09.11.2018: Nach der Zwischenwahl wird Trump in der Innenpolitik ausgebremst, außenpolitisch kann er wie bisher ungehindert agieren, stellt Conrad Schuhler fest. Das ganze Land ist zerissen, aber auch die Demokratische Partei selbst ++ "Es geht in der Politik nicht nur darum, ob ein Kandidat gewinnt. Es geht auch darum, wie und zu wessen Bedingungen sie gewinnen", heißt es in einem Auszug aus einem Artikel über die Zwischenwahl im Jacobin Magazine.
Conrad Schuhler kommentiert:
Die Halbzeitwahlen zum US-Kongress haben der Demokratischen Partei zum ersten Mal seit 2010 wieder die Mehrheit im Abgeordnetenhaus gebracht. Im Senat konnten die Republikaner dagegen ihre bisherige Mehrheit noch ausweiten.
Damit sind die Projekte, die in der Trump-Propaganda ganz oben stehen, aber der Zustimmung des Hauses bedürfen – vor allem die Mauer an der Grenze zu Mexiko und die Zerschlagung von Obamacare, dem staatlichen Gesundheitsdient – in weite Ferne gerückt. Doch braucht die Verabschiedung internationaler Verträge wie auch die Besetzung der höchsten Richterstellen und Kabinettsposten nur die Zustimmung des Senates, hängt also letzten Endes von den Stimmen der republikanischen Senatoren ab. Für den Trumpschen Wirtschaftskrieg, für das neue atomare Wettrüsten, für die Sabotage der Klimaabkommen besteht im US-Kongress also nach wie vor "Freie Fahrt".
Denn die Republikanische Partei ist mehr pro Trump denn je. Trump hat mit seinem mächtigen Wahlkampfendspurt den republikanischen Kandidaten ins Senatorenamt geholfen, auf die es vor allem ankam: in Indiana, North-Dakota, Missouri, Tennessee und Texas. In Texas half er dem womöglich noch rechts von ihm stehenden Ted Cruz ins Amt gegen den neuen Hoffnungsträger der Demokraten, Beto O’Rourke. In Florida und Ohio, zwei zentralen Staaten für die Präsidentschaftswahlen 2020, war Trump der erste Wahlhelfer für die siegreichen republikanischen Gouverneurskandidaten.
Dennoch geben die midterm-Wahlen noch keinen verbindlichen Hinweis auf die nächsten Präsidentschaftswahlen. Dass die Partei des amtierenden Präsidenten zur Halbzeit verliert, ist die Regel. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs hat sie durchschnittlich 26 Sitze im Haus bei diesen Wahlen verloren. Trump liegt also im Trend. Doch haben die drei Rust Belt-Staaten – Wisconsin, Pennsylvania und Michigan – die Hillary Clinton zuletzt den Wahlerfolg kosteten, diesmal sowohl bei den Senatoren- wie den Gouverneurswahlen für die demokratischen Bewerber gestimmt. Würden die 46 "Wahlmänner" der drei Staaten auch 2020 auf den Kandidaten der Demokraten fallen, wäre er oder sie Wahlsieger, sollten die übrigen Hillary-Clinton-Wähler gehalten werden.
Doch ist nicht nur das ganze Land zerrissen: Weiße und Schwarze, Evangelikale und Andersgläubige, Stadt- und Landbevölkerung, Rednecks und Intellektuelle, Männer und Frauen finden sich überwiegend in feindlichen Lagern. Beispiel Bildungsstand: die WählerInnen der Demokraten haben zu 54% einen College-Abschluss, die der Republikaner nur zu 39%. Beispiel Geschlecht: 59% der Demokraten-WählerInnen sind weiblich, nur 39% der Republikaner. Der typische Republikaner-Wähler ist weiß, männlich, älter, schlechter ausgebildet, lebt auf dem Land.
Alexandria Ocasio-Cortez über Twitter |
Die Zerrissenheit hat auch die Demokratische Partei erfasst. Hier stehen einander gegenüber die sogenannten Zentristen um Hillary Clinton und Barack Obama und neuerdings lautstark Joe Biden und auf der anderen Seite die Linken. Die Haupt-Repräsentanten der Linken sind durch die Wahl gestärkt worden. Elizabeth Warren und Bernie Sanders haben ihre Senatorensitze in Massachusetts und Vermont souverän verteidigt (Sanders mit 67,4% der Stimmen), Alexandria Ocasio-Cortez, die 29-jährige "demokratische Sozialistin" aus New York hat den Einzug ins Abgeordnetenhaus klar geschafft. Bernie Sanders ist die Nr. 1 unter den linken Demokraten. Er wurde vor zwei Jahren als Gegenkandidat von Hillary Clinton von den "Zentristen" aus dem Rennen geworfen. Nun läuft erneut eine Kampagne gegen Sanders an, er sei mit 77 Jahren zu alt. Als neuer "Favorit" wird Joe Biden gehandelt, Obamas Vize-Präsident, der ganze zwei Jahre jünger als Sanders ist.
Sollte es primär auf das Geburtsdatum ankommen, hätten die Demokraten mehr zu bieten. Beto O’Rourke ist 46 Jahre alt, Andrew Gillum, der schwarze Bürgermeister von Tallahassee, der bei den Gouverneurswahlen in Florida hauchdünn unterlag, 39. Beide stehen links vom Zentristen Biden.
Obwohl Bernie Sanders die Vorwahlen verloren hatte, entwickelte er sich in den nächsten zwei Jahren zum beliebtesten Politiker Amerikas. Die Unterstützung für Medicare for All stieg von 21 Prozent im Jahr 2014 auf satte 70 Prozent in diesem Jahr. Die Unterstützung für die gebührenfreie öffentliche Universität erreichte 60 Prozent - eine so obskure Idee, dass die Meinungsforscher anfangs nicht einmal nach ihr fragten. Indem Sanders seine Kampagne als Gelegenheit betrachtete, die Debatte wieder in Gang zu bringen und die Erwartungen der einfachen Menschen, im umfassenden Sinn der Arbeiterklasse, zu wecken, tat er etwas noch Wichtigeres und Dauerhafteres, als seinen Gegner auf der politischen Szene zu besiegen: Er gab Millionen von Menschen die Möglichkeit, ihren inneren Ekel über wirtschaftliche Ungleichheit und Ausbeutung als politischen Rahmen ernst zu nehmen. Eine Mehrheit der Amerikaner will nun die private Versicherungswirtschaft eliminieren und durch eine einzige öffentliche Alternative ersetzen, und mehr als die Hälfte der Hälfte der Kandidaten der Demokraten für den Kongress sind mit diesem Thema angetreten. Kandidaten, die Medicare for All und andere progressive Politiken unterstützten, erlitten sowohl Niederlagen wie sie auch Siege eringen konnten. Aber gemeinsam war ihnen die Bereitschaft, durch die Tür zu gehen, die Sanders geöffnet hat, und ihre Kampagnen zu nutzen, um die Erwartungen der einfachen Menschen daran zu wecken, wie eine »gute Gesellschaft« aussehen kann. In einer Ära, die von aus dem Ruder gelaufenen Republikanern und doppeldeutigen Demokraten dominiert wird, ist die Durchführung einer weithin beobachteten Kampagne, die darauf abzielt, progressive und demokratisch-sozialistische Prinzipien zu verallgemeinern, ein Sieg für die Linke, unabhängig davon, ob der Kandidat seinen Gegner besiegt oder nicht. Wenn die Linke als die Rechte läuft und verliert, wie Joe Donnelly es tat, ist das eine doppelte Niederlage. (redaktionelle Anmerkung: demokratischer Senator aus Indiana, der für den Falle seines Sieges die Zusammenarbeit mit Präsident Trump angekündigt hatte und gegen den republikanischen Herausforderer verlor) Wenn die Linke als die Linke läuft und gewinnt, wenn Alexandria Ocasio-Cortez, Julia Salazar und Franklin Bynum in diesen Zwischenwahlen gewonnen haben, dann ist das ein doppelter Sieg. Und selbst wenn explizit linke Kandidaten kein Mandat gewinnen, sind ihre Niederlagen nicht vollständig, weil sie ihre Kampagnen in großem Maßstab der Artikulation und Popularisierung fortschrittlicher und demokratisch-sozialistischer Ideen gewidmet haben. Lasst uns mehr von diesen Arten von Kampagnen aufbauen, anstatt darauf zu bestehen, zweimal zu verlieren. |
Linke Publizistik hierzulande tut sich schwer mit dem Einschätzen von Trumps Politik und seinen Wahlkämpfen. Man fürchtet offenbar, eine Kritik an Trump fördere die Position der "bürgerlichen" Trump-Gegner. So erklärt sich auch der Titel der NachDenkSeiten zu den Wahlen: "USA: Rationale Politik stand nicht zur Wahl". Trump hat die Wahl selbst mit aller Kraft zu einem Referendum über seine Politik gemacht. Der linke Sanders mit seinem Aufruf zu einer Internationale gegen die Multinationalen Konzerne, für ein umfassendes öffentliches Gesundheitswesen, für Abrüstung, für Klimaschutz, gegen weitere Politik für Reiche und Konzerne und gegen Fremdenhass und auf der anderen Seite Trump, der Rassist, der Fremdenhasser und Frauenverächter, der Hochrüster und Atomkriegsstratege und Klimanotstandsleugner – keine Alternative?
foto ganz oben: 2018 | Rob Kall, Flickr | CC BY 2.0
Der Kommentar von Conrad Schuhler ist auch auf der Internetseite des Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung isw erschienen.
Die Twittermeldung von Alexandria Ocasio-Cortez und der Auzug aus dem Jacobin Magazine wurden redaktionell eingefügt.