25.12.2016: Noch bis zum 15. Januar kann man im Hamburger Ernst-Barlach-Haus im Jenischpark Werke des einflussreichsten deutschen politischen Zeichners und Schöpfers von Bildreportagen und -collagen des ersten Drittels des vorigen Jahrhunderts betrachten. Die Rede ist von George Grosz. Seine, die gesellschaftlichen Zustände der Weimarer Republik entlarvenden Bilder und Zeichnungen, haben nichts von ihrem entlarvenden Blick eingebüßt – im Gegenteil: Man hat den Eindruck dass sie gegenwärtig wieder an Aktualität gewinnen.
Rund neunzig Aquarelle, Zeichnungen und Lithografien aus den Jahren zwischen 1912 und 1930 werden in der Ausstellung präsentiert. Sie zeigen Grosz auf dem Weg vom Dada-Künstler zum politischen Aktivisten. Darunter sind auch seine bekanntesten Werke, in denen Repräsentanten aller Klassen und Gesellschaftsschichten in teils grotesker Typisierung aufeinandertreffen. Charakteristisch ist dabei: Trotz allem detailverliebten Gewimmel treten die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Opfern und Tätern deutlich hervor. Mit verwobenen gekritzelten scharfen Linien, intensiven Farben und zersplitterten, futuristischen Bildträumen, die selbst kleinste Details akribisch erfassen, zeichnet er eine Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen. Neben der glitzernden Großstadtwelt, zeigen Straßenszenen vor allem die Schattenseite der Stadt mit ihren trostlosen Häuserfassaden, Baumskeletten, alten Gaslaternen, Bettlern, Kriegsinvaliden und Arbeitslosen.
Im Zentrum der Grosz'schen Werke: Das Spießbürgertum der Weimarer Republik, die Reichen und Mächtigen aus Politik, Militär und Klerus – gemäß seinem Motto: „Dem Menschen den Blick zu schärfen für sein reales Verhältnis zur Umwelt.“ Mit seinem provozierenden Zeichenstil brachte Grosz treffsicher die Widersprüche der Gesellschaft und vor allem „das Gesicht der herrschenden Klasse“ auf eine massenwirksame Formel. Dass diese sich dabei im Kern getroffen fühlten wird daran deutlich, dass der Künstler seinerzeit wegen Beleidigung, Gotteslästerung und Angriff auf die öffentliche Moral wiederholt angeklagt und verurteilt wurde.
Auch hierin wird ein aktueller Bezug zur Gegenwart augenfällig. Die aktuelle Diskussion um Schmähkritik und „Was-darf-Satire“ ist also keine Erfindung der heutigen Zeit.
„Kunst ist für mich keine ästhetische Angelegenheit. Zeichnen ist nicht Selbstzweck ohne Sinn. Kein musikalisches Gekritzel, das nur von feinnervigen Gebildeten zu erfühlen und zu erraten ist. Zeichnen hat wieder einem sozialen Zweck sich unterzuordnen. Gegen das brutale Mittelalter und die Dummheit der Menschen unserer Zeit kann die Zeichenkunst eine Waffe sein – vorausgesetzt, dass ein klarer Wille und eine geschulte Hand sie ausübt", erklärte er 1924.
Biografisches zu George Grosz (1893-1959)
George Grosz wurde als Georg Ehrenfried Groß in Berlin geboren und arbeitet nach seinem Akademiestudium in Berlin als Karikaturist. Nutzt er anfangs lediglich Bleistifte für seine Skizzen, greift er bald zu Feder und farbiger Tusche – Grosz' berühmter und charakteristischer Zeichenstil entsteht.
Wie andere vom Krieg begeisterte Künstler meldet er sich 1914 freiwillig zum Militärdienst, aus dem er allerdings ein Jahr später als „dienstunbrauchbar" entlassen wird. Seit 1916 nannte er sich George Grosz, da er als strikter Kriegsgegner keinen deutschen Namen mehr tragen wollte und wählte einen englischen Namen aufgrund seiner Amerika-Begeisterung. 1918 trat er der KPD bei, verließ sie jedoch 1922 nach einem Aufenthalt in der Sowjetunion wieder.
In dem von Wieland Herzfelde gegründeten Malik-Verlag erscheint 1920 Grosz' erste politische Mappe mit Druckgrafiken - vorgestellt auf der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin. „Gott mit uns" – so der Titel der Mappe. Das Motto ist dem Koppelschloss der preußischen Reichswehr entlehnt – und ist Grosz' Abrechnung mit dem Militarismus der wilhelminischen Kaiserzeit. „Ich zeichnete Soldaten ohne Nase, Kriegskrüppel mit krebsartigen Stahlarmen, einen Obersten, der mit aufgeknöpfter Hose eine dicke Krankenschwester umarmt. Einen Lazarettgehilfen, der aus einem Eimer allerlei menschliche Körperteile in eine Grube schüttet. Ein Skelett in Rekrutenmontur, das auf Militärtauglichkeit untersucht wird", schreibt er rückblickend. Wegen dieser Satire wird ihm 1921 wegen Beleidigung der Reichswehr der Prozess gemacht. In den kommenden zehn Jahren folgen weitere Bildcollagen – und weitere Prozesse.
1933 emigriert er in die USA. In seinen dort entstandenen Werken wird Grosz zunehmend resignierter und unpolitischer. 1959 Rückkehr nach Deutschland, wo er kurze Zeit darauf nach einem Treppensturz stirbt.
Ernst-Barlach-Haus im Jenischpark
Das Umfeld dieser Ausstellung kann nicht gegensätzlicher sein. Präsentiert wird die Ausstellung im Hamburger Ernst-Barlach-Haus, gelegen im Jenischpark an der Blankeneser Elbchaussee.
Der Hamburger Industrielle Reemtsma hat das Haus 1961 gestiftet. Nach seiner Begegnung mit dem Bildhauer und dramatischen Autor Ernst Barlach (1870–1938) begann Reemtsma in der Mitte der 1930er Jahre eine Sammlung von Werken Ernst Barlachs aufzubauen. Er verstand es, diese vor dem faschistischen Kulturvandalismus zu bewahren, auch nachdem zahlreiche Großplastiken Barlachs zerstört, der Großteil von Barlachs Werken beschlagnahmt und der Künstler als entartet klassifiziert und mit Ausstellungs- sowie Arbeitsverbot belegt worden war.
Eine beeindruckende Sammlung Barlachscher Holzplastiken ist in dem Hamburger Barlach-Haus zu sehen – als Dauerausstellung zusätzlich zu „George Grosz – Der große Zeitvertreib.“
Text: Günther Stamer
Fotos: Katalog Barlach Haus
( Grosz: Die Kommunisten fallen-Die Devisen steigen (1920), Stützen der Gesellschaft (1926))
„George Grosz – Der große Zeitvertreib“ ist bis zum 15. Januar 2017 im Ernst Barlach Haus –Stiftung Hermann F. Reemtsma – Baron-Voght-Straße 50a, 22609 Hamburg, zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag (an Feiertagen auch Montag) von 11–18 Uhr.
Ein informativer, reich bebildeter Katalog ist erschienen.
Infos: www.barlach-haus.de