Von Elisabeth Gauthier
09.12.2015: Die Ergebnisse der ersten Runde der Regionalwahlen verdeutlichen den Ernst der politischen Situation in Frankreich. Der Front National bestätigt nun bei den Regionalwahlen vom 6. Dezember erstmalig nach den Europawahlen im Jahr 2014 seine Position als stärkste politische Kraft mit durchschnittlich rund 30% des Stimmenanteils.
Die öffentlichen Äußerungen, die konkrete Politik in den durch den Front National geführten Städten und sein neoliberal-populistisches Parteiprogramm stellen ganz eindeutig die Grundpfeiler des französischen Staates, nämlich Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, in Frage.
Werden die Partei Sarkozys oder der Front National in der überwiegenden Mehrheit oder gar in allen 13 Regionen zur stärksten Kraft, wird die Bedrohung tatsächlich greifbar. Diese Katastrophe hätte dramatische Auswirkungen für die Bevölkerung und die politische Dynamik in Frankreich.
Der Front National konnte bei allen Wählergruppen und ganz besonders bei Jugendlichen, bei Arbeitnehmer_innen und dem Mittelstand, die traditionell eher konservativ wählen, zusätzliche Stimmen gewinnen.
Dies ist der Ausdruck eines massiven und nunmehr strukturellen Misstrauens gegenüber der immer schlechter funktionierenden Demokratie sowie der Wut wegen der nicht eingehaltenen Versprechen und der nach Wahlen regelmäßig wieder vergessenen Verpflichtungen. Entgegen der landläufigen Meinung haben die aufeinanderfolgenden Regierungen in den vergangenen zehn Jahren eine rigorose und mit immer härteren und autoritäreren Mitteln durchgesetzte Sparpolitik verfolgt und damit zu einer grundlegenden Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Institutionen beigetragen, die sich nicht mehr umkehren lässt.
In den vergangenen Monaten hat vor allem das Fehlverhalten der Partei Sarkozys und der übrigen Volksparteien, aber auch der sozialistischen Regierungspartei dazu geführt, dass der Front National im Zentrum des politischen Geschehens an Bedeutung gewinnen konnte.
Das oberste Ziel der übrigen Parteien war, den FN zu blockieren bzw. zu schwächen und in den Regionen selbst stark zu bleiben. Dadurch hofften die Parteien taktische Wähler_innen zu gewinnen, die verhindern wollten, dass der FN in den staatlichen Institutionen an Boden gewinnt.
Allerdings vernachlässigten die Parteien dabei die Entwicklung eigener Projekte und politischer Alternativen.
Zum Erstarken des Front National, der sich als "Anti-System-Partei" inszeniert, hat auch Haltung der Parteien beigetragen, sich vor allem auf den FN zu konzentrieren.
Vor dem Hintergrund dieser katastrophalen Aussichten kündigte die Sozialistische Partei (PS) vor einigen Wochen an, beim zweiten Wahlgang die Wahllisten der sozialistischen Partei und der republikanischen Partei Sarkozys zusammenzulegen (was von Sarkozy allerdings abgelehnt wurde!). Angesichts der nunmehr aber ausweglosen Situation nach der ersten Wahlrunde hat sich die sozialistische Partei dazu entschlossen, die eigenen Wahllisten bei der zweiten Runde zurückzuziehen. Ziel dabei ist es, dass die übrigen Wähler_innenstimmen nicht auf zu viele unterschiedliche Listen entfallen und die Wähler_innen die erste Liste, also die Republikaner_innen wählen. Damit soll der FN blockiert werden.
Das würde aber dazu führen, dass in den Regionen entweder die Republikaner_innen Sarkozys oder der Front National zur stärksten Kraft würden. Eine linke Opposition wäre gänzlich unmöglich, da Parteien, die im ersten Wahlgang weniger als 10% erreicht haben, beim zweiten Wahlgang nicht antreten dürfen. Die Parteien des Parteienbündnisses Front de Gauche haben allerdings nur in einer Region mehr als 10% der Wähler_innenstimmen erhalten. Nur wenn die Sozialistische Partei, die Grünen und der Front de Gauche ihre Wahllisten zusammenlegen, kann die Linke beim letzten Wahlgang stärker sein. Der Abend des zweiten Wahlgangs wird für die Linke Frankreichs also zu einer Zerreißprobe.
Zwar waren es die Parteien des Front de Gauche, die Grünen und die Parteien des linken Flügels, die einen anderen Weg einschlugen, sich gegen die Sparpolitik wandten und für eine solidarische Gesellschaft und für einen solidarischen sozialen Fortschritt eintraten; die Wahlergebnisse sind für die Umsetzung dieser Ziele aber unzureichend, bilden keine wirkliche Alternative und können die Lücke, die eine vollkommen geschwächte sozialistische Partei hinterlassen hat, nicht ausfüllen. Dennoch stellen sie einen Ausgangspunkt für die Kämpfe dar, die in Zukunft ausgefochten werden müssen. Die gegenwärtige Herausforderung besteht darin, neue politische Konzepte für eine solidarische Linke zu entwickeln.
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