08.11.2014: Nicht ganz unpolitische Urlaubserinnerungen
Die neue Flugroute führt nun von Osten auf die Krim. Strahlender Sonnenschein lässt an diesem Oktobertag die bunt belaubten Berge im Süden leuchten. Beim Anflug auf Simferopol erinnere ich mich, dass es eine deutsche Prinzessin aus dem Hause Anhalt-Zerbst war, die als Katharina II. im Jahre 1783 dieses landschaftliche Juwel aus dem zerbröckelnden osmanischen Imperium in das russische Reich einfügte „...von nun an und für alle Zeiten“.
Auf diesem schlichten Provinzflughafen verlässt man das Flugzeug zu Fuß zur Gepäckabfertigung. Kein Zoll, keine Passkontrolle. Vor dem Abfertigungsgebäude ein Pulk lautstark konkurrierender Taxifahrer, keine Panzer, keine Bewaffneten. Durch die bunte Herbstlandschaft geht es über das malerische Krimgebirge und reparaturbedürftige Straßen nach Jalta. Schnell wird deutlich, dass die Halbinsel auch unter ukrainischer Herrschaft nicht von architektonischen Bausünden verschont geblieben ist. An den Straßenrändern warten Händlerinnen mit leuchtend roten Zwiebeln und anderem Gemüse - aber immer noch kein Kriegsgerät.
Und dann Jalta. Bei Temperaturen um 25 Grad erlebt man es noch in vollem Urlaubsbetrieb. Das Gedränge auf der Strandpromenade schiebt sich vorbei an eleganten Modeboutiquen, deren Markennamen von der Düsseldorfer Königsallee geläufig sind, vorbei an verführerischen Restaurants bis hin zum Leninplatz, auf dem noch immer eine überlebensgroße Statue des Revolutionärs die Erinnerung an – ja, an was eigentlich? - wach hält. Die Partei jedenfalls, die sich seinem Erbe verpflichtet fühlt, die KPRF, hat soeben bei den Wahlen zum Parlament der Krim-Republik die 5-Prozent-Hürde nicht geschafft. Dafür sitzen nun fünf bekannte Millionäre in der Volksvertretung.
Zum Einkaufen am nächsten Morgen geht es natürlich auf die Märkte, die hier in südländischer Üppigkeit Obst und exotisches Gemüse, halbe Schweine und ganze Hammel feilbieten, dazu natürlich frische Fische und anderes Meeresgetier. Vor dem Rathaus, wie jetzt das Gebäude des früheren Stadtsowjets heißt, hat sich ein kaukasischer Honigmarkt etabliert. Vom dunkelbraunen Buchweizenhonig bis zum hellgelben Bergwiesenhonig reicht die Palette der unzähligen Sorten, die an den mehr als 20 Verkaufsständen angeboten werden.
Vorbei am Livadia-Palast, dem Ort der geschichtsträchtigen Jaltakonferenz, die im Februar 1945 das Nachkriegseuropa gestaltete, geht es an den schroffen Felshängen der Südküste entlang nach Sewastopol. Auf dem höchsten Hügel der Stadt verdeckt ein Lenin noch immer die Wladimirkathedrale mit den Grabstätten berühmter Admirale. Eine Hafenrundfahrt gibt einen Blick frei auf einige Kriegsschiffe älterer Bauart der russischen Schwarzmeerflotte und auf den lebendigen Betrieb dieser riesigen Hafenanlagen. Noch immer keine Bewaffneten. Ein eiliger Marineoffizier trägt eine Aktentasche.
Auf dem Prachtboulevard, nach dem legendären Admiral Nachimow benannt, suchen wir das Café „1820“. Hier treffen wir in elegantem Ambiente bei Kaffee und Torte Larissa, Lena, Olga und Ludmila, vier echte Sewastopolerinnen, von Beruf Lehrerin, Historikerin, Naturwissenschaftlerin und Kunstmalerin, Freundinnen einer Freundin, alle parteilos. Ohne Smalltalk sind wir sofort beim Thema. „Wir sind glücklich, dass wir wieder in Russland sind“, sagt Lena. Sie sagt „in Russland“. Beifälliges Nicken in der Runde. „Seit dem Ende der Sowjetunion 1991 haben wir uns hier wie unter ukrainischer Besatzung gefühlt. Jelzin hat uns damals im Stich gelassen.“
„Der russische Sprachunterricht wurde auf zwei Wochenstunden reduziert, unsere Sprache diskriminiert“, berichtet die Lehrerin. „Die ukrainische Führung hat Sewastopol nie geliebt. Sie ließ sogar die Geschichte neu schreiben, als habe es uns Russen hier nie gegeben“, fügt die Historikerin hinzu.
Aufgeregt, einander ergänzend, schildern die vier Frauen die spannungsreichen Februartage aus ihrem Erleben: „Die rechtsnationalistischen bewaffneten Maidan-Leute waren schon in Simferopol, da haben wir spontan beschlossen, unsere Stadt zu verteidigen. Für uns sollte Sewastopol die antifaschistische Heldenstadt bleiben. Wir haben Straßenblockaden gegen den Maidan errichtet und haben uns auf den Plätzen versammelt. 30.000 waren wir am 23. Februar und haben gegen die nationalistischen ukrainischen Banden protestiert. An diesem Tage wussten wir nicht, dass Russland uns unterstützen würde. Übrigens waren unsere Söhne immer dabei. Am 9. Mai sind sie dann mit den Orden und Fahnen ihrer Großeltern zur Demonstration gekommen.“
„Und wenn nun Russland damals nicht eingegriffen, die Krim nicht annektiert hätte?“ - „Dann würde hier Bürgerkrieg herrschen wie im Donbass!“
Dabei haben die Frauen keine Illusionen. Sie wissen, dass die ökonomischen Probleme nicht gelöst sind, dass die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt ist. „Aber das nehmen wir in Kauf, wenn nur die Krim sicher bei Russland bleibt.“
Auch auf der Rückreise demonstrative Normalität: Rote Zwiebeln am Rande der Gebirgsstraße, am Flughafen noch immer kein Militär. Es bleibt der Wunsch, dass dies so bleiben möge.
Text: Hugo Braun