Der Kommentar

19.08.2024: "Geschichte ereignet sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce." ++ Und wieder geht es um US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ++ Ein seniler US-Präsident und ein Bundeskanzler mit notorischen Gedächtnislücken vereinbaren, Deutschland zur Abschussrampe für Erstschlagswaffen und im Ernstfall zum atomaren Schlachtfeld zu machen.
Ein Kommentar von Bettina Jürgensen

 

Es gab in den 50er Jahren die "Ohne mich - Bewegung" gegen die Remilitarisierung, es sollten "Nie wieder" Uniformen angezogen werden und "Nie wieder" Soldaten in den Krieg geschickt werden. Beteiligt waren neben Christ*innen und Kommunist*innen auch Mitglieder der SPD.

Gustav Heinemann (DDP, CDU und später SPD) trat 1951 wegen dem von Adenauer angestrebten Aufbau der Bundeswehr als Innenminister zurück. Martin Niemöller (Theologe und ehemaliger KZ-Häftling) regte damals eine Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung an, in der 6 Millionen Unterschriften gesammelt wurden.

In den 1980er-Jahren demonstrierten Hunderttausende gegen die Stationierung von us-amerikanischen Mittelstreckenrakten Pershing II und Marschflugkörpern in Deutschland. Mit der als "Nachrüstung" bezeichneten Raktenstationierung sollten Erstschlag- und Enthauptungswaffen in Deutschland aufgestellt werden, die mit minimaler Vorwarnzeit politische und militärische Entscheidungzentren in der damaligen Sowjetunion hätten ausschalten und einen Zweitschlag der Sowjetunion verhindern können. Deutschland wäre zum vorrangigen Ziel sowjetischer Atomraketen geworden. Die Sorge vor der Gefahr eines Atomkrieges, auch aus Versehen, trieb die Menschen auf die Straße.  

D Olaf Scholz 1983 HofgartenOlaf Scholz 1983 bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung von Mittelsteckenraketen (rechts neben der Person, die die Fahne trägt).


Ist das nur "Schnee von gestern" oder sollte man erwarten, dass Bundespolitiker*innen die Geschichte kennen?

Heute reist der Kanzler des "Sondervermögens" Scholz im Juli 2024 zum NATO-Gipfel nach Washington, begleitet von der Außenministerin und dem Kriegsminister. Dort vereinbart er mit den USA-Verantwortlichen, dass ab 2026 us-amerikanische "Tomahawk"-Marschflugkörper, SM-6-Raketen und neue Hyperschallwaffen, die sich noch in der Entwicklung befinden, in Deutschland stationiert werden. Es sind Waffen mit bis zu 2.500 km Reichweite, die also weit nach Russland hinein reichen.

Vielleicht hatte der Kanzler die aktuellen Berichte aus Alaska des kriegstüchtigen Boris Pistorius im Ohr. Dessen Teilnahme am Training von Kampfpiloten für Luftkriegsoperationen zur Zerstörung gegnerischer Luftstreitkräfte, Kommandozentralen und dem Abwurf von Präzisionsbomben kann Ansporn gewesen sein.

Wieder in Berlin kommt vom grünen Vizeminister Habeck Unterstützung für die Stationierung, der sich nach eigenen Worten zwar "nicht leicht tue" damit, aber …

Doch es gibt auch kritische Stimmen, einerseits aus der Bevölkerung, andererseits aus der eigenen Partei. So meinte Rolf Mützenich, Fraktionsvorsitzender SPD, laut Spiegel vom 20. Juli: "Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich." Er möchte wenigstens darüber diskutieren.

Das ficht einen Olaf Scholz nicht an. Wenn der Scholzomat erst einmal in Gang ist, macht er weiter. Er wischt, mit Pistorius im Einklang, eine Diskussion vom Tisch. Damit Scholz jedoch seine Zusage an die NATO nicht vergisst, erzählt er es seinem SPD-Präsidium.

Und während in den aktuellen Landtagswahlkämpfen diese Frage bereits auch Thema ist, wird von der SPD-Spitze ein Beschluss gefasst, der dem Kanzler nach dem Munde redet.

Mit dem Titel "Wir organisieren Sicherheit für Deutschland und Europa" hat das SPD-Präsidium seine Zustimmung zur Rüstungspolitik der Regierung gegeben. [1]

Wichtig scheint der SPD (und dem Kanzler) der Hinweis auf die "Zeitenwende". Der Begriff wird sowieso in den letzten Wochen wieder entstaubt, so als wolle man damit die fehlende Umsetzung der Wahlversprechen von 2021 und des Koalitionsvertrages begründen. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür und Stimmen für die Kanzlerpartei werden dringend gebraucht.

Mit dem zweiten Satz in dem Beschluss geht es falsch weiter.
"Seit dem 24. Februar 2022 wissen wir: Der Überfall eines Staates auf einen anderen in Europa ist wieder möglich."

Ob es an der Vergesslichkeit des Kanzlers liegt oder es verdrängt wird, richtig ist, dass bereits im März 1999 der Überfall auf einen anderen Staat in Europa erfolgte und die SPD-Grüne Bundesregierung im NATO-Krieg gegen Jugoslawien mit Bundeswehrsoldaten beteiligt war.

Tatsächlich geht es in dem Beschluss letzten Endes um die Begründung einer Rüstungs- und Kriegspolitik mit dem Ziel, sich nicht nur in der Ukraine in Stellung zu bringen, sondern einer auf lange Dauer angelegten "Wiedererlangung unserer Fähigkeit zur Verteidigung unseres Landes ...".

Dabei fehlt nicht die moralische Begründung "der SPD zur Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss".

Vergessen scheint, dass diese SPD Gesetze macht, die dem Satz widersprechen mit der Abschieberealität von Familien in Kriegsgebiete, wenn das hier geborene Kind nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat.

Zynisch auch, da Kinder in Kriegs- und Krisengebieten mit deutschen Waffen in Kriegen getötet werden und die SPD den Waffenlieferungen nach Israel für den Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser*innen oder in die Ukraine zustimmt.

Im Beschluss steht: "Deutschland übernimmt in enger Absprache mit seinen Partnern eine Führungsrolle, um Sicherheit, Frieden und Freiheit in Europa zu schützen. Wir stärken die Bundeswehr und den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO."

Will das SPD-Präsidium suggerieren, dass nicht die Regierung, nicht der Bundestag, sondern die SPD die Rolle Deutschlands in Militarisierung und Krieg und darüber hinaus auch in Europa bestimmt? Betont wird die von Partnern anerkannte Führungsrolle Deutschlands.

Mühsam wird versucht das Eskalationspotential und die von der Stationierung ausgehende Kriegsgefahr kleinzureden, die Stationierung nur als "Stärkung der Verteidigung unseres Landes" darzustellen. Dies lässt ahnen, dass auch aus der SPD selbst mit Widerstand gegen diesen Beschluss gerechnet wird. Denn die Argumente die in den 1980er-Jahren in der sog. "Nachrüstungsdebatte" um die Stationierung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern u.a. vom damaligen Juso Olaf Scholz vorgebracht wurden - als Erstschlags- und Enthauptungswaffen erhöhen sie die Gefahr eines versehentlichen Atomkrieges und die atomare Zerstörung Europas – gelten auch heute noch.

Im Alleingang hat der Kanzlers der Stationierung der Raketen aus den USA zugestimmt.

Im Alleingang hat sein SPD-Präsidium dies bestätigt. Weder im Bundestag, in den Parteien und nicht in der Bevölkerung wurde vorher darüber diskutiert. Dennoch wird zum Ende in dem Papier festgestellt:
"Unsicherheit und Sorgen vor einer militärischen Eskalation auf unserem Kontinent sind in der Bevölkerung präsent. Das erfordert eine gesellschaftliche Debatte über die Bedrohungslage und die notwendigen Schritte für unsere Sicherheit, zum Erhalt unserer Freiheit und zur Sicherung von Frieden in Europa. Diese Debatte muss offen geführt werden."

Es wird auf "Demokratiespielen" verkehrt herum gesetzt: Erst beschließen und danach reden.

Mit solchen Nebelkerzen sollen heute die 60% der wählenden Bevölkerung im Osten der Republik erreicht werden, die sich in Umfragen Anfang August gegen die Stationierung der Raketen ausgesprochen haben.

Zugegeben – Es gibt auch noch Sozialdemokraten, die Nachdenkliches schreiben.

Im Oktober 2022 hat Ralf Stegner ein Thesenpapier herausgegeben "Vorrang für Diplomatie – keine Militarisierung der Politik". In diesem stellt er auch fest:
"Wir wissen nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Es gibt keine 'sauberen Kriege', die sich 'nur' gegen militärische Ziele richten und es gibt schon gar keine 'Gewinner', außer in der Waffenproduktion. Im Gegenteil: Tod und Zerstörung, Flucht und Vertreibung, Terror und Angst, Verletzungen an Körper und Seele mit lang anhaltender Traumatisierung waren und bleiben Kennzeichen auch 'moderner Kriegsführung' – und sie treffen die Zivilbevölkerung wie Soldaten. Hinzu kommen Kriegsverbrechen und Gräueltaten, zu deren konsequenter Ächtung und Verfolgung der Verantwortlichen wir uns ausdrücklich bekennen."[2]

Man muss nicht in Allem mit Stegner übereinstimmen. Aber beim Wort nehmen sollten wir ihn, der zum Stationierungsbeschluss seiner Partei gesagt hat: "Die Welt wird davon nicht sicherer. Im Gegenteil: Wir kommen in eine Spirale, in der die Welt immer gefährlicher wird."

Damit es kein Zurückweichen von dieser Position gibt, muss die Bewegung gegen den Kriegskurs der Regierungen und gegen die daran verdienende Rüstungsindustrie gestärkt werden!

Mit Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen. Zum Antikriegstag am 1. September, zum Camp und Aktionstage "Rheinmetall entwaffnen" in Kiel vom 3. - 8. September und am 3. Oktober mit der Demonstration für Frieden in Berlin (https://www.kasseler-friedensforum.de/837/event/Bundesweite-Demo-in-Berlin/).

 

Anmerkungen
[1] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Parteispitze/PV_2024/20240812_Beschluss_PS_Sicherheit.pdf

[2] https://www.ralf-stegner.de/2022/10/12/aussen-und-sicherheitspolitik-vorrang-fuer-diplomatie-keine-militarisierung-der-politik/

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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