13.07.2013: „Sie rauben mit dem Füller und sie rauben mit dem Colt“, heißt es schon bei Woody Guthrie über die Ausbeuter und ihre Spießgesellen in Regierung und Polizei. Der jahrelange Widerstand gegen die räuberischen Hartz-IV-Gesetze bietet Stoff für mindestens einen Roman. Das soeben erschienene Erstlingswerk des Journalisten Peter Hetzler „Hartz V“ ist eine Art „Hartz-IV-Roman“ im Zeitraffer geworden. Die große Stärke dieser 153 Seiten umfassenden Erzählung aus „Facts“ und „Fiction“, wie der Autor schreibt, ist ihre Authentizität, verbunden mit hingetupfter Detailfreude und Leichtigkeit der Darstellung. Als langjähriger Kopf einer Erwerbsloseninitiative weiß Peter Hetzler, wovon er redet. (Übrigens: Wer sich in der politischen Landschaft Südhessens auskennt, erkennt mit Freude einiges wieder.)
Nicht die brutal-naturalistischen Milieuschilderungen eines Charles Dickens oder Emile Zola haben literarisch Pate gestanden, eher der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. In dieser Erzählung über „die im Dunkeln“ kommt das moderne Doppel-Elend aus Bedürftigkeit und Entmündigung ganz unspektakulär daher. Wir erhalten Einblicke in die Praxis einer kleinen, aber agilen und findigen Selbsthilfegruppe namens „Hartz V“.
Mal hat ein Rat suchender Vater kein Geld mehr für die Salbe gegen die Neurodermitis des kleinen Sohnes; mal soll eine alte Dame aus der Wohnung fliegen; mal fehlt selbst das Geld für das übliche Endmonats-Menü Kartoffeln mit Salz.
Oder das Jobcenter legt Job- oder Qualifizierungsangebote vor, bei denen man „einfach nur auf den Tisch kotzen“ möchte. Wer will schon ein „braver Sklave“ sein? Im Mittelpunkt dieses überaus informativen Buches steht – was zu erwarten war - der hoch sachkompetente Dauerclinch mit dem übergriffigen Jobcenter und dem Formular- und Vorschriftendschungel der Hartz-IV-Gesetze. Mit herkömmlichen Aktionsformen allein scheint da nur begrenzt etwas zu machen zu sein.
Die Gegenmittel der Viererbande Sansan, Biggi, Kurt und „10%“, dem intellektuellen Kopf der Gruppe, heißen Solidarität und Ausdauer, Einfallsreichtum und - subversive List. Wie zum Beispiel bei der Aktion „Das Füttern von Erwerbslosen ist verboten“, bei ihren Kampagnen für die sog. Kosten der Unterkunft oder gegen das Verheizen von „Praktikanten“.
Folglich liest sich das Ganze richtig unterhaltsam (was nicht unbedingt zu erwarten war). Dies umso mehr, als sich das letzte Drittel des Textes augenzwinkernd zum Krimi mausert. Höchstes Hacker-Spezialwissen spielt dabei eine zentrale Rolle. Unterstützt wird die (im Unterschied wohl zu den meisten Erwerbslosen) ausgesprochen internet-feste Heldin Sansan von einem geheimnisvollen Mentor namens Cyb. Dieses ziemlich fragwürdige virtuelle Zwitterwesen ist ansonsten für das Zärtlichkeitsbedürfnis der jungen Frau zuständig.
Von ihm (oder ihr?) stammt der entscheidende Tipp, wie einer Kungelei des Jobcenters mit einem Oberausbeuter beizukommen ist. Der nämlich soll jetzt „genauso abgezockt werden, wie er andere abgezockt hat“.
So wie der Autor zu Beginn die amtlichen Schnüffler im Auftrag der Behörde mit der Tür fast bis ins Schlafzimmer der arglosen Sansan fallen lässt, so lässt er seine Erzählung umgekehrt enden: Die pfiffigen Hartzies greifen schmerzhaft ein in die intimen (Konsum-)Bedürfnisse der Gegenseite. Sie, die sich mit dem permanenten Generalverdacht des Betrugs und anderer Gesetzesverstöße herumschlagen müssen, drehen den Spieß um. Damit begeben sie sich nun tatsächlich außerhalb des bürgerlichen Rechts. Doch somit siegt wenigstens einmal die Gerechtigkeit. Nun geht es ans Umverteilen, andersherum.
Den Robin Hood wollen die „Hartz-Fünfer“ dennoch nicht geben. Denn ihnen ist klar: Die gesellschaftlichen Strukturen des Profitsystems müssen geknackt werden. Aber wie? Auf Parteien oder auch auf die Kraft der Gewerkschaft, in deren Kellergeschoss die Hartzies ihren Sitzungsraum haben, setzen sie dabei eher nicht. „Für Erwerbslose den Sozialarbeiter machen“ wollen sie auch nicht. Schlechte Laune kommt daher mitunter auf, wenn Betroffene den Arsch einfach nicht hochkriegen.
Immerhin: „Es ist schon erstaunlich, wie viel du mit wenigen Leuten erreichen kannst. Andererseits ginge natürlich mehr, wenn mehr Leute mitmachen würden“, stellt die Hauptfigur Sansan fest. Trotz allem gelingt es diesem verschworenen Völkchen immer wieder, wichtigtuerische Fallmanager oder Politiker auflaufen zu lassen oder gar reale Verbesserungen zu erkämpfen.
Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Dass die Vier nicht jederzeit auf jeden Buchstaben des bürgerlichen Gesetzbuchs Rücksicht nehmen können, leuchtet ohne weiteres ein. Und dass die Hartz IV-Gesetze schleunigst abgeschafft gehören.
Der kleine, originelle Band verdient ein breites Publikum.
Text: Eva Petermann
Peter Hetzler: Hartz V. Ein Hartz-IV-Roman
153 Seiten. 9.90 Euro
BoD. 2013. ISBN 9 783 732 237 906 (Auch als E-Book erhältlich)