Kurt Tucholsky, der Pazifist, Antimilitarist und Antifaschist starb am 21. Dezember vor neunzig Jahren
"...es ist gewiß, dass das Land in seiner jetzigen Geistesverfassung wieder in eine Katastrophe hineintaumeln wird, genau wie im Jahre 1914: dummstolz, ahnungslos, mit flatternden Idealen und einem in den Landesfarben angestrichenen Brett vor dem Kopf. Dann gehen wieder Gewehre auf Reisen."
Diese Worte Kurt Tucholskys von Anfang der 20er Jahre sollten sich keine zwanzig Jahre später bitter bewahrheiten. Und auch heute, hundert Jahre nach Tucholskys Warnung, gehen deutsche Soldat:innen und deutsche Waffen wieder auf Reisen. Insofern ist Tucholsky heute aktueller denn je.
Einen "Tucholsky" unter den einflussreichen heutigen Publizist:innen und Schriftsteller:innen sucht man leider vergebens, die in Wort noch Schrift gegen das aktuelle Säbelrasseln Deutschlands Stellung beziehen. Da war Tucholsky aus anderem Holz geschnitzt. Insbesondere als Redakteur und Mitherausgeber der Wochenzeitschrift "Die Weltbühne" entlarvte er unter seinen Pseudonymen Ignaz Wrobel, Theobald Tiger, Peter Panter und Kaspar Hauserden den deutschen Militarismus und das Erstarkung der reaktionären Kräfte in Politik, Militär und Justiz und warnte vor der heraufziehenden faschistischen Gefahr. Er war "der kleine, dicke Mann, der mit seiner Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten wollte," so sein Mitstreiter Erich Kästner.
Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern ließ er sich nicht von der patriotischen Hurra-Stimmung zu Beginn des 1. Weltkrieges anstecken. In der Nachkriegszeit wird er dann zum militanten Pazifisten. "Für einen anständigen Menschen gibt es in Bezug auf seine Kriegshaltung überhaupt nur einen Vorwurf: dass er nicht den Mut aufgebracht hat, Nein zu sagen." Von seiner eigenen Rolle – er war als Vizefeldwebel aus dem Kaiserheer ausgeschieden – bekennt Tucholsky: "Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Kriege gedrückt, wo ich nur konnte – und ich bedaure, dass ich nicht, wie Karl Liebknecht den Mut aufgebracht habe, Nein zu sagen und den Heeresdienst zu verweigern. Dessen schäme ich mich." Für diese Haltung und für seinen Satz "Soldaten sind Mörder" wurde er zu einem der meistgehassten Publizisten nicht nur in den Reihen der führenden Reichswehrkreise.
In ebenso heftiger Weise prangerte Tucholsky auch die zahlreichen politischen Morde und Mordanschläge auf linke, pazifistische oder liberale Politiker und Publizisten an. "Der deutsche politische Mord der letzten vier Jahre ist schematisch und straff organisiert. Alles steht von vornherein fest: Anstiftung durch unbekannte Geldgeber, die Tat (stets von hinten), schludrige Untersuchung, faule Ausreden, ein paar Phrasen, jämmerliches Kneifertum, milde Strafen, Strafaufschub, Vergünstigungen – Das ist keine schlechte Justiz. Das ist keine mangelhafte Justiz. Das ist überhaupt keine Justiz."
Hart ging Tucholsky auch mit der SPD ins Gericht, deren Führung er ihr Versagen, ja Verrat an den eigenen Anhängern während der Novemberrevolution und der Weimarer Republik vorwarf. Nach Tucholskys Überzeugung war eine zweite, diesmal erfolgreiche Revolution nötig, um eine grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen. "Die deutsche Revolution steht noch aus" heißt es in seinem Artikel anlässlich des zehnten Jahrestages der Novemberrevolution. 1929 publizierte er gemeinsam mit John Heartfield den Band "Deutschland, Deutschland über alles." Die Texte Tucholskys wurden in diesem "Bilderbuch" mit Fotos von Arbeiterfotografen aus dem Fotoarchiv der KPD-nahen "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ) zu einer sozialkritischen Bild – Text – Montage verarbeitet.

Später kühlte die Beziehung zu den Kommunisten beiderseitig wieder ab. Einen der Gründe nennt Tucholsky in einem Brief an seinen Freund Walter Hasenclever: "Ich verabscheue nichts so sehr, wie diese literarische Gesinnungspolizei, die jeden andern genau auf den Rrrradikalismus prüft. Politisch engagiert war Tucholsky in der "Roten Hilfe" und in der "Liga für Menschenrechte".
"der kleine, dicke Mann, der mit seiner Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten wollte"
Es traf Tucholsky tief, als ihm zu Beginn der 1930er Jahre klar wurde, dass sein publizistischen Wirken für eine antimilitaristische und soziale Republik weitgehend wirkungslos blieb. "Sie rüsten für die Reise ins 'Dritte Reich'", schrieb er schon Jahre vor der Machtübergabe und hatte keine Illusionen darüber, wohin die Macht der Faschisten das Land führen würde. Im Weltbühne-Prozess gegen Ossietzky war seit 1929 wegen Landesverrats ermittelt worden und Ende 1931 wurde Ossietzky schließlich als Herausgeber der Weltbühne wegen angeblicher Spionage zu 18 Monaten Haft verurteilt. Tucholsky setzte sich für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Freund ein. Tatsächlich erhielt Ossietzky die Auszeichnung im folgenden Jahr rückwirkend für 1935. Den Erfolg seiner Bemühungen erlebte Kurt Tucholsky jedoch nicht mehr.
Angesichts seiner kompromisslosen Haltung gegenüber dem Faschismus war es auch folgerichtig, dass Tucholsky seinen Namen auf der ersten Ausbürgerungsliste von 1933 wiederfand und dass seine Werke nach 1933 verboten wurden. Bei den Bücherverbrennungen am 10. Mai wurden er und Ossietzky explizit genannt: "Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!"
Tucholsky gab sich nicht der Illusion vieler ins Exil gegangener Politiker:innen und Schriftsteller:innen hin, dass die faschistische Herrschaft Hitlers bald zusammenbrechen werde. Mit realistischem Blick stellte er fest, dass sich im Land kein Erfolg versprechender Widerstand entwickelt. Und auch mit seiner Einschätzung, dass Hitler bald einen Krieg beginnen werde, sollte er Recht behalten. Enttäuscht war Tucholsky auch über das Wirken der Arbeiterparteien. "Der Versuch, die KPD und die SPD im Hinblick auf die Faschisierung zusammen zu kriegen, halte ich für aussichtslos. Man hat das ja wiederholt probiert; sie sind ja aber alle so im Apparat befangen – sie sehen immer nur ihren Parteikram – was hat unsereiner dabei zu suchen?" (in einem Brief an seinen Bruder Fritz,18.1.31).
Tucholskys letzte Lebensjahre in Schweden waren geprägt von zunehmenden gesundheitlichen Problemen, sozialer Vereinsamung und materiellen Sorgen. Eine Woche vor seinem Tod resumiert er in einem Brief an seinen Schriftsteller-Kollegen Arnold Zweig:"Ich bin ein aufgehörter Schriftsteller. Ich enthalte mich jedes öffentlichen Schrittes, weil ich nicht der Mann bin, der eine neue Doktrin bauen kann. Ich bin ausgezeichnet, wenn ich einer noch dumpfen Masseneinsicht Ausdruck geben kann – aber hier ist keine." (Brief vom 15.12.35).
Als er in seinem Versuch, einen schwedischen Pass zu erhalten, um damit zumindest seine materielle Situation und den Zustand seiner Recht- und Hilflosigkeit zu verbessern, von den schwedischen Behörden immer wieder vertröstet wurde, entschied sich der 45jährige am 21.12.1935, aus dem Leben zu scheiden. Seine Urne wurde in Mariefred beigesetzt, einem Ort südöstlich von Stockholm, wo seine Erzählung "Schloß Gripsholm" spielt.
Kurt-Tucholsky-Preis für Maryam Aras
Alle zwei Jahre werden seit 1995 engagierte deutschsprachige Publizist:innen mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet, die vor allem der "kleinen Form" wie Essay, Satire, Song, Groteske verpflichtet sind und sich in ihren Texten konkret auf zeitgeschichtlich-politische Vorgänge beziehen. Ihre Texte sollen im Sinne Tucholskys Hintergründe aufdecken und dem Leser bei einer kritischen Urteilsfindung helfen. Bisherige Preisträger:innen waren bislang u.a. Otto Köhler, Heribert Prantl, Daniela Dahn und der Liedermacher Konstantin Wecker.
Die diesjährige Preisträgerin ist die 1982 in Köln geborene Maryam Aras. In ihrem aktuellen Buch "Dinosaurierkind" geht sie der Geschichte ihres Vaters nach.
In der Begründung der Juroren heißt es: "Durch einen bewegend persönlichen, aber nie sentimentalen Blick auf ihr eigenes Aufwachsen in Köln schreibt Aras die Geschichte ihres Vaters und anderer ‘Dinosaurier’: der Generation iranischer Dissidenten, die in den 1950er und 60er Jahren aus dem Iran geflohen sind und ihr politisches Engagement gegen Schah-Regime wie Khomeini-Diktatur im deutschen Exil fortsetzten und -setzen. Deutschland wird hier zu einem Raum vielfältiger politischer und aktivistischer Bewegungsgeschichten, die bislang nur wenig Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit bekommen haben. Aras dröselt Klischeebilder der 68er als weiß-deutscher Studierendenbewegung auf, indem sie die Arbeit der "Conföderation Iranischer Studenten", aber etwa auch die der "Generalunion Palästinensischer Studenten" ins deutsche Gedächtnis einschreibt. So weist 'Dinosaurierkind'‚ auch immer wieder auf unser Heute in einem Deutschland, das sich durch die Repressionen von Protest hervortut und in einer Weltlage, die wirklich internationale Solidarität so dringend notwendig macht."
txt: Günther Stamer

Klappentext
Während eines Filmabends entdeckt Maryam Aras ihren Vater auf der Kinoleinwand. Bei einer Protestveranstaltung gegen den Shahbesuch 1967 in Berlin sitzt er zwischen anderen Studierenden auf dem Boden. Für sie ist es der Beginn einer Spurensuche - nach ihrer Kindheit in der iranischen Diaspora in Köln, der Gewissheit, dass ihr Vater nicht nach Iran reisen kann, der Geschichte seiner und ihrer Politisierung.In diesem literarischen Essay schreibt Maryam Aras die politische Biographie ihres Vaters, zieht Erzähllinien zwischen dem Staatsstreich 1953 in Iran, einer transnationalen 1968er-Bewegung, dem Kölner Arbeiterviertel Mülheim und einer Familiengeschichte, in der der Luxus, unpolitisch durchs Leben zu gehen, nie existiert hat.
Maryam Aras
Dinosaurierkind
Claassen 2025
192 Seiten, 22 €




