Meinungen

Münchner Flüchtlings-Camp polizeilich abgeräumt
von Wolfgang Blaschka

29.11.2014: Rund 30 Flüchtlinge aus verschiedenen arabischen und afrikanischen Ländern protestierten seit vergangenem Samstag (22.11.) im Münchner Zentrum am Sendlinger Tor vornehmlich gegen die unzumutbaren Lebensbedingungen in den Flüchtlingsunterkünften und gegen die Residenzpflicht. Zudem fordern sie die Anerkennung als politisch Verfolgte und damit ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland sowie eine Arbeitserlaubnis. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, traten die Flüchtlinge in einen Hungerstreik.

Die bayerische Staatsregierung wertete diesen Akt der Verzeiflung als "Erpressung", der sie nicht nachgeben werde; die Hugerstreikenden würden "unerfüllbare" Forderungen stellen. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde das Protestcamp mit dem Einsatz von ca. 500 Polizisten geräumt. Zehn junge Flüchtlinge flüchteten auf Bäume und konnten erst nach stundenlangen Verhandlungen dazu bewegt werden, ihren Protest abzubrechen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) versicherte den Protestierenden, noch vor Weihnachten einen Runden Tisch mit Vertretern von Politik und Verbänden zu organisieren.

Dazu Wolfgang Blaschka (WoB):


Bis zum 1. Dezember wollte die Landeshauptstadt München die Dauer-Kundgebung der 34 hungerstreikenden Non-Citizens auf dem Brunnenrondell des Sendlinger-Tor-Platzes dulden, solange die nicht in einen „trockenen“ Hungerstreik treten würden. Aufgrund der hinhaltenden „Angebote“ des Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) und der ablehnenden Haltung des bayerischen Innenministers Joachim Hermann (CSU) sahen sie sich schließlich gezwungen zu diesem äußersten Mittel zu greifen, um ihren Forderungen nach menschenwürdiger Behandlung und Änderung der Asylpolitik Nachdruck zu verleihen.

Ermutigend: Viele Sachspenden trafen ein, spontan aus der Stadtbevölkerung: Decken, Schlafsäcke, Isomatten, warme Bekleidung. Deprimierend: Bereits zehn der Geflüchteten mussten in umliegende Krankenhäuser eingeliefert werden.

Um 21.42 Uhr am Mittwochabend des 26. November 2014, dem fünften Tag ihres öffentlichen Protestes, drohte der Kreisverwaltungsreferent Blume-Beyerle die gewaltsame Auflösung des Camps an. Rund 500 Polizeibeamte schritten anschließend zur Räumung, angeblich zum Schutz der Betroffenen vor „Unterkühlung“. Eine Sorte von Fürsorglichkeit, die einen frösteln macht: In Wahrheit richtete sich die Staatsaktion gegen die Entschlossenheit der Flüchtlinge, die bewusst gegen die Auflagen verstoßen hatten, indem sie mit der völligen Verweigerung von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machten.

Sie wollten keinesfalls zurück in Sammelunterkünfte, denn von dort kamen sie ja her. OB Reiter hatte ihnen geraten in die Bayernkaserne umzuziehen und als Voraussetzung für seine Vermittlungsbemühungen gefordert, ihren Hungerstreik sofort zu beenden. Erst und nur dann dürften sie auf ein Gespräch mit Politikern und Verwaltungsbeamten von Bund, Land und dem zuständigen Regierungsbezirk Oberbayern hoffen und warten, wie sie das teilweise schon jahrelang getan hatten. Dass dabei nichts herauskommen würde als die üblichen Vertröstungen, machte schon die klare Absage des bayerischen Innenministers deutlich: Er sehe keine Veranlassung für Verhandlungen, der Freistaat ließe sich „nicht erpressen“.

Stattdessen ließ er die Staatsgewalt aufmarschieren gegen die Menschen, die nichts anderes wollen als ihr festgeschriebenes Menschenrecht einzufordern: In Sicherheit vor Gefährdung und Verfolgung leben, arbeiten, studieren – anstatt perspektivlos in „Lagerhaltung“ zu vegetieren, gefangen in „Residenzpflicht“, manche schon jahrelang, manche gar mit einem drohenden Abschiebetermin vor Augen. Etwa 150 Menschen solidarisierten sich mit den hier nicht Geduldeten in dieser Nacht.

Es dauerte bis in die frühen Morgenstunden, ehe die letzten beiden der ursprünglich 10 Asylsuchenden von den Greiftrupps mit Leitern „geborgen“ waren aus den Bäumen, auf die sie sich geflüchtet hatten. Sie stammten aus Afrika und vornehmlich aus Ländern, in denen die westlichen Staaten militärisch „interveniert“ hatten: Afghanistan, Pakistan, Syrien, Somalia. Tags darauf konnte der Weihnachtsmarkt vor dem Sendlinger Tor wie „alle Jahre wieder“ beginnen, ohne der „frohen Christenheit“ in der „fröhlichen Weihnachtszeit“ einen verstörenden Blick auf das reale Elend der einheimischen Asylgesetzgebung zumuten zu müssen. Die Schwabinger Turmbläser intonierten verklärend, etwas realitätsvergessen: „Zu Betlehem geboren“. Das klang wie Hohn. Denn es gab keine Herberge außer dem an zwei Seiten offenen Zelt und dem windigen Gartenpavillon, die weggeputzt worden waren, stattdessen erneute Kasernierung.

Wieder einmal hat der Freistaat Bayern bewiesen, wie eiskalt er sein kann gegenüber den Opfern einer verheerenden Politik des „Westens“, der mit Krieg und Waffenexporten, rücksichtsloser Freihandels-Ausbeuterei und Ressourcen-Plünderung samt Umweltzerstörung die Vernichtung der Lebensgrundlagen vieler Regionen weltweit betreibt und damit endlose Flüchtlingsströme erzeugt.

Niemand verlässt sein Land freiwillig und ohne Not, um die lebensgefährlichen Strapazen einer abenteuerlichen Flucht auf sich zu nehmen, alles aufzugeben und sich in eine ungewisse Zukunft aufzumachen. Diese liegt nun in den Händen der bayerischen Behörden. Anstatt die meist jungen, stark motivierten und hoffnungsvollen Menschen als Chance und Bereicherung zu erkennen und aufzunehmen, sperrt sie die Staatsregierung weg, pfercht sie in Sammelunterkünfte und verbietet ihnen für sich selbst zu sorgen, Deutsch zu lernen, selbstbestimmt zu wohnen und zu arbeiten.

Gegen diesen dümmlichen, menschenverachtenden und rassistisch motivierten Abschottungskurs ist Protest angesagt. Immer mehr vernünftige Menschen fordern Bleiberecht und menschenwürdige Lebensbedingungen für alle Flüchtlinge. Niemand soll abgeschoben werden. Gebt Asyl anstatt Europa zur Festung auszubauen! Das Klima der sozialen Kälte ist härter als jeder Winterfrost. Dagegen hilft auch kein Glühwein am Christkindlmarkt. Es kann nicht allein den Flüchtlingen überlassen bleiben, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen oder gar ihr Leben zu riskieren, um für eine humane Asylpolitik und -Praxis zu kämpfen. Das muss schon auch die deutsche Zivilgesellschaft in die Hand nehmen, zumal sie immerhin überwiegend im Besitz von Bürgerrechten ist.

Die flüchtlingsabweisende „Drittstaaten-Regelung“ muss fallen, ein umfassendes Asylrecht hergestellt werden: Für alle, die Zuflucht suchen (müssen) vor den brutalen Auswirkungen jener Politik, die von den Regierungen der reichen und mächtigen Industriestaaten des „Westens“ gegenüber dem „Rest der Welt“ betrieben wird. Nicht die Flüchtlinge sind das Problem, sondern die Betreiber einer Politik, die so viele Fluchtursachen schafft, begünstigt und verschärft. Schluss mit der Bunkermentalität des neokolonialen Terrorkrieges! Schluss mit den Waffenexporten! Für eine weltoffene Willkommens-Kultur!

foto: Hungerstreik von Andrea Naica-Loebell

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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