25.03.2020: Bettina Jürgensen (marxistische linke) kommentiert die gemeinsame Erklärung von DGB und BDA "Die Sozialpartner stellen gemeinsame Verantwortung in der Coronakrise über Differenzen" und konfrontiert sie mit den Realitäten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB hat am 13. März mit einer Pressemitteilung festgestellt: "Die Sozialpartner stellen gemeinsame Verantwortung in der Coronakrise über Differenzen". Gemeinsam mit dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA, Ingo Kramer, hat der DGB Vorsitzende Reiner Hoffmann den Burgfrieden zwischen Kapital und Arbeit erklärt. Schon immer hätten sie sich "verantwortungsvoll für das Gemeinwohl eingesetzt", so die Beiden.
Wie diese Verantwortung auszusehen hat wird gleich mitgeliefert: "Rettungsschirme für Unternehmen und Beschäftigte sind das Gebot der Stunde", heißt es gleich an erster Stelle, gefolgt von Gesundheit und Versorgung der Bevölkerung. "Konflikte und Interessen-Gegensätze bleiben bestehen, aber in besonderen Situationen werden sie hinten angestellt" so in der gemeinsamen Erklärung von DGB und BDA. (DGB und BDA: Die Sozialpartner stellen gemeinsame Verantwortung in der Coronakrise über Differenzen)
Spätestens bei den zu spannenden "Rettungsschirmen" werden Erinnerungen wach. Diese werden von der Presseerklärung des DGB bestätigt: " Die letzte große Bewährungsprobe für die Sozialpartnerschaft war das Handeln in der Finanzkrise 2008/2009. Die Sozialpartner haben damals in Zusammenarbeit mit der Politik, als Tarifpartner und auf betrieblicher Ebene wesentlich dazu beigetragen, dass die Menschen in Arbeit und die Unternehmen im Markt blieben."
Ausgerechnet die Große Krise 2008/2009 und deren Folgen werden als Beispiel herangezogen um "Rettungsschirme für Unternehmen und Beschäftigte" als Heilmittel in der Corona-Krise zu preisen.
Wir erinnern uns:
Die damals gespannten Rettungsschirme galten den Banken, deren Schulden durch die öffentlichen Haushalte – also unsere Steuergelder – bezahlt wurden. Öffentliche Gelder flossen zu den privaten Banken, die privaten Schulden wurden in die öffentlichen Haushalte verschoben.
Am 14.10.2008 hieß es in der DGB-Stellungnahme zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz:
"Der DGB hält es für richtig, dass die Bundesregierung einen Rettungsplan für die Finanzmärkte geschnürt hat und die Eigenkapitalbasis der Banken stärken will. Diese Notfallmaßnahme ist aktuell alternativlos. Wichtig ist zudem, dass diese Initiative europäisch abgestimmt wurde. Die Finanzmärkte sind das Nervenzentrum unserer Wirtschaft. Dieses Nervenzentrum wurde schwer beschädigt. Es fehlt an den notwendigen gesellschaftlichen Regularien und gesetzlichen Schranken."
Die Regularien und Gesetze wurden nur zum Zweck der "Rettung der Banken" geschaffen. Mit den dadurch entstandenen Schulden bei den öffentlichen Haushalten wurde anschließend die Austeritätspolitik legitimiert: Kürzungen im Gesundheitssystem (zwischen 2011 und 2018 hat die EU-Kommission die EU-Mitgliedsländer 63-mal ermahnt, die Ausgaben für Gesundheit zu senken), Privatisierung von Krankenhäusern, fehlendes Pflegepersonal und fehlende Ärzt*innen sind bis heute ein Zeichen dieser verfehlten aber gewollten neoliberalen Politik. Die prekär Beschäftigten, die Kurzarbeiter*innen und Gekündigten, die Mini-Jobber und Leiharbeiter*innen wurden noch tiefer in die Armut gestoßen.
Mit der »Abwrackprämie« wurde zwar die Beschäftigung in der Automobilindustrie stabilisiert, aber gleichzeitig eine »alte« Technologie verlängert, die zum »Abgasbetrug« führte und jetzt noch härtere Brüchen in der Automobilproduktion zur Folge haben wird.
Wie nicht anders zu erwarten stieg durch diese, auch vom DGB damals geforderten Maßnahmen und Regularien, nach der Finanzkrise 2008/2009 die Armut und Arbeitslosigkeit weiter an. Heute liegt in Deutschland die Armutsquote 2019 bei 16 %, mit großen regionalen Schwankungen. Die Arbeitslosenzahlen sind zwar gesunken, dafür haben prekäre Beschäftigung und Teilzeitarbeit zugelegt.
Die Austeritätspolitik führte nicht nur in Deutschland, sondern in allen Staaten der EU zu drastischen Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Bevölkerungen, sie wirkt bis heute insbesondere in den Ländern des Südens fort.
Und heute?
Seit Urzeiten "halten wir den Staat am Laufen", wie es aktuell von Regierungsseite bei "systemrelevanten Bereichen" anerkannt wird, und von uns allen wird erwartet, dass die Krise gemeinsam überwunden werden muss.
Zwei Sorten Rettungsschirme – für Unternehmen …
Dafür werden Milliardenpakete von der Bundes- und den Länderregierungen geschnürt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.
"Wir haben sehr, sehr, sehr viel Geld zur Verfügung" tönt der Finanzminister Olaf Scholz und kündigt zeitgleich mit der Pressemitteilung von DGB und BDA zur "Sozialpartnerschaft" am 13.3.20 unbegrenzte Kredithilfen, Steuerstundungen und Geld für Kurzarbeit für Unternehmen an.
Zu diesem Paket hat der Minister selbst relativ wenig beigetragen, es ist das gebunkerte Geld, zu dem auch die jetzt in Kurzarbeit geschickten Beschäftigten, die in Lebensmittelmärkten, in Krankenhäusern und anderen "systemrelevanten" Jobs durch krankmachende Arbeitsbedingungen und mit viel zu geringen Löhnen beigetragen haben.
… und Beschäftigte
Doch für die Mehrheit der Menschen wird es die unbegrenzten Kredite und Steuerstundungen nicht geben.
Die Tinte unter dem von BDA und DGB unterschriebenen Papier, nach dem Konflikte und Interessengegensätze in der Coronakrise hinten angestellt werden, ist noch gar nicht trocken, da wollen die Arbeitgeberverbände von Solidarität schon nichts mehr wissen. Und können sich auf die Regierungsparteien verlassen. Deshalb werden Unternehmen von Sozialbeiträgen entlastet, müssen davon aber nichts an ihre Beschäftigten in Kurzarbeit weitergeben. Deshalb bleibt es gesetzlich bei mickrigen 60 Prozent Kurzarbeitergeld.
"Es ist unsozial, dass den Arbeitgebern die Sozialbeiträge von der Bundesagentur für Arbeit (BA) voll erstattet werden sollen - die Arbeitnehmer*innen aber davon nichts kommen."
Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di
Wer von dem Geld für Kurzarbeit leben muss, also von 60 % des bisherigen Nettoeinkommens, wird von diesem Geld nur mit der Hoffnung auf den Erhalt des Arbeitsplatzes eine Zeit über die Runden kommen. Erst recht diejenigen, die schon bisher nur unterhalb des tariflichen und für geringes Entgelt gearbeitet haben - häufig in (oft erzwungener) Teilzeit.
Selbst eine Aufstockung mit der Grundsicherung/Hartz IV für einzelne Beschäftigte macht den Ausfall an Entgelt nicht wett. Geringfügig Beschäftigte wie Mini-Jobber*innen, Rentner*innen u.a., die arbeiten um zu (über-)leben, haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.
Millionen Beschäftigte mit mittleren und niedrigen Einkommen werden daher künftig vor allem in einer Gemeinschaft vereint sein: der Gemeinschaft der Hartz-IV-Aufstocker*innen. In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht nicht nur einzelner Menschen - horten sie Klopapier und Atemmasken, oder bieten sie ihren älteren Nachbar*innen an, für sie einkaufen zu gehen -, sondern auch das Gesicht der Gesellschaft, in der wir leben.
Arbeitgeber und IG Metall einigen sich auf Not-Tarifvertrag
Die Tarifpartner in der Metallindustrie haben sich auf eine Nullrunde geeinigt. Das soll den Unternehmen helfen, durch die Coronakrise zu kommen.
Spiegel Online, 20.3.2020
Die vom DGB favorisierte "Sozialpartnerschaft" in Krisenzeiten wird nicht nur durch die Maßnahmen und neuen Erlasse der Regierung ad absurdum geführt. Auch die Tarifabschlüsse in den Zeiten der Corona-Krise lassen alles andere als an soziale oder gar partnerschaftliche Vereinbarungen erkennen.
Ein Tarifabschluss mit einer Nullrunde und der Aussage des Südwestmetallchef Wolf "Der Abschluss ist ein Beispiel dafür, dass sich die Sozialpartnerschaft der Tarifvertragsparteien in der Metall- und Elektroindustrie gerade in schlechten Zeiten immer wieder bewährt hat", ist doch in Wahrheit nicht das, woran man denkt, wenn der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sagt: "In dieser Krise sind solidarische Lösungen gefragt."
Eigentlich wollte die IG Metall in dieser Tarifrunde Regelungen, um Jobs in den anstehenden Modernisierungsschüben zu sichern. Dies wurde nun bis auf Weiteres vertagt.
Dafür können die Aktionäre und die Manager*innen in der Automobilindustrie in diesem Frühjahr mit fetten Dividenden und Boni rechnen. Eine Milliarde Euro Dividende bekommt der Porsche-Piëch-Clan für seine Aktienpakete bei Volkswagen, die Scheichs von Katar mehr als 300 Millionen Euro. Die Rekordergebnisse von VW aus dem Jahr 2019 lassen die Bonuszahlungen der Manager um 12 (VW, Skoda, Porsche), 13 (Audi) oder sogar 27 (Bentley) Prozent steigen. Auf insgesamt "eine niedrige einstellige Milliardensumme", heißt es aus dem Konzern.
"Euro-Finanzminister. So wie sie in der Euro-Krise versagt haben, werden sie auch in der Covid-19-Krise mit heroischen Ankündigungen reagieren, die jedoch lediglich verschleiern, wie unzureichend sie wirklich handeln."
Yanis Varoufakis
In der DGB-Gegenblende schreibt Yanis Varoufakis:
"Wieder verhindert Deutschland eine angemessene Reaktion auf eine Finanzkrise. Den ersten Hinweis darauf bietet die jüngste Ankündigung eines deutschen Finanzhilfepakets für den privaten Sektor. Während es in den internationalen Medien als 550-Milliarden-Euro-Panzerfaust bezeichnet wird, können wir bei näherem Hinsehen nicht mehr als eine Wasserpistole erkennen.
Mit seinen Steuerstundungen und hohen Kreditlinien enthüllt das deutsche Paket ein ernsthaftes Missverständnis über die Art der Krise. Es ist dasselbe Missverständnis, dass vor zehn Jahren zur Eskalation der Eurokrise führte. Damals wie heute standen und stehen die Unternehmen und Haushalte nicht vor der Illiquidität, sondern vor der Insolvenz. Um die Krise aufzuhalten, müssten die Regierungen »alles in einen Topf werfen« und eine gewaltige Haushaltsexpansion in die Wege leiten. Aber genau dies soll das deutsche Paket vermeiden."
Und er fordert:
"Wir haben die Pflicht, die Bürger darüber aufzuklären, wie – sogar in unseren liberalen Demokratien – Entscheidungen routinemäßig zwar in ihrem Namen, aber gegen ihre Interessen und ohne ihr Wissen getroffen werden. Getroffen von Funktionären, die zwar vorgeben, die Demokratie zu verteidigen, sie aber in Wirklichkeit verabscheuen.
Scheitern wir damit, werden sich die Entscheidungen der EU im Bereich der Haushaltspolitik, der grünen Investitionen sowie der Gesundheits-, Ausbildungs- und Migrationspolitik – insbesondere während dieser Pandemie – als ebenso ineffektiv erweisen wie jene, die vor zehn Jahren die Eurokrise beschleunigt haben. Und dann werden vor allem Populisten wie Trump und Putin oder Orbán, Salvini und Le Pen profitieren, die unsere gemeinsamen Institutionen von innen heraus auflösen wollen." (Yanis Varoufakis, DGB-Gegenblende, 19.3.2020: Unvorbereitet für die Covid-19-Rezession)
[siehe auch "DiEM25: Die Eurogruppe wird ihrer Verantwortung für Europa ein weiteres Mal nicht gerecht"]
von "Sozialpartnerschaft" wieder in Modus "Kampf um unsere Rechte!" kommen.
Wenn die Aussagen von Varoufakis stimmen, dann wird in vielen Betrieben die Arbeit nicht nur vorübergehend und zeitlich befristet beendet sein. Und in den vor uns liegenden Wochen und Monaten werden die sozialen Folgen der jetzt angeordneten Sparmaßnahmen incl. der immer eiliger beschlossenen Maßnahmen zur Durchsetzung des Rettungsschirms für die Wirtschaft sichtbar werden. Auf den Abbau von demokratischen Rechten soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Doch diese müssen wir durchsetzen, wenn es darum geht von "Sozialpartnerschaft" wieder in den Modus "Kampf um unsere Rechte!" zu kommen.
Bettina Jürgensen, marxistische linke
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