29.10.2012: Am 27. Oktober starb in Dresden 86-jährig Hans Werner Henze. Dort war der in Westfalen gebürtige und seit 1953 in Italien lebende Komponist Gast der Semperoper, die ihm zu Ehren zur laufenden Spielzeit vielfältige Programmschwerpunkte realisiert. Für die stets aktuelle Antikriegsoper „Wir erreichen den Fluß“ (1976) hatten ihn die Dresdner im September gefeiert. Sichtlich erstaunt und erfreut über die große öffentliche Resonanz, begab sich Henze nach einem körperlichen Schwächeanfall in ein städtisches Klinikum. Am vergangenen Samstag erlag er dort seiner Krankheit.
In den Kämpfen der Zeit entfaltete das bekenntnishafte Werk eines der meistaufgeführten und bedeutendsten deutschen Komponisten Wirkung mit mehr als 130 Partituren für Bühne und Konzertsaal, mit Werkbüchern und musikästhetischen Essays. Dies erstreckte sich bald über die Bundesrepublik und die DDR hinaus auch in den europäischen und außereuropäischen Sprachraum. Nachrufe in den großen bürgerlichen Medien würdigen seine hochentwickelte, auf gestischen Klang bedachte Musiksprache, die zuletzt auch die wiederentdeckte historische Tradition von bis zu drei separat und „gegeneinander“ spielenden Einzelorchestern für ein nachvollziehbar verständliches, quasi theatralisches Kommunizieren einschloss. Komponieren war für ihn auch ein Akt der Selbstanalyse.
Was die Feuilletonisten an Henzes Werk meist verschämt umschreiben oder ganz außen vor lassen, ist der dem schöngeistigen Pol bewußt entgegengesetzte, das explizit Politische. Noch in den Inhalten der neunziger Jahre sind pro-sozialistische Langzeitüberzeugungen zu finden, wenn nun auch unterschwelliger, nicht selten im antik-mythischen Gewand. In Interview-Nachfragen zum Haß auf den Vater, einem zum Nazi gewendeten ehemals sozialdemokratischen Lehrer, bekundete Henze stets eine entschiedene antifaschistische Einstellung. Auch seine IX. Sinfonie (1995–1997) zeugt davon, ein chorisches Werk mit Texten von Hans-Ulrich Treichel nach Motiven aus Anna Seghers’ Roman „Das siebte Kreuz“. Schon 1960 beteiligte sich Henze an einer „Jüdischen Chronik“, einer deutsch-deutschen Gemeinschaftskomposition auf Verse Jens Gerlachs. Sein väterlicher Freund in Ostberlin, Paul Dessau, hatte den Jüngeren in sein Projekt mit Boris Blacher, Karl Amadeus Hartmann und Rudolf Wagner-Régeny einbezogen.
Auf dem Höhepunkt der Westberliner Proteste 1968 waren dann Henze und Dessau demonstrativ aus der Akademie der Künste Berlin-West aus- und in die DDR-Akademie eingetreten. Dies sehr zum Ärger von Demagogen des kapitalistischen Kulturbetriebs, die wie früher schon die l’art-pour-l’art-Päpste der Darmstädter Schule glaubten, Werk und Denken Hans Werner Henzes bevormunden oder voneinander trennen zu können. Der war schon durch die Freundschaft mit der politisch radikaler denkenden Dichterin Ingeborg Bachmann geprägt. Er beschritt den eigenen Weg 1968 an der Seite der Marxisten im Sozialistischen Studentenbund und wirkte auch maßgeblich beim Vietnam-Kongress mit.
Nach längerer Beschäftigung mit Che Guevaras Tagebüchern und Schriften reiste Henze 1969 zu einem kompositorisch produktiven und landwirtschaftlich-praktischen Studienaufenthalt ins sozialistische Kuba. Entfernt von kritikloser Bejahung der Lebensverhältnisse bemerkte er bei der Rückkehr, dort seien nicht die bürgerlichen, dafür aber proletarische Rechte verwirk-licht. Er trug den Künstleraufruf für die DKP als Wahlalternative zu den Bundestagswahlen 1972 mit. Im Jahr darauf schrieb er für Dieter Süverkrüp ein Lied gegen den faschistischen Pinochet-Putsch in Chile sowie eine szenische Kantate „Streik bei Mannesmann“ für die XI. Weltfestspiele der Jugend in der Hauptstadt der DDR. Von Luigi Nono in der Wahl der Kom-positionsmethoden sehr verschieden, aber politisch nicht anders denkend als sein italienischer Komponistenkollege, suchte Henze den künstlerischen Weg an die Seite der Arbeiterklasse. Der führte ihn 1977 in seiner Wahlheimat Italien in die IKP.
„Es scheint mir sehr wichtig, daß man auf dem Wege zum Sozialismus ‚die Kultur’ in ihrer ganz verfeienerten Form mitnimmt“, schrieb der Komponist 1984. „Denn die Kultur ist ja nichts, das man auf der Strecke liegen lassen soll, um Formen von Vereinfachung oder Barbarei zu umgehen, sondern im Gegenteil soll ja gerade Schönheit sich auf eine ganz neue Weise entfalten können - in einer neuen Gesellschaft, die frei ist. Ich halte es für ungeheuer wichtig, dass diejenigen unter den Sozialisten, die eine künstlerische Begabung haben, ihre Intuition schärfen. Sozialismus bedeutet nicht Vergröberung, sondern Verfeinerung, Vermenschli-chung, im Sinne der in den Menschen angelegten Möglichkeiten.“
Text: Hilmar Franz Foto: Hans Werner henze 1960 (Bundesarchiv)
Hans Werner Henze ist seinen künstlerischen und gesellschaftlichen Werten ein Leben lang treu geblieben - oft gegen die vorherrschende Plappermeinung. Sie hat ihn nie beirrt - oder vielleicht doch? Jedenfalls hat er sich nie etwas anmerken lassen.
Schon in den 1960ern versuchte man den Komponisten immer wieder abzutun als "Klassizisten", weil er sich der "seriellen" Hervorbringung verweigerte und auf seine Art der Tonalität und Ordnung bestand.
Sein Humanismus führte ihn in die Reihen der Kommunisten - Sozialismus oder Barbarei.
Er gibt uns ein gewaltiges Werk an Sinfonien, anderen Orchesterwerken, Opern, Kammermusik, Kantaten.
Was ein Schostakowitsch für die gute erste Hälfte des letzten Jahrhunderts, ist vielleicht Hans Werner Henze für die zweite Hälfte bis in unsere Tage.
Hanns Stütz