23.11.2023: Die israelische Armee führt in Gaza einen Vernichtungskrieg. Die flächendeckenden Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die Zerstörung der zivilen Infrastruktur, das Aushungern und die erzwungene Vertreibung der Bevölkerung, die Belagerung und die Blockade stellen nach Ansicht von Rechtsexpert:innen Kriegsverbrechen dar, die untersucht werden sollten. Die israelische Regierung kann diesen völkermörderischen Krieg führen, weil sie auf die Unterstützung durch die USA und den Großteil der westlichen Gemeinschaft bauen kann. Wie der Sprecher des Weißen Hauses für Innere Sicherheit am 27. Oktober sagte: "Wir ziehen keine roten Linien für Israel".
Conrad Schuhler über die Rolle Israels in der Strategie des US-Imperialismus:
Linke Kritik an Israel formuliert oft den Vorhalt, das Land sei als "landgestützter Flugzeugträger" ein kolonialistischer Vorposten gegen eventuelle Freiheitsbewegungen, die im Nahen Osten gegen die politische Vorherrschaft des Westens auftreten mögen. Solchen Vorwurf des "Kolonialismus" bezeichnen die neo- und altliberalen Medien des Westens als besonders blödsinnig, als Beweis für die Halt- und Sinnlosigkeit linker Haltung zu Israel. Dieser Einschätzung hat niemand anderer als der jetzige US-Präsident Joe Biden schon früh widersprochen:
"Es ist Zeit, dass wir aufhören, uns für unsere Unterstützung Israels zu entschuldigen. Da muss es keinerlei Entschuldigung geben, keine. Es ist die beste 3-Milliarden-Dollar-Investition, die wir machen können. Wenn es Israel nicht gäbe, müssten die USA ein Israel erfinden, um ihre Interessen in der Region zu schützen." [1]
Das sagte Biden 1986, dem Geburtsjahr der Hamas, die heute den Gazastreifen kontrolliert. Der Unterschied zu heute ist gewaltig: Die Hamas soll zusammengebombt werden und die im Wege stehende palästinensische Bevölkerung gleich mit. Und die USA investieren nicht 3 Milliarden Dollar, sondern Waffen und weiteres Kriegsmaterial für 17 Milliarden Dollar. Auch liegen zwei Flugzeugträger der USA unmittelbar vor der Küste, der Iran, die Hisbollah im Libanon sollen von aktivem Eingreifen abgeschreckt werden.
Wer nicht sieht, dass Israel ein strategischer Posten in der Hand des westlichen Imperialismus ist, der will es nicht sehen. Vielleicht, weil er, wie viele Politiker und Medienleute, vom selektiven Hinschauen lebt, und das oft ganz annehmlich.
Der Vorwurf der Ignoranz der Linken wird ergänzt durch den des allumfassenden Antisemitismus. Wer sich empört über den Massenmord an den Palästinensern, leugnet das Existenzrecht Israels und ist Antisemit. Die Vertreter der israelischen Regierung werfen sich in die Pose der vom deutschen Holocaust massakrierten Juden. Der israelische UN-Botschafter tritt vor der Generalversammlung mit dem gelben Stern auf der Brust auf, auf dem steht "Niemals wieder". Israels Premier Netanjahu erzählt Kanzler Scholz, "Hamas sind die neuen Nazis".
In einem Offenen Brief in der New York Review of Books haben sich US-Spezialisten der Holocaust-Forschung gegen diesen "Missbrauch der Holocaust-Erinnerung" gewandt. Im Zusammenhang mit dem Nahost-Problem "an den Holocaust zu erinnern, verdunkelt das Verständnis des Antisemitismus, der die Juden heute trifft, und stellt die Ursachen der Gewalt in Israel-Palästina auf gefährliche Weise falsch dar". [2] "75 Jahre Vertreibung, 65 Jahre Besatzung und 16 Jahre der Gaza-Blockade haben eine immer weiterverwüstende Spirale der Gewalt geschaffen, die nur durch eine politische Lösung gestoppt werden kann."
Die neue Vertreibung von über einer Million Palästinenser aus dem Norden Gazas in den Süden und die Tötung von fast 15.000 Menschen, darunter 6.150 Kinder und 4.000 Frauen (Stand 23.11.2023), macht die Konzentration auf politisch-diplomatische Lösungen und die Schaffung der Voraussetzungen für eine lebens- und friedensfähige Zwei-Staaten-Lösung noch dringlicher.
Ein Haupthindernis auf diesem Weg ist die Regierung Israels. Netanjahu sagte vor dem israelischen Parlament: "Dies ist ein Kampf zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Dunkelheit". Sein Verteidigungsminister verkündete: "Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln dementsprechend." Dies erinnert in der Tat an die Sprache des Holocaust. Nur ist dieses Mal die zu vernichtende Volksgruppe die der Palästinenser.
Jeder Linke muss für das Existenzrecht Israels eintreten. Das universale Menschenrecht einer eigenen politischen Heimstatt gilt endlich für die über Jahrtausende politisch verfolgten Jüdinnen und Juden. Aber doch nicht zu Lasten anderer Völker und ethnischer Gruppen.
Die Strategie, die Hamas und mit ihr, wenn nötig, gleich das ganze palästinensische Volk zu liquidieren oder an die Kette zu legen, entspricht dem Geburtsfehler der Staatsgründung Israels, die mit der Vertreibung der Palästinenser begann. Ohne die endliche Anerkennung einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Autonomie der Palästinenser in ihrer angestammten Region wird das Israel-Palästina-Problem nicht zu lösen sein.
txt: Conrad Schuhler
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die redaktionelle Haltung von kommunisten.de wider.
Fußnoten
[1] Richard Eskow, Biden´s Vietnam, LBJ´s Fate. LA Progressive, November 22, 2023.
[2] An Open Letter on the Misuse of Holocaust Memory. New York Review of Books, November 20, 2023.
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