Buchveröffentlichung: Zur Rolle der Gewerkschaften in der Friedensbewegung
Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Gedacht ist dabei an US-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern. Außerdem sollen nach einer deutsch-amerikanischen Vereinbarung Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu zu entwickelnde Überschallwaffen in Deutschland gen Osten in Stellung gebracht werden.
Parallel dazu und eingebettet in die Neujustierung der us-amerikanischen Globalstrategie erleben wir aktuell, dass die Bundesregierung einen Aufrüstungskurs in bisher nicht gekanntem Ausmaß verfolgt. Unterstützt von CDU/ CSU und AfD, verkleinert dieses Hochfahren der Rüstungsausgaben finanzielle Spielräume für die Bekämpfung von Armut, den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und notwendige Investitionen im Kampf gegen den Klimawandel. Das zeigen die aktuellen Haushaltsberatungen anschaulich.
Waffen runter – Löhne rauf!
Wie seit jeher wird damit immer deutlicher, dass die Friedensfrage auch für die Gewerkschaften von existenzieller Bedeutung ist. Eine Politik im Interesse der Verbesserung der Lebensbedingungen der lohnabhängigen Klasse und einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung ist nur im Frieden möglich.
Das war die klare Botschaft der 200 Gewerkschafter:innen (plus einige Hundert über live-stream), die sich am 14./15.Juni im Stuttgarter Gewerkschaftshaus zu einer Friedenskonferenz, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in Kooperation mit ver.di-Stuttgart organisiert worden war, zusammengefunden hatten. Es war die zweite Tagung dieser Art. Ein Jahr zuvor hatten die IG Metall Hanau-Fulda und die RLS mit über 500 Teilnehmenden die Rolle der Gewerkschaften als Teil der Friedensbewegung thematisiert. Ziel war es bei beiden Treffen, die Rolle der Gewerkschaften als Teil der Friedensbewegung zu diskutieren, die Eskalationsgefahren der gegenwärtigen Politik herauszustellen und den Zusammenhang von Krieg und Sozialkürzungen zu verdeutlichen.
Die Beiträge der Hanauer Konferenz sind nun in einem Sammelband veröffentlicht. Die Herausgeberin, Ulrike Eifler (Sekretärin in der IG Metall Geschäftsstelle Würzburg), wünscht sich in ihrer Einführung, dass die "vorliegende Publikation einen Beitrag leistet, die wichtige Frage von Krieg und Frieden in den Gewerkschaften so zu diskutieren, dass die Gewerkschaften an den damit verbundenen Widersprüchen wachsen und ihre Rolle als Ankerpunkt in der Friedensbewegung finden und ausfüllen."
In den zwölf Beiträgen des Buches geht es vor allem um die Bewertung des Ukraine-Krieges und die Folgerungen für gewerkschaftliche und gesellschaftliche Praxis im Hier und Heute. Gemeinsam ist allen Beiträgen – bei vielen unterschiedlichen Akzentuierungen – die Erkenntnis, dass der Ukraine-Krieg nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern im Zusammenhang mit multiplen Krisen zu sehen ist, die die gegenwärtige weltpolitische Entwicklung prägen.
Ausführlich dargelegt wird dies in dem Beitrag von Ingar Solty, dem Referenten für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS, "Die Sechs-Dimensionen-Krise des globalen Kapitalismus und der Ukraine-Krieg." Der mit vierzig Seiten längste Beitrag des Bandes ist so etwas wie der Ankerpunkt des Buches, um den sich herum die anderen Beiträge gruppieren. Soltys Beitrag endet mit folgender Feststellung: "Im Interesse der unteren Klassen weltweit hat der Ukraine-Krieg zu enden. Das ist keine Entsolidarisierung mit der Ukraine, sondern aus Solidarität mit der unteren Klassen in der Ukraine und überall in der Welt, wo es gilt , Gewerkschaftsrechte zu verteidigen, die Ausplünderung des Staates zu verhindern."
Die Meta-Ebene verlassend zeigt der Beitrag von Andreas Zumach, dem langjährigen Experten für internationale Beziehungen und Konflikte, anhand von dreizehn Punkten die vielfältigen Auswirkungen des Ukraine-Krieges (neben all dem unendlichen menschlichen Leid) auf internationaler Ebene und skizziert Wege, um raus aus der Logik des Krieges zu kommen.
Der ehemalige IG-Metall Vorsitzende Jürgen Peters weist in seinem Beitrag auf den Grundsatzantrag des IGM-Gewerkschaftstages hin, in dem es u. a. heißt: "Wir setzen uns mit Nachdruck für diplomatische Lösungen auf allen möglichen Ebenen und über alle Kanäle ein. Eine aktive Kriegsbeteiligung Deutschlands ist auszuschließen, die Eskalations- und Rüstungsspirale darf sich nicht weiterdrehen." Beim Lesen dieses Beitrages und der aktuellen Stationierungsankündigung der US-Marschflugkörper fragt man sich unwillkürlich: Wo bleibt angesichts der gewerkschaftlichen Beschlusslage da der Aufschrei der Metaller:innen?
Der Gewerkschafter Kai Eicker-Wolf liefert einen faktenreichen Beitrag zu "Verteilungsfragen in der ‚Zeitenwende‘ bei. So hat der Ukraine-Krieg eine Inflation in Gang gesetzt wie seit 1950 nicht mehr.
Für eine Bewegung, die den Menschen Hoffnung gibt
Özlem Demirel (LINKEN-Abgeordnete im EU-Parlament) weist darauf hin, dass die Initiative zur Begehung des "Antikriegstages" 1957 vom DGB ausging. "Die Friedensbewegung geriert immer dann in die Defensive, wenn die Gewerkschaften sich zurückhielten, etwa weil sie herrschende Narrative des Krieges teilweise oder ganz übernahmen, wie es beim NATO-Krieg gegen Serbien 1999 oder auch beim Afghanistan-Krieg der Fall war. (…) Die drohenden Stellvertreterkriege können letztlich auch in einem Weltkrieg enden. Wollen wir das verhindern, müssen wir jetzt Gegenmacht aufbauen. Dafür braucht es mutige und von den sozialen und politischen Interessen der werktätigen Menschen geleitete Gewerkschaften, Bündnisse und Parteien."
Internationale Sichtweisen bringen in dem Band ein Valentina Orazzini, Gewerkschaftssekretärin der italienischen Metallarbeiter:innen-Gewerkschaft (FIOM) und Jeremy Corbyn, ehemaliger Vorsitzender der britischen Labour Party.
In seinem Beitrag streicht Corbyn heraus: "Klar ist aber auch: Es reicht nicht, den Krieg nur abzulehnen. Wir brauchen auch eine linke Alternative zu der wirtschaftlichen Armut, zu den finanziellen Entbehrungen und der Ungleichheit, die wir in ganz Europa erleben. Ohne diese Alternative werden wir dem Kriegsgeheule nichts entgegensetzen können. Warum? Weil wir uns vor allem darin von der extremen Rechten unterscheiden. Sie versucht, die Arbeiterklasse gegen den Krieg zu mobilisieren, ohne dabei die sozialen Verwerfungen abzuschaffen. Sie tut dies durch Angriffe auf Geflüchtete oder andere Minderheiten. Und während es heute Geflüchtete sind, die sie angreifen und unterdrücken, wird es morgen die Arbeiterklasse selbst sein."
Angesichts der bevorstehenden Antikriegs-Aktionen im Herbst (1.September Antikriegstag, am 3. Oktober Großdemonstration in Berlin, vom 3. bis 8. September in Kiel Aktionscamp und Demo gegen Rheinmetall"[1]) bietet der hier besprochene Band eine Menge Argumente, immer noch oder aber wieder für Frieden und Abrüstung auf die Straße zu gehen. Und auf gewerkschaftlichen Zusammenkünften (und den dortigen Büchertischen – gibt es so was überhaupt noch?) kann das Buch nur empfohlen werden.
Denn es ist an der Zeit, wieder Gegenmacht gegen Bellizismus und Krieg aufzubauen (Peter Wahl). Jüngstes Beispiel liefert der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
IfW-Präsident plädiert für Lockerung der Schuldenbremse zugunsten weiterer Aufrüstung
Schularick bemängelt, dass "eine rasche Erhöhung der Militärausgaben unterbleibt aufgrund von Parteiengezänk, wahltaktischen Erwägungen und der 2009 eingeführten Schuldenbremse. Sollten eines Tages russische Truppen in ein NATO-Land einmarschieren, wird es ein schwacher Trost sein, dass die Deutschen immerhin ihre Schuldenbremse eingehalten haben. Deshalb ist die Zeit gekommen, die Schuldenbremse zu lösen und aufzurüsten"
Noch mehr Geld für Rüstung auszugeben hätte nach seiner Sicht zudem "positive Spillover-Effekte" für die gesamte deutsche Wirtschaft. Damit könnte sie endlich einen Teil ihres technologischen Rückstandes im Weltmaßstab aufholen. So war es "kein Zufall, dass das westdeutsche Wirtschaftswunder der 1950er Jahre von der Aufrüstung nach Ausbruch des Korea-Krieges profitierte."[2] Diesen Denkansatz weiter gedacht hieße also, dass der Ukraine-Krieg im Grunde genommen nicht nur für Rheinmetall & Co sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland eigentlich einen Glücksfall darstellt.
"Globalisierung verstehen und gestalten" steht an der IfW-Fassade auf einem großen Plakat. Und zu Amtsantritt verkündete der neu ernannte IfW-Präsident: "Wir befinden uns in einer global vernetzten, hochintegrierten Weltwirtschaft, und jetzt gibt es viele Tendenzen und den politischen Willen, Dinge, die politisch, strategisch oder militärisch sinnvoll sind und zur Grundversorgung gehören, wieder stärker im nationalen oder europäischen Kontext umzusetzen." Es gebe zu viel glaubensbasierte Politikberatung, kritisierte er. "Wir sind aber nicht in der Kirche."[3]
Binnen eines Jahre ist Moritz Schularick nun offensichtlich zu einem gläubigen Anhänger von Aufrüstung und militärischen Abschreckungs-Phantasien geworden.
txt: Günther Stamer
Zur Rolle der Gewerkschaften in der Friedensbewegung
Ulrike Eifler (Hrsg.)
ISBN: 978-3-89691-095-0
183 Seiten
Preis: 20,00 €
Erschienen: 2024
Inhaltsverzeichnis hier
Leseprobe hier
hier bestellen: https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/den-frieden-gewinnen-nicht-den-krieg
Anhang
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Fußnoten
[1] https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/post/2024/03/19/kiel-entwaffnen-kriegsindustrie-versenken/
[2] Vortrag für die CDU/CSU Enquete-Kommission zur deutschen und europäischen Verteidigungspolitik am 26.6.2024; veröffentlicht in FAZ 27.6.24
[3] Tagesschau.de 31.7.2023