zu betreten, und außer Landes verwiesen wurde, gab Rutte sich als starker Mann. In einem TV-Duell kurz vor der Wahl betonte er erneut, dass er sehr zufrieden damit sei, wie er die Situation gelöst hätte. Es sei ein wichtiger Schritt gewesen, gegen dieses unakzeptable Verhalten vorzugehen, so Rutte. Dass derselbe Mark Rutte aber nur wenige Wochen zuvor noch dafür eingetreten ist, die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU unbedingt fortzusetzen, scheint weiter nicht wichtig. Dabei hatte die türkische Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt unzählige Journalist*innen, Demokrat*innen, Kurd*innen und Linke ins Gefängnis geworfen, um das diktatorische Präsidialregime voranzutreiben. Ungeachtet dessen, nutzte Rutte dann den versuchten Auftritt der AKP-Ministerin für ein medienwirksames Wahlkampfspektakel. Laut einigen Medien hat ihm gerade diese "konsequente Haltung“ gegen die Türkei kurz vor der Wahl viel Sympathie eingespielt.
Rot-Grüne Alternative?
Im Vorfeld der Wahl beherrschte vor allem ein weiterer Name die Diskussionen, nämlich Jesse Klaver (links im Bild) von der Partei GroenLinks (GrünLinks). Der 30-jährige Fraktionsvorsitzende, der sich vor allem dem Kampf gegen Wilders Politik verschrieben hat, war der große Hoffnungsträger der Partei – und es gelang ihm, diese Rolle umzusetzen. So konnte seine Partei GroenLinks mit 8,9% (14 Sitze) beinahe das Vierfache an Stimmen, im Vergleich zu 2012, erreichen. Damals erhielten sie gerade einmal 2,3% (4 Sitze).
Auch die Liberalen von D66 erhielten einen erheblichen Stimmenzuwachs. Sie gewannen 7 Sitze hinzu und stiegen demnach von 8% auf 12%. Lediglich die Socialistische Partij (SP) um den Vorsitzenden Emil Roemer (rechts im Bild) musste kleine Verluste hinnehmen. Bei der Wahl vor fünf Jahren kamen sie noch auf 9,6%, dieses Mal waren es 9,2% und ein Verlust von einem Sitz, womit sie, wie GroenLinks, auf 14 Sitze kommen.
Der große Verlierer ist aber eindeutig die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA). Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2012 wurde sie mit 24,8% der Stimmen und 38 Sitzen noch zweitstärkste Partei hinter der VVD. Am Mittwoch wurde sie mit 9% abgestraft und verlor dadurch 29 Sitze. Einen solch hohen Verlust hat bisher noch keine Partei in der Geschichte der niederländischen Wahlen hinnehmen müssen.
Für die Regierungsbildung werden in den Niederlanden 76 von 150 Sitzen benötigt. Würden die eben genannten Parteien sich also dazu entscheiden, eine Rot-Grüne Regierungskoalition zu bilden, so würde dies aufgrund fehlender 20 Sitze nicht möglich sein. Rot-Grün ist aber nicht nur deshalb ausgeschlossen, sondern auch wegen der Tatsache, dass es durch Hinzukommen einer weiteren Partei zur Erlangung der 76 Sitze, entweder zu einem Ausstieg einer anderen Partei kommt, oder, dass die Bezeichnung "Rot-Grün“ und die Hoffnung auf eine zumindest ansatzweise linke Politik durch zu viel Kompromisse sterben würde.
Hinzu kommt, dass selbst bei einer solchen Rot-Grünen Regierung schon zu viele Kompromisse eingegangen werden müssten. Merel Stoop, die Vorsitzende der Jugendorganisation ROOD der Socialistischen Partij, hat mit kommunisten.de ein Interview geführt, in dem sie eine Koalition mit diesen Parteien zwar für möglich, aber schwierig hält. Wie also weiter?
Rechtsliberale Regierung unter Mark Rutte: Progressive Politik Fehlanzeige
Nachdem Geert Wilders nicht dazu in der Lage ist, alleine zu regieren und alle anderen Parteien, bis auf 50+, die jedoch nur 3,1% (4 Sitze) erhielt, eine Zusammenarbeit mit der PVV schon vor der Wahl ausgeschlossen haben, bleibt wahrscheinlich nur eine Koalition unter Führung Mark Ruttes und der VVD. Diese werden sich aber nur so viele Parteien als Partnerinnen suchen, wie unbedingt nötig. Sie müssen sich daher auf mindestens drei weitere Parteien festlegen, mit welchen sie in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Die niederländische Internetseite CoalitieChecker hat, basierend auf den aktuellen Ergebnissen der Wahl, einige Möglichkeiten der Koalitionsbildung festgehalten. Wenn wir nun also von lediglich vier Parteien ausgehen, rechnet "CoalitieChecker“ damit, dass neben der VVD auf jeden Fall der Christen Democratisch Appel (Christlich Demokratischer Appel) und die liberale D66 in eine Koalition gehen werden. Hinzukommen könnte demnach wahlarithmetisch GroenLinks, die Partij van de Arbeid, die Partij voor de Dieren (Tierschutzpartei) oder die ChristenUnie (Christliche Union). Falls D66, die Partij van de Arbeid oder GroenLinks "notfalls“ in eine Koalition mit der rechtsliberalen und der PVV in fast nichts nachstehenden VVD eintreten würden, dann zeigt dies, wie schwierig oder unmöglich eine Rot-Grüne Regierung und progressive Politik in den Niederlanden ist.
Abzuwarten bleibt natürlich auch, ob Rutte Wort hält und nicht mit Wilders koaliert. In einem Fernseh-Duell am Tag vor der Wahl betonte er zwar noch einmal, dass er mit einer Partei wie der PVV nicht zusammenarbeiten möchte, Wilders hingegen machte jedoch noch am Mittwochabend Zugeständnisse und betonte, "dass er, wenn möglich, gerne mitregieren möchte“. "Sollte das nicht gehen, werden wir das Kabinett wo nötig unterstützen“. Es wäre nicht das erste Mal, dass Rutte mit der PVV zusammenarbeitet.
txt: Max van Beveren
siehe auch
- Gespräch mit Merel Stoop, Vorsitzende von ROOD
- Niederlande: Rechtspopulisten nehmen ab. Liegen aber immer noch vorne