25.04.2014: Im Juli jährt sich zum 225. Mal die Erstürmung der Bastille in Paris und damit der Beginn der Französischen Revolution, des „herrlichen Sonnenaufgangs“ (Hegel). Einer, der in einem deutschen Land publizistisch für die Ideen der Aufklärung wirkte und dies auf Geheiß des württembergischen Herzogs mit zehnjähriger Kerkerhaft bezahlen musste war Christian Friedrich Daniel Schubart, dessen 275. Geburtstag ( am 26.3.) kaum zur Kenntnis genommen wurde.
Seit 1774 gab Schubart in Ulm die "Deutsche Chronik" heraus, die temperamentvoll und wenig diplomatisch Kritik am feudalen Despotismus und am Klerus übte. Das Achtseitenblatt erschien zweimal wöchentlich und wurde praktisch von ihm allein geschrieben. Schubart wollte mit seiner Zeitung Gegenöffentlichkeit zur herrschenden publizistischen Berichterstattung herstellen. „Alle unsere Zeitungen sind nichts anders als wiederkäute Gewäsche von Alltagsgeschichten und Lobsprüchen auf Regenten. Den Zeitungsschreiber möcht ich sehen, der vors Publikum hinträte und mit Gewitterberedsamkeit spräche: Dieser Fürst legt seinen Untertanen unerträgliche Lasten auf; jener Staat verkennet die Grundgesetze der Menschlichkeit; dort klirren die Fesseln des schrecklichsten Despotismus.“
Die "Chronik" kritisierte an anschaulichen Beispielen die feudalen Zustände in den deutschen Ländern. Nimmt man den Geschichtsatlas mit einer Karte Deutschlands im 18. Jahrhundert zur Hand, so ist die Fülle der Farbflecken verwirrend: Mehr als 300 "lausige Landeshoheiten" (Marx) weist das deutsche heilige römische Reich auf. Jedes dieser größeren oder kleineren Gebiete war souverän und wurde durch weltliche oder kirchliche Würdenträger repräsentiert. Um ihren aufwendigen Hofstaat finanzieren zu können, wurden die Bauern ausgepresst und deren Söhne als Soldaten an andere Länder verkauft (vorzugsweise an die britische Krone, die Menschenmaterial zur Führung ihrer Kolonialkriege benötigte).
Neben den deutschen Zuständen gerieten in der "Chronik" auch immer mehr europäische Ereignisse in den Blick. So berichtet Schubart über die gesellschaftlichen Gärungen in Frankreich, über die Bauernerhebungen in Russland (Pugatschow) und in Böhmen. "Strick, Schwert, Zuchthaus und Geldstrafe ist nicht hinreichend, sie zu zwingen, ihren Herrschaften zu fronen. Zurückgehaltne Wut blitzt ihnen aus den Augen und wartet nur auf Anlass, losbrechen zu können. Lieber will ich am Galgen sterben, sagte neulich ein Baur zu einem Reisenden, als von ewigen Frondiensten ausgemergelt ins Grab sinken," heißt es in der "Chronik" Mitte 1775 über einen böhmischen Bauern. Auf Grund dieser Berichte kommt Schubart immer mehr zu der Auffassung, "dass unserm Europa eine allgemeine Revolution - Gott gebe eine heilsame! - bevorstehe."
Die Deutsche Chronik erreichte eine Auflage von etwa 4000 Exemplaren. Damit war sie eine der meistgelesenen Zeitungen ihrer Zeit - und was sie von den anderen Zeitungen unterschied: sie wurde auch von vielen "kleinen Leuten" gelesen: Kammerdiener, Friseure, Lehrer, Bauern lasen die Chronik, gaben sie von Hand zu Hand und lernten ganze Artikel auswendig.
Der rote Faden der “Chronik” war, daß sie ein Instrument der Bildung sein sollte: der politischen Bildung, der ökonomischen Bildung, der kulturellen Bildung und der Herzensbildung. Auch die Form der Beiträge variierte stark. Die Chronik enthielt neben Artikeln über aktuelle politische Ereignisse kleine Aufsätze über Musik, Besprechungen der aktuellen Literatur, Fabeln, Kurzgeschichten und Gedichte.
Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über England geriet auch immer mehr Nordamerika ins Blickfeld. Mitte 1775 schrieb Schubart, Amerika werde "bald mehr Stoff zu Neuigkeiten liefern, als Europa. Ich habe nichts darwieder; denn je weiter sich eine Begebenheit zuträgt; je freyer darf man darüber urtheilen." Ab 1776 gab es in der "Chronik" eine eigene Rubrik unter dem Titel Aus den Provincen der Freyheit.
Schubart unterstützte leidenschaftlich den nordamerikanischen Freiheitskampf gegen die englischen Unterdrücker. Dieser Kampf führte – wie es Schubart formulierte – den "Volkspeinigern" vor Augen, "daß man ohne sie leben könne." Mit der Anteilnahme an dem nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg eng verbunden war seine Kritik an dem Verkauf deutscher Landeskinder durch die fürstlichen Despoten als Soldaten. Von den ca. 30.000 an England verschacherten Zwangssoldaten der deutschen Fürsten mussten über ein Drittel diesen Handel mit dem Leben bezahlen. Den deutschen Fürsten brachte der Verkauf von Soldaten an England Einnahmen von geschätzten 34 Millionen Talern.
Wegen der antifeudalen, antiklerikalen Kritik und auch angesichts großen publizistischen Wirkung - die "Chronik" erreichte bis zu 20.000 Leser - wurde Schubart 1777 auf Geheiß des württembergischen Herzogs für zehn Jahre auf der Festung Hohenasperg bei Ludwigsburg eingekerkert. Schubart war der berühmteste politische Gefangene seiner Zeit. An ihm sollte ein Exempel statuiert werden und ein aufklärerisches Aufbegehren im Keime erstickt werden. Die Kerkerhaft erfolgte ohne Verhör und Gerichtsurteil. Ein volles Jahr lang blieb Schubart in einem schlecht belüfteten, feuchten und kalten Kerker, in dem ihm die Kleider auf dem Leib faulten. Dabei ging es dem Herzog nicht nur darum, seinen Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen, sondern an Schubart sollte zusätzlich ein Umerziehungsprogramm durchexerziert werden. Der gesellige Musiker wurde von allen Menschen isoliert, der Vielleser auf wenige ausgewählte Schriften (zumeist theologischem Inhalt) verwiesen und dem Schriftsteller wurde vier Jahre lang jegliches Schreibgerät verweigert - erst nach acht Jahren konnten ihn Frau und Kinder erstmalig besuchen.
Vier Jahre nachdem sich die Kerkertüren geöffnet hatten starb Schubart 51jährig an den Folgen seiner langen Haftzeit. Von seiner aufklärerischen Gesinnung nimmt Schubart in den ihm verbliebenen Jahren nichts zurück und es war ihm vergönnt, die Französische Revolution zu erleben, über die er am 21.8.1789 schrieb: „Ha, das Rad der Weltgeschichte ist im fürchterlichen Schwunge! Hebet eure Häupter auf, ihr Bewohner der Erde, denn große Dinge sind nahe!!“
Neben der Publizistik entfalteten Schubarts Gedichte eine große öffentliche Wirkung. Im Freiheitslied eines Kolonisten tritt er als erster deutscher Dichter für die amerikanische Aufständischen ein, im Bettelsoldat warnt er die Jugend davor, sich als Söldner missbrauchen zu lassen und in dem Gediecht Die Fürstengruft beschwört Schubart die Vision des Jüngsten Gerichts herauf, in dem sich die Fürsten für ihre Schandtaten verantworten müssen. Die Lyrik Schubarts nahmen sich der junge Schiller (der Schubart mehrmals im Kerker besucht hatte) und Hölderlin zum Vorbild.
Dabei war Schubart nicht nur Publizist und Lyriker sondern hatte auch außergewöhnliches musikalisches Talent. Bevor er Herausgeber der "Deutschen Chronik" wurde, hatte er in Ludwigsburg die Stelle eines Organisten und Musikdirektors inne. Goethe wusste aus Italien zu berichten, "dass zu jener Zeit Schubart für unerreichbar gehalten" wurde. Und während seiner Festungshaft auf dem Hohenasperg entstand ein umfängliches musikgeschichtliches und -theoretisches Werk (Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst), das bis heute in der Musikliteratur Erwähnung findet und – neben einer Ausgabe seiner Gedichte - aktuell im Buchhandel erhältlich ist.
Text: Günther Stamer