Der Kommentar

Martin Schulz tritt abKommentar von Conrad Schuhler       

Die SPD zeigt sich erleichtert: Schulz ist weg, wenigstens hat er es verspochen, doch diesmal wird er nicht umhinkommen, das Versprechen auch einzuhalten. Als Außenminister wird er nicht an-, als SPD-Vorsitzender abtreten. Ein einjähriges Missverständnis zwischen SPD und Schulz habe sich erledigt, tönt es aus der Funktionärs-Dunkelkammer. Nur: Dies „Missverständnis“ war nicht allein, nicht einmal in erster Linie die Schuld von Schulz. Es war die Schuld des SPD-Apparats.

 

Schulz wurde vom damaligen Parteivorsitzenden Gabriel ins Amt geschoben und von 100% der Parteitagsdelegierten gewählt. Die Wahlkampflinie folgte den Beschlüssen der Parteiführung. Schulz’ Erklärung in der Nacht der Wahlkampfschlappe, dies wäre das Ende der GroKo, entsprach der kollektiven Beschlusslage und wurde vom Parteivolk begeistert begrüßt. Genau so waren die Zustimmung zu den Sondierungsgesprächen und zum Koalitionsvertrag einhellige Führungspositionen. Der Jubel über die Schulz-Aussage, er werde nicht in ein Kabinett Merkel eintreten, war ebenso allgemein wie der über angebliche SPD-Erfolge bei den Koalitionsverhandlungen. Nun will die SPD-Führung den Unmut in der Partei damit wegschminken, er sei durch den Rückzug von Schulz hinfällig geworden. Das Ganze sei ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ gewesen, was durch den „hochanerkennenswerten“ Schritt des Rückzugs nun gelöst worden sei. Jetzt ginge es nicht mehr um Personen, sondern um die Sachfragen.

Selbst wenn das stimmen würde – der präsumtive Vizekanzler Scholz, die designierte Parteivorsitzende Nahles mitsamt den namentlich benannten Ministerkandidaten sehen das gewiss anders – könnte sich genau das, Sachfragen zuerst, als die eigentliche Achillesferse der SPD erweisen. Denn die SPD hat für die sozialen Gruppen, die sie in Millionenhöhe seit Jahren verliert, in den Verhandlungen nichts herausgeholt. Sie hat sie gar nicht erst ernsthaft ins Spiel gebracht. Die SPD hat seit der Wahl 1998 rund 10 Millionen Wähler verloren. Die Linke – hat Sahra Wagenknecht vorgerechnet – hat 2 Millionen Stimmen mehr als die damalige PDS. Viele wählen gar nicht mehr, sagt sie, „andere aus Wut die AfD“.

Dass die SPD weiter Millionen verliert, wird durch den Koalitionsvertrag besiegelt. Denn die Kernaufgabe der Sozialdemokratie, für die Interessen der unteren und mittleren sozialen Gruppen einzutreten, hat sie aufgegeben. In Deutschland sind knapp 20% der Bevölkerung von relativer Armut betroffen, weitere 30 – 40% fürchten sich langfristig vor dem sozialen Abstieg. Der Anteil der unteren 50% am Volkseinkommen schrumpft seit Jahrzehnten, die Ungleichheit der Vermögen nimmt drastisch zu. Die Mehrheit der Bevölkerung will, dass es anders wird. Sie „will höhere Löhne, eine Vermögensteuer für Reiche, ein Rentensystem, das den Anspruch, im Alter den Lebensstandard halten zu können, einlöst“ (Wagenknecht). Die Mehrheit der Bevölkerung ordnet sich in allen Umfragen als politisch links ein. Und doch wählen nur 20% die SPD (und nur 10% die Linke).

Was die SPD anlangt, mit vollem Recht. Diese Partei vertritt nicht ihre Interessen. Sie versagt vor der Aufgabe der Epoche, soziale Gleichheit herzustellen. Reichtumssteuer, Überwindung von Niedriglöhnen, Altersarmut, Leiharbeit, Zwei-Klassen-Medizin werden bisweilen als Themen aufgegriffen, dann aber im politischen Disput mit der Reaktion fallengelassen.

Ebenso krass geschieht dies bei dem zweiten epochalen Thema, der Migration. Es käme darauf an, eine „Internationale für soziale Gerechtigkeit“ zu schaffen, Geflüchtete solidarisch aufzunehmen und die Gründe für die Flucht effektiv zu bekämpfen: internationale Ausbeutung, imperialistische Kriege, Umweltkatastrophe. Stattdessen wird im Koalitionsvertrag einer weiteren Militarisierung der Außenpolitik und der Globalisierung als Kampf um die beste national-regionale Wettbewerbsposition das Wort geredet. Mit dem neuen Innenminister Seehofer wird ein Spezialist für Obergrenze und Abschiebung ins Amt gehievt.

In der EU soll eine Doppelherrschaft Deutschland-Frankreich das Gefälle zwischen armen, verschuldeten Ländern und den Dominatoren aufrechterhalten. Der vorgesehene Finanzminister Scholz gibt die „schwarze Null“ als weiter verfolgte Richtschnur für staatliche Politik an. Das bedeutet, dass soziale Ausgaben zu streichen sind oder gar nicht erst vorgesehen werden, wenn sie der Finanzpolitik im Wege stehen. Der Markt hat es nach der SPD-Propaganda letzten Endes zu richten, auch wenn dieser Markt zu eben den Mängeln führt, die im Koalitionsvertrag zwar beklagt, aber nicht angegangen, sondern nach seinen Maßgaben weiter zugespitzt werden.

Ein erster Schritt zu einer Erneuerung der SPD zu einer Partei der „sozialen Gerechtigkeit“, die sie nach Meinung vieler Mitglieder werden sollte, wäre die Ablehnung der GroKo in der Mitgliederbefragung. Die Schutzbehauptung der Parteiführung, man könne mit Chefs in sechs Ministerien dann doch für eine sozialdemokratische Politik sorgen, kann nur beunruhigen. Ein Finanzminister Olaf Scholz sieht seine Aufgabe nicht anders als Vorgänger Schäuble. Und ein neuer Außenminister Gabriel nicht anders als der alte Außenminister Gabriel. Das „Weiter so“ steht dieser Regierung auf die Stirn geschrieben in einer Zeit, da ein grundsätzlicher Wandel dringend vonnöten ist.

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