20.05.2016: Von Donnerstag bis Sonntag (5.-8. Mai) nahmen mehr als 800 TeilnehmerInnen an über 130 Veranstaltungen des MARX IS MUSS Kongresses des Netzwerkes 'Marx21' teil. Bashkar Sunkara, einer der internationalen Gäste, fast seine Eindrücke kurz nach einer Veranstaltung auf Twitter so zusammen: "Habe gerade auf dem MARX IS MUSS-Kongress über die Kampagne von Bernie Sanders gesprochen. Mein Reformismus wurde erschreckend positiv aufgenommen.“
Der Gründer des linken US-Amerikanischen Magazins Jacobin beschreibt treffend die Stimmung während der Diskussion über die aktuellen Präsidentschaftswahlen. Sunkara begründete, warum er die Kampagne von Sanders unterstützt: Er bezeichnet ihn als eine Art klassenkämpferischen Sozialdemokraten, der das schafft was anderen Linken seit langem abhanden gekommen zu sein scheint. Sanders weiß es zu bewerkstelligen, die aufgestaute Wut vieler US-Bürger zu kanalisieren und gegen den eigentlichen Gegner zu richten, nämlich die Klasse der Superreichen und großen Konzerne. Dass die Graswurzel-Kampagne von Sanders an weitgehend reformistische Forderungen gekoppelt ist, stößt durchaus auf Kritik. Allerdings überwiegt hier die Überzeugung, dass das Momentum der Kampagne einen außergewöhnlichen Schub für die linke Bewegung in den USA und darüber hinaus bedeuten kann.
Als das europäische Pendant zu Sanders wird immer wieder Jeremy Corbyn genannt, der neue Vorsitzende der britischen Labour-Partei. Auch wenn Corbyns Aufstieg medial wieder aus dem Mittelpunkt gerückt ist, hat dieser zu einer immensen Mobilisierung vor allem junger Menschen geführt und den politischen Diskurs um eine Alternative zur neoliberalen Vorherrschaft weiter erhitzt.
Weitaus umstrittener sind die Einschätzungen über die eigentlich positiven Entwicklungen bezüglich Syriza, Podemos oder der neuen Regierung in Portugal. Gleich mehrere Veranstaltungen widmeten sich dieser Thematik. In einer dieser Diskussionen debattierten Alex Callinicos, Professor am King´s College in London, und Thomas Sablowski von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die generelle Sinnhaftigkeit linker Regierungsbeteiligung und die zunehmende Abkopplung sozialer Bewegungen von den neu gegründeten Parteien wie Syriza und Podemos. Relativ nüchtern diskutierten die beiden Referenten über mögliche Handlungsalternativen der Syriza-Regierung zum Zeitpunkt des Coups letzten Jahres, ohne jedoch wirkliche Alternativen vorzulegen. Kritischer fielen die Einschätzungen im Publikum aus, aus dem heraus die von Tsipras geführte Regierung des Verrats bezichtigt wurde.
Unter den Teilnehmern dieser Diskussionsrunde waren auch mehrere Referenten des Kongresses zu finden, unter ihnen auch Stathis Kouvelakis, Mitglied von Laiki Enotita (Volkseinheit), der jüngsten Abspaltung Syrizas, der ebenfalls zur Entwicklung der europäischen und griechischen Linken sprach. Auffällig war, dass zwar viel über das Erreichte und Nicht-Erreichte der europäischen Linken gestritten wurde, jedoch die eigentlich Beteiligten, wie beispielsweise Vertreter von Syriza, nicht zu Wort kamen.
Neben Europa war der Kampf gegen Rassismus ein weiterer Themenschwerpunkt des Kongresses. Black Lives Matter, Front National und die AfD waren Themen, um nur einige zu nennen. Ein immer wiederkehrendes Gesprächsthema auf dem Kongress war das neue Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“, welches eine Antwort auf das Wiedererstarken rechter Kräfte in Deutschland sein soll. Das Hauptpodium zum Thema Rassismus war dem Bündnis und der Diskussion über dessen Herausforderungen gewidmet. So breit wie das Bündnis war auch das Podium aufgestellt: eine Bundestagsabgeordnete der LINKEN, eine lokale muslimische Aktivistin und ein stellvertretender Vorsitzender der Jusos. Trotz teils kritischer Stimmen gegenüber dem Vertreter der SPD, bezüglich der eher kontraproduktiven Politik seitens der sozialdemokratischen Regierungsverantwortlichen, wurde die Notwendigkeit eines möglichst breiten Bündnisses gegen die AfD immer wieder betont und traf auf viel Zustimmung.
Dass das marx21-Netzwerk, als einer der Initiatoren, ein Interesse an der Etablierung des Bündnisses hat, wurde auch in den regionalen Vernetzungstreffen deutlich, die zwischen den Veranstaltungen abgehalten wurden. Hier wurde konkret über die lokale Verankerung des Bündnisses und die Ausrichtung regionaler Aktionskonferenzen unter den Aktivisten diskutiert.
Thematisch wurden noch viele weitere Probleme auf dem Kongress behandelt, so lag ein weiterer Fokus auf dem Kampf für die Befreiung der Frau im 21. Jahrhundert und die Zusammengehörigkeit von Feminismus und Sozialismus.
Was jedoch unabhängig von der Thematik auffiel, war die breite Beteiligung internationaler Gäste an den einzelnen Veranstaltungen. Klar wurde erneut, dass Lösungen nicht mehr nur lokal oder regional gedacht werden können und dass eine internationale Diskussion und Absprache immer nötiger wird. Der Kongress hat gezeigt, zum Beispiel durch die Diskussion bezüglich des "Aufstehen gegen Rassismus“-Bündnisses und die Beteiligung internationaler Aktivsten von den USA bis Russland, dass er als partei-und bewegungsübergreifende Plattform für eine verstärkte Zusammenarbeit fungieren kann.
txt: Stefanos Kontovitsis
Info: Einige Veranstaltungen können demnächst online zum Anschauen abgerufen werden!