05.06.2013: Beim Laika-Verlag ist ein neues Buch von Steffen Vogel erschienen: »Europas Revolution von oben - Sparpolitik und Demokratie in der Eurokrise«.
„Klug und klar erklärt Steffen Vogel die Ursachen und fatalen Folgen der Finanzkrise“, schreibt die Süddeutsche Zeitung in ihrer Rezension des Buches. Und entgegen dem missratenen Untertitel des Buches, in dem von der »Eurokrise« die Rede ist, entwickelt Vogel schlüssig, dass die Krise nicht als »Euro-Krise« und schon gar nicht als »Staatsschuldenkrise« zu verstehen ist. Die Rede von der ,,Euro-Krise" verneble die realen Zusammenhänge, argumentiert Vogel. Umsichtig und mit stichhaltigen Daten analysiert er die einzelnen Etappen der Krise. Das Platzen vieler Subprime-Hypotheken in den USA brachte neben der amerikanischen Lehman Brothers Bank auch europäische Banken in Schwierigkeiten. Private Schulden und Verluste verwandelten sich fast über Nacht in öffentliche Schulden und Verluste, womit sich die Staatsschulden im EU-Durchschnitt um ein Drittel erhöhten. Besonders hilfreich ist in diesem Zusammenhang die ,,Chronologie der Krise", die zeigt, wie verrückt die Entwicklung der Krise vonstattenging.
Die „Umdeutung der wirtschaftlichen Turbulenzen zu einer »Staatsschuldenkrise« ist gefährlich“, schreibt der Autor. Und das in mehrfacher Hinsicht. „Zunächst konstruiert dieser Mythos klar identifizierbare Schuldige, die angeblich »faulen Südländer«, von denen nun Einsicht und Besserung erwartet wird. Diese Anklage befeuert nationalistische Ressentiments in den ökonomisch stärkeren Staaten.“ Von dieser gefährlichen Desinformation profitieren rechtspopulistische Parteien. Überdies, schreibt Vogel, würden der „falschen Diagnose eine falsche Medizin“ folgen.
Eindrucksvoll schildert er die verheerenden Wirkungen der von Brüssel und Berlin verordneten Austeritätspolitik in den südeuropäischen Ländern. Zum Verhängnisvollsten zählt er jedoch den systematischen Abbau der Demokratie, die Installation von Technokratenregierungen. „Die Troika regiert“, überschreibt er ein Kapitel. Den bisherigen Höhepunkt bildet die fast widerspruchslos hingenommene Proklamation der »marktkonformen Demokratie« durch die Kanzlerin Angela Merkel am 1. September 2o11. Sie plädierte damals dafür, ,,Wege zu finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist“. In der schwersten Krise des Kapitalismus seit der Großen Depression erlebt Europa einen autoritären Schwenk. Diesen vorgeblich alternativlosen und unpolitischen Kurs beschreibt Steffen Vogel als Revolution von oben. Sie dient der Vorwärtsverteidigung jenes Status Quo, der in den vergangenen Jahrzehnten die oberen zehn Prozent immer reicher und mächtiger werden ließ. Die tonangebenden Krisenpolitiker handeln nach dem Motto, dass alles sich ändern muss, damit alles bleiben kann wie es ist. Dabei radikalisieren sie den Neoliberalismus, dessen Rezepte maßgeblich zum Entstehen der Krise beigetragen haben.
Aber der Umbau Europas ist weder abgeschlossen noch unangefochten. Der dominante Kurs hat geradewegs in die Rezession geführt, die soziale Spaltung verschärft und das politische System instabiler werden lassen. So könnte das Scheitern der Revolution von oben die Geburtsstunde eines »sozialen Europas« sein – oder gar jener »wahren Demokratie«, die in den Zeltstädten auf Europas Plätzen gefordert wird.
„Seine nüchtern abwägende Analyse überschätzt weder diese Proteste, noch dramatisiert er das »hierarchische Gefälle« zwischen Berlin und der Rest-EU im Hinblick auf die »deutsche Gefahr«", schreibt Rudolf Walther in seiner Rezension in der Süddeutschen Zeitung.
Vogel selbst schreibt: „In Deutschland aber warten wir und hoffen. Die einen hoffen, dass Frau Merkel unseren Wohlstand vor den Südeuropäern rettet, die anderen, dass Monsieur Hollande Europa vor Frau Merkel rettet oder wahlweise, dass der Genosse Tsipras zum Evo Morales seines Kontinents wird und die linke Wende einleitet. Doch die Hoffnung auf Merkel führt in die Irre, und die Hoffnungen auf Hollande oder Tsipras werden Europa allein keine freundlichere Zukunft bescheren. Wenn wir den Status Quo in Europa unerträglich finden - und das ist er -, dürfen wir nicht auf unsere politischen Eliten warten. Wenn wir den Wandel wollen, müssen wir ihn selbst einleiten. Die Zukunft Europas wird heute in Sitzungssälen geschrieben. Ab morgen sollte sie auf den Straßen und Plätzen geschrieben werden.“
Leo Mayer
Steffen Vogel: Europas Revolution von oben - Sparpolitik und Demokratie in der Eurokrise
Laika-Verlag, Hamburg 2013, 168 Seiten, 19,90 Euro, 978-3-942281-47-8