Meinungen

GR Alexis Tsipras 2019

27.07.2019: Am Samstag, 13.Juli, tagte das Zentralkomitee von SYRIZA, um die Wahl zu bewerten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Alexis Tsipras betonte in seiner Rede, dass SYRIZA trotz des Sieges der Nea Demokratia eine einflussreiche politische Kraft bleibt. "Wir bleiben die große Kraft der Demokratie und des Fortschritts in unserem Land".

1,8 Millionen Bürger*innen haben SYRIZA bewusst ihr Vertrauen geschenkt, in Kenntnis "unsere Fähigkeiten, Fehler und Auslassungen", so Tsipras. "Ihr Vertrauen könnte als ein Vertrag für die Zukunft des Landes mit uns angesehen werden, ein Vertrag, der ihre Träume, Bedürfnisse und Interessen vertritt", sagte er unter anderem.

"Wir müssen die Verpflichtung, die das griechische Volk uns gegeben hat, erfüllen", bekräftigte er. Dazu müsse die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) zu einem großen progressiven Schirm erweitert werden.

"Jeder kann mitmachen. Linke, Radikale, linke Sozialisten, demokratische Kommunisten, Sozialdemokraten, grüne Ökologen und Bürger, die aus dem demokratischen Zentrum kommen."

Gleichzeitig wies er die Unterstellung zurück, dass sich die Partei in eine neue PASOK verwandelt habe. "Niemand will PASOK sein, nicht einmal die PASOK, die ihren Namen geändert hat" in KINAL, betonte er.

Tsipras' Aufruf wird auch als eine klare Einladung an seine ehemaligen Genoss*innen verstanden, die SYRIZA im Sommer 2015 verließen, als er die dritte Rettungsaktion unterzeichnete und kleine Parteien bildete, die es nicht geschafft haben in das Parlament einzuziehen.

Im Folgenden übernehmen wir ausgewählte Redeauszüge von Alexis Tsipras auf der ZK-Tagung, die auf der Internetseite von SYRIZA München veröffentlicht wurden, übersetzt von Kostas Lariseos.

 

Alexis Tsipras: Über die Wahlbeurteilung und die Zukunft von Syriza.

Nach Themen ausgewählte Redeauszüge von Alexis Tsipras aus der ZK-Sitzung vom 13.07.19

Beurteilung des Wahlergebnisses

Die Nea Demokratia (ND) hat einen Wahlsieg errungen, wir aber haben ein Wahlergebnis erzielt, das fast niemand erwartet hat.

Wir haben es geschafft, im Vergleich zur Europawahl unser Ergebnis um 8 Prozentpunkte zu steigern.

Wir haben es nicht geschafft die Wahl zu gewinnen, da die überwältigende Niederlage nach den Europawahlen äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen geschaffen hat.

Die neue Regierung

Die ersten Entscheidungen der neuen Regierung sind in der Tat äußerst eklatant.
Die ‘kleine’ und flexible Regierungsmannschaft mit den ’51 Ministern’ umfasst in allen kritischen Positionen die alten Minister der Samaras-Regierung.
Eine Regierungsmannschaft mit 51 Ministern, die in ihren Reihern aber nur 5 Frauen hat!
Für diesen Frauenanteil gab Herr Mitsotakis eine ‘bemerkenswerte’ Erklärung:
“Frauen sind nicht bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.”
“Sie scheinen eher bereit zu sein, grundlegende häusliche Aufgaben zu erledigen, aber keine Regierungsverantwortung zu übernehmen.”

Der Griechische Unternehmerverband (ΣΕΒ)

Wir haben auch gesehen, dass Mitglieder des ΣΕΒ und Manager von Großunternehmen Schlüsselpositionen in dieser Regierung einnahmen. Εin Mitglied des ΣΕΒ bekam sogar die Rolle des Ministerkoordinators.
Die großen Lobbyisten übernehmen direkt die Ministerien, die für sie von Interesse sind; es gibt keine korrupten Verflechtungen mehr zwischen Wirtschaft und Regierung wie in der Vergangenheit, halten wir das fest.
Der Vertreter des Unternehmens Lamda Development, der die Verhandlungen mit dem griechischen Staat bezüglich des geplanten Investemts “Elinikon” führte, wechselte über Nacht die Seiten im Auftrag des Premierministers Mitsotakis und vertritt jetzt… den griechischen Staat gegenüber seiner alten Firma. Der Wolf soll somit auf die Schafe aufpassen.

Justiz

Die ND lehnte eine einvernehmliche Ernennung der Justizführung ab und streicht nun eine gemäß des Gesetzes und der Verfassung getroffene Wahl für die Ernennung der Justizführung.
Es ist offensichtlich, sie versuchen, die Justiz zu manipulieren. Dieser Versuch ist für mich absolut nachvollziehbar. Denn angesichts einer Vielzahl von offenen Strafverfahren gegen derzeitige Minister, aber auch gegen führenden Lobbyisten der neuen Regierung, ist es meines Erachtens offensichtlich, dass es sich hier um eine geplante Justizmanipulation handelt.

Erschreckende Entwicklungen

Schließlich haben wir innerhalb weniger Tage zum ersten mal in der dritten griechischen Republik eine weitere unglaubliche Entwicklung gesehen und erlebt.

Der Premierminister übernimmt persönlich die Kontrolle des Geheimdienstes, die Kontrolle der öffentlichen Rundfunkanstalt und der staatlichen Nachrichtenagentur.
Und zur gleichen Zeit beeilen sie sich und erkennen Guaidó an. Sie sind selber diejenigen, die alles anwenden, was sie Maduro vorwerfen. Es ist ein interessanter Widerspruch (oxymoron).

Klimawandel

Der Klimawandel ist keine Angelegenheit, kein Szenario der Zukunft, das uns jetzt nicht tangiert.
Der Klimawandel ist da, er ist gegenwärtig, er hat bereits begonnen, und solange die Mächtigen dieser Welt im Namen des Profits oder im Namen einiger geostrategischer Bestrebungen ihre Augen schließen, wird diese Bedrohung wachsen und die Situation wird unumkehrbar.

Was wir übernahmen und was wir übergeben

Wir haben ein bankrottes Land mit leeren Kassen übernommen, wir konnten nicht einmal Löhne und Renten zahlen.
Wir haben ein Land mit 28% Arbeitslosigkeit und einem großen Teil der Bevölkerung in Armut bzw in einer humanitären Krise übernommen.
Heute ist Griechenland aus dem Memorandum heraus, die Troika steht nicht mehr über den Köpfen der Minister und legt die Politik fest.
Die öffentlichen Kassen sind mit 37 Milliarden Euro gefüllt, wir haben positive Wachstumsraten für neun aufeinanderfolgende Quartale, eine Arbeitslosigkeit von 17,5% und historisch niedrige Darlehenszinssätze.
Unser Land hat vor allem seinen Einfluss und seine Glaubwürdigkeit, sowohl in Europa als auch international wieder erlangt.

Um das Land an diesen Punkt zu bringen, haben wir schwierige Entscheidungen getroffen und vor allem für unser Wertesystem sehr schwierige Entscheidungen getroffen.

Keine "Strategische Niederlage"

Das Wahlergebnis hat jedoch bewiesen, dass sich letztendlich nur ein sehr kleiner Teil unserer Wähler von SYRIZA entfernte oder andere Parteien gewählt hat.
Bemerkenswert und erwähnenswert ist, dass SYRIZA verglichen mit dem Wahlsieg vom September 2015 nur 140.000 Stimmen verloren hat bzw. nur 3,9% weniger Stimmen bekommen hat.

Der Wahlsieg der ND ist eine unbestrittene Tatsache, aber die von unseren Gegner ersehnte strategische Niederlage von Syriza entwickelte sich zu einem Sommernachtstraum.
Εine Million Achthunderttausend Bürger haben uns gewählt, d.h. jeder dritte Bürger, der gewählt hat. Das kann niemand als strategische Niederlage bezeichnen.

Im Jahr 2015 gewann SYRIZA die Wahl mit einem großen Anteil des griechischen Volkes von fast 36 %.
Wir alle wussten aber, dass wir nicht auch das Vertrauen dieser Menschen gewannen. Das waren vor allem Menschen aus dem erweiterten progressiven und demokratischen Wählerbereich.
Es war ein Forderungsvotum nach Sturz, Veränderung, Hoffnung, es war ein Testvotum und es war auch ein Votum, das als Ergebnis der härtsten sozialen Plünderung kam (vom 2010 bis Januar 2015), die das Land jemals in seiner Geschichte erlebt hatte.

Das Wahlvotum von vorgestern war ganz anders

Das ‘Wahldarlehen’ von 2015 wurde am vergangenen Sonntag zu einer ‘Investition’, kein Darlehen mehr.
Eine Investition des demokratischen und fortschrittlichen Griechenlands in SYRIZA. Dieses Vertrauen könnte auch als Vertrag mit uns für die Zukunft des Landes gesehen werden.

Vertrag, aber auch Auftrag, sich schnell von einer organisatorisch kleinen Partei mit enormen Einfluss auf die Wähler zu einer Partei zu verwandeln, die um die Sorgen dieser Wählerschaft auch organisatorisch gewachsen ist.

Umbau der Partei

Wir sollten uns in eine große Fraktion verwandeln bzw. zu einer modernen und massiven linken, progressiven Bewegung mit tiefen Wurzeln und starken Bindungen zu den arbeitenden Menschen und in der Gesellschaft.
Unser Plan, der Regierungsplan der Linken, ist nicht, alles zu verwalten, sondern alles zu verändern.
Und ich bat das griechische Volk, darüber nachzudenken und uns ein Mandat zu erteilen, diesen Staat, seine bürokratischen Strukturen nicht zu bewahren, sondern alles zu verändern.

Meiner Ansicht nach ist die Veränderung eine revolutionäre Sache. Sie ist eine revolutionäre Kraft, die Kraft der Veränderung.

Auf die kritische Frage, die immer wieder gestellt wurde, nämlich ob wir uns verändert haben, kam kam in Erinnerung die Geschichte des Herrn Keuner von Bertolt Brecht: “Ein Mann, der Herrn Keuner lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: Sie haben sich gar nicht verändert. “Oh!” sagt Herr Keuner und erbleichte.” (Herrn Keuner wurde bewußt, dass er mittlerweile zu einem Denkmal seiner selbst geworden ist)

Ich möchte jedoch etwas klarstellen, dass wir uns nicht falsch verstehen. Was gefragt ist, ist nicht die Veränderung unserer Werte, nicht die Veränderung unserer Ideen und nicht die Veränderung unserer Prinzipien.
Gefragt ist die Veränderung der Organisationsform, um diesen Werten und Prinzipien besser dienen zu können, und gefragt ist auch die Veränderung unseres Verhaltens.

Unsere Partei hat heute eine sehr große Anzahl von Wählern. Die organisierten Mitglieder entsprechen jedoch kaum 2% der Wähler.
Was auch immer gesagt wird, am Ende des Tages ist diese Relation keine linke ‘Haltung’, wie soll ich es sonst sagen? Es führt uns zu einem besonderen Elitismus.

Vorschläge

Ich schlage vor und ich wiederhole, wir sollten kein Wasser in unseren Wein gießen. Wir sollten auch nicht die Flaggen unserer Ideen einholen.
Aber wir sollen diese Fleggen intensiver, bunter, revolutionärer und kämpferischer machen.

Also, Ich denke, dass wir in erster Linie eine Volkspartei sein wollen. Mit Mitgliedern, die mindestens 10% unserer Wähler ausmachen. Können wir das? Ich denke, wir können es, wenn wir es versuchen.

Wir wollen eine jugendliche Partei sein. Ich habe heute die Wahlergebnisse gesehen. Die Prozentsätze sprechen für sich: 38% im Alter von 17 bis 24 Jahren, 39% bei Studenten, 36% im Alter von 24 bis 34 Jahren.
Wir haben aber keine Jugendorganisation, die diesen Größen entspricht und im Bezug auf Studenten im Bereich der Universitäten gilt dasselbe.

Drittens. Wir wollen eine Volkspartei sein. Wir sind die erste Kraft in Attikas Arbeiter- und Angestelltenvierteln.

Wir wollen auch eine demokratische und fortschrittliche Partei sein.
Die digitale Technologie kann heutzutage für Aktionen und zur Einbeziehung unserer Mitglieder in Entscheidungen durch direktere und demokratischere Prozesse verwendet werden. Wir müssen solche Wege gehen.

Wir wollen, wie ich vorher sagte, eine Partei mit einer starken Identität sein; mit Vision und Ziel den Sozialismus in Freiheit und Demokratie.Wir sollten keine Angst haben, dieses Wort zu sagen.
Mit Vision und dem Ziel, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen.

Wir wollen eine wirklich linke Partei sein. Nicht in Worten, sondern in der Praxis. Eine Linke, die die Unprivilegierten verteidigt und eine Linke, die bei schwierigen Situationen nicht wegläuft sondern standhaft beibt, um für sie zu kämpfen.

Eine Linke, die soziale Ungleichheiten in der Praxis bekämpft und denjenigen eine Stimme gibt, die keine haben.

Wir wollen, wie ich am Anfang sagte, eine grüne Partei sein. Mit starker Umweltidentität. Mit einem Programm zur ökologischen Transformation der Wirtschaft.
Und wenn unsere Flaggen heute revolutionär sein sollen, dann sollen sie nicht nur noch rot sein, sondern auch Grün. Grün das Symbol der Ökologie, die die Zukunft der Linke wesentlich bestimmen wird.

Schließlich wollen wir eine Partei sein, die die Hauptvertreterin der fortschrittlichen Kräfte in unserem Land ist.

Neugründung von Syriza

SYRIZA Logo 1Ich denke, wir brauchen einen umfassenden Prozess zur Öffnung unserer Partei und Registrierung neuer Mitglieder.
Die Neugründung von SYRIZA erfolgt dann de facto mit der Zunahme unserer Mitglieder, die zu einer Umstrukturierung unserer Organisationen führt, zum Wiederaufbau unserer Organisationen und zu einem neuen Parteitag.

Ein Neugründungsparteitag mit diesen Tausenden von Mitgliedern, mit umfassenden demokratischen Prozessen, wo unsere Mitglieder über alles entscheiden. Von der Identität bis zum Organisationsmodell, Programm und Statut.

Verhaltensregeln

Genossinnen und Genossen, mit diesen aufrichtigen Gedanken denke ich, dass ich einen Anstoß schaffe für einen fruchtbaren Dialog in der kommenden Zeit.
Ich bitte Sie nicht, dass wir heute entscheiden. Ich fordere Sie jedoch auf, keine Angst vor dem Wagnis zu haben.
Ich fordere Sie eindringlich auf, diese historische Pflicht von SYRIZA, nicht im Namen irgendwelcher Bedenken zu vernachlässigen. Und sich nicht hinter alten “Befestigungen” zu verstecken, um den neuen Herausforderungen zu entgehen.

Wenn wir alles wollen, was ich Ihnen über die Partei erzählt habe, wollen wir natürlich auch eine Partei mit starken ethischen Verhaltensregeln sein.
Regeln, die sowohl für Mitglieder als auch für Funktionäre Gültigkeit haben sollen, denn schon vor den Wahlen und bei den Wahlen gab es Verhaltensweisen, die uns weh taten.

Veränderung

Die Kämpfe unseres Volkes werden die treibende Kraft unsere Veränderung sein und unsere Veränderung wird der Motor der neuen großen Kämpfe unseres Volkes sein.

Übersetzung: Kostas Lariseos

Quelle: Avgi (Parteizeitung von Syriza)
übernommen von www.syriza-monachou.de


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