Der Kommentar

Ein Kommentar von Leo Mayer zum Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Wladimir Putin

20.03.2023: Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl für Verbrechen ausgestellt, für die sich Putin sogar selbst gelobt hat.

Der Internationale Strafgerichtshof sei eine "durch und durch kaputte und korrupte Institution", die "rechtswidrige Versuche" unternehme, unsere Staatsbürger "seiner Gerichtsbarkeit zu unterwerfen".

Diese Kritik kommt nicht aus dem Kreml nach dem vom Internationalen Gerichtshof IStGH in Den Haag erlassenen Haftbefehl gegen den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Es war der US-Außenminister Mike Pompeo, der im September 2020 so über den IStGH herzog und Sanktionen gegen die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda und ihre engsten Mitarbeiter verhängte. Im April 2019 hatte er ihr schon das US-Einreisevisum gestrichen.

Bensouda hatte beantragt, Ermittlungen wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen einleiten zu können. Der Chefanklägerin zufolge gebe es Hinweise auf Folterungen, Misshandlungen und Vergewaltigungen von Gefangenen durch US-amerikanische Militärs und Geheimdienstangehörige. [1]

Zwar hob die Biden-Regierung die Sanktionen auf, an der grundsätzlichen Kritik der USA gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof ändere dies aber nichts, bekräftigte US-Außenminister Blinken im Frühjahr 2021. "Wir sind weiterhin nicht einverstanden mit der Arbeit des IStGH bezüglich der Situationen in Afghanistan und Palästina. Wir sind dagegen, dass das Gericht gegen Angehörige von Staaten ermittelt, die dem Strafgerichtshof nicht angehören, wie die USA und Israel", so Bidens Außenminister. [2]

Anders stellt sich die Situation jetzt dar: US-Präsident Joe Biden bezeichnet den Strafbefehl des IStGH gegen Wladimir Putin als "gerechtfertigt". In diesem Fall spielt es keine Rolle, dass Russland, die Ukraine wie die USA und Israel keine Vertragsparteien des Römischen Statuts - des Gründungsdokuments des IStGH – sind.

"Wir unterstützen dieses Schurkengericht nicht"
Thomas DeLay, Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, 2002

Die grundsätzliche Linie der USA wurde schon bei der Gründung des IStGH festgelegt: "Präsident Bush hat die klare Botschaft ausgesandt, dass wir dieses Schurkengericht nicht unterstützen", erklärte der damalige republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Thomas DeLay. Vorangegangen war die Verabschiedung eines Gesetzes, das US-Behörden verbietet, mit dem Internationalen Strafgericht zusammenzuarbeiten und den Präsidenten ausdrücklich ermächtigt, im Ernstfall amerikanische Staatsbürger aus der Obhut des Gerichtshofs zu befreien – auch mit dem Einsatz militärischer Mittel. [3]

Insofern liegt die RT-Chefin Margarita Simonjan gar nicht so weit von der US-Position entfernt, wenn sie den Haftbefehl gegen Putin so verhöhnt: "Ich würde gerne das Land sehen, das Putin gemäß dem Haager Urteil verhaften wird. In etwa acht Minuten. Oder wie lang die Anflugzeit in dessen Hauptstadt wäre."

Pikant an dem Strafbefehl ist, dass er just am Vorabend des 20. Jahrestages des völkerrechtswidrigen Überfalls der USA und Großbritanniens auf den Irak ausgestellt wurde. Der IStGH wäre zwar zuständig gewesen, hat aber nichts unternommen, um die Verantwortlichen für den Tod von einer halben Million irakischer Kinder durch die Sanktionen – für Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright war "es den Preis wert" [4] -, für den völkerrechtswidrigen Überfall, die Zerstörung des Landes, den Tod Tausender Zivilisten und für die Folterungen in Abu Ghraib, Guantanamo und anderen Folterzentren der US-Armee und der US-Geheimdienste zur Rechenschaft zu ziehen. Wie eben auch bei den völkerrechtswidrigen Kriegen des Westens gegen Jugoslawien, Libyen, Afghanistan, … .

US Kriege Roter Stern Belgrad

 

Eine seltsame Anklage

Mehr als ein Jahr hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, der britische Staatsbürger Karim Khan, gebraucht, um die Verhaftung von Wladimir Putin wegen wiederholter Kriegsverbrechen zu beantragen. Doch die Anklagen sind überraschend: nicht wegen des Beginns eines Krieges, nicht wegen der Tötung von Nichtkombattanten, nicht wegen der strategischen Angriffe auf die zivile Infrastruktur, wie z. B. Strom- und Wasserwerke - wie es aber auch USA und NATO in Jugoslawien machten. All diese Tatsachen, die der Öffentlichkeit und vor allem dem IStGH wohl bekannt sind, sind vorerst in den Hintergrund getreten. Die Anklageschrift bezieht sich auf die Evakuierungen von Waisenkindern aus der Gefahrenzone im Donbass und anderen Frontgebieten in sichere Regionen der Russischen Föderation und ihre Abgabe zur Adoption an russische Familien. Nach Ansicht des IStGH gebe es hinreichende Gründe dafür, dass es sich um "Deportationen" handelt, für die Putin selbst strafrechtlich verantwortlich sei. Im Mai hatte der russische Präsident ein Dekret unterschrieben, um ukrainische Kinder schneller in Russland einbürgern zu können.

Der Kreml hat die ihm vorgeworfenen Verbrechen stets geleugnet: Es handele sich nicht um einen Krieg, sondern um eine "spezielle Militäroperation", es stimme nicht, dass die Armee in Butscha und anderswo Zivilisten getötet habe, das sei nur westliche Propaganda. Wie immer in einem Krieg prangern beide Seiten die Verbrechen des Gegners an und leugnen ihre eigenen. Es gibt eben keinen Krieg ohne Verbrechen. Der Krieg selbst ist das Verbrechen!

Bei der Evakuierung von Kindern aus den Kriegsgebieten geschah jedoch genau das Gegenteil: Russland erklärte ausdrücklich, es wolle die Kinder "schützen" und "retten", und die Adoptionsprogramme wurden in den Medien sogar groß propagiert. Kurzum, es handelt sich um ein "Verbrechen", für das sich Putin und seine Entourage, angefangen bei seiner Mitarbeiterin Maria Alekseyevna Lvova-Belova, gegen die heute ebenfalls ein Haftbefehl vorliegt, sogar vor den Fernsehsendern gerühmt haben.

Russland hat die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen

In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen die meisten durch den Krieg vertriebenen Menschen nach Russland geflohen sind: mehr als 2,8 Millionen, fast doppelt so viele wie nach Polen und mehr als ein Drittel aller durch diesen sinnlosen Krieg verursachten Flüchtlinge.

Wie kompliziert diese Situation ist, zeigt sich auch an dem Beispiel eines Tiroler Landesbediensteten, der zwei ukrainische Jugendliche aus Luhansk, die durch den Krieg nach Österreich verschlagen wurden, wieder zu ihren Müttern brachte. Diese waren nach Russland geflohen. Auf Intervention der ukrainischen Botschaft wurde der Mann vom Dienst suspendiert, weil er die Kinder in "feindliches Gebiet" gebracht habe. Lt. Medienberichten wurden gegen den Mann Untersuchungen "wegen Kindesentführung und Überlieferung an eine fremde Macht“ eingeleitet. [5]

Wenn Putin ein Verbrecher ist, mit wem kann man dann das Ende des Krieges aushandeln?

Der Internationale Strafgerichtshof hat also einen Haftbefehl für Verbrechen ausgestellt, wie die Evakuierung von Kindern aus der umkämpften Ostukraine und deren Adoption, für die sich Putin sogar selbst gelobt hat. Aber wenn er ein Verbrecher ist, mit wem kann man dann das Ende des Krieges aushandeln?

Oder ist das die Absicht des britischen Chefanklägers? Verhandlungen zu torpedieren und den Krieg endlos weiter zu führen – bis zum letzten Ukrainer?

Der Haftbefehl gegen Putin wird wahrscheinlich den endgültigen Bruch in den Beziehungen zwischen dem russischen Rechtssystem und den großen supranationalen Institutionen markieren, selbst auf formaler Ebene. Friedlichere internationale Beziehungen werden dadurch nicht gefördert.

Aber trotzdem sollte dies die Diplomatie nicht davon abhalten, ihre Arbeit zu tun, um so schnell wie möglich einen Waffenstillstand, den schrittweisen Abzug der russischen Truppen aus den besetzten Gebieten, die Selbstbestimmung der Bevölkerung in der Ostukraine, Sicherheitsgarantien für die Ukraine und einen Wiederaufbau der Ukraine zu erreichen.

Die Bundesaußenministerin sollte bei internationalen Konferenzen wie dem G20-Treffen weniger Schaufensterreden für das heimische Publikum halten, sondern die Chance für Beratungen mit den Vertretern Chinas, Brasiliens, Südafrikas, Mexicos, Indiens, … nutzen, um eine internationale Allianz für den Frieden in der Ukraine zu schaffen. Aber dazu müsste sie sich zumindest ein wenig vom großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks emanzipieren. Da ist es auch wenig hilfreich, wenn Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erklärt, Berlin werde der Forderung des Internationalen Strafgerichtshofs, den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Ombudsfrau für Kinderrechte Maria Lwowa-Belowa zu verhaften, nachkommen.      

Anmerkungen

[1] Zeit, 2. September 2020: "USA verhängen Sanktionen gegen Chefanklägerin"
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-09/internationaler-strafgerichtshof-den-haag-usa-sanktionen-fatou-bensouda-kriegsverbrechen

[2] ARD Panorama, 03.04.21: "Nun doch: Biden hebt Sanktionen gegen Strafgerichtshof auf"
https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Nun-doch-Biden-hebt-Sanktionen-gegen-Strafgerichtshof-auf,strafgerichtshof104.html

[3] Spiegel, 12.06.2002: US-Kongress droht Niederlanden mit Invasion
https://www.spiegel.de/politik/ausland/internationales-strafgericht-us-kongress-droht-niederlanden-mit-invasion-a-200430.html

[4] Madeleine Albright: Der Tod von 500.000 toten irakischen Kindern war "eine sehr schwere Entscheidung, aber der Preis – wir denken, der Preis ist es wert"
https://twitter.com/theserfstv/status/1506706179178725379

[5] z.B. Tiroler Tageszeitung, 15.1.2023: "Jugendliche Ukrainer von Tirol nach Moskau gebracht: Viele Fragen offen"
https://www.tt.com/artikel/30843045/jugendliche-ukrainer-von-tirol-nach-moskau-gebracht-viele-fragen-offen
ORF, 14.1.2023: "Junge Ukrainer nach Moskau gebracht"
https://tirol.orf.at/stories/3190352/

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
++++++++++++++++++++++++++++++++

UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

EL Star 150

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.