Kampf der Unternehmen gegen das Arbeitszeitgesetz
von Marcus Schwarzbach
19.01.2018: In der "Finalen Fassung" der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD heißt es, dass im "Zeitalter der Digitalisierung" die "Arbeit auf Abruf zunimmt". Die Möchtegern-Koalitionäre verpflichten sich "einen Rahmen (zu) schaffen, in dem Unternehmen, Beschäftigte und die Tarifpartner den vielfältigen Wünschen und Anforderungen in der Arbeitszeitgestaltung gerecht werden können". Unflexibel, altmodisch, nicht mehr zeitgemäß – das sind Schlagworte von Unternehmen, wenn es um das Arbeitszeitgesetz geht. Die "Chancen der Digitalisierung nutzen" heißt für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA): gegen das Arbeitszeitgesetz anzugehen. (siehe: Rede von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer)
Dabei sieht das Gesetz den "Acht-Stunden-Tag" nur als Leitlinie: "Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten", um die Möglichkeiten der Unternehmen aber gleichzeitig auszuweiten. Denn die tägliche Arbeitszeit "kann auf bis zu zehn Stunden" verlängert werden, wenn z.B. es im Durchschnitt vom 6 Monaten acht Stunden täglich sind. Dass diese Einhaltung nicht besonders akribisch von den zuständigen Ämtern für Arbeitsschutz (bzw. Gewerbeaufsicht) überwacht wird, erwähnt der Gesetzgeber nicht.
Wer sich das Arbeitszeitgesetz genauer anschaut, stellt fest: besondere Grenzen gibt es für die Unternehmen da nicht.
Zwar werden einleitend der "Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung" und der Schutz von Sonntagen und Feiertagen "als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung (!) der Arbeitnehmer" erwähnt, aber Etikettenschwindel wird bei der Sonntagsarbeit betrieben:
"Zweck des Gesetzes" ist nach §1 Punkt 2 ArbZG "den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe" zu schützen. Und erfreulich deutlich heißt es: "Der Arbeitgeber darf Arbeitnehmer an Sonntagen in der Zeit von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr grundsätzlich nicht beschäftigen" (§9 ArbZG).
Dann aber kommen wieder Ausnahmen: Die Grundsätzlichkeit dieser Regelung wird durch einen großzügigen Katalog von Ausnahmetatbeständen in §10 ArbZG durchbrochen. Für Gastronomie, Hotels, Krankenhäuser, Rettungsdienste etc. ist es generell möglich. Aber auch für die Industrie gibt es Aufweichungen. Nach §10 Abs. 2 ArbZG "dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit den Produktionsarbeiten beschäftigt werden", wenn die infolge der Unterbrechung der Produktion die "Arbeiten den Einsatz von mehr Arbeitnehmern als bei durchgehender Produktion erfordern" (eine ausführliche Darstellung zu den Ausnahmen aus Unternehmenssicht bietet auf einen Blick http://www.aok-business.de/nc/bayern/fachthemen/personalrecht-online/datenbank/anzeigen/poc/docid/180172/)
Das Gesetz wird von den Arbeitsgerichten auch noch aufgeweicht, über das Direktionsrecht des Unternehmens. Denn es kann die Anweisung zur Sonntagsarbeit geben. Selbst ein Arbeitnehmer, der seit 30 Jahren im Unternehmen tätig ist, noch nie am Sonn- oder Feiertag gearbeitet hat und dessen Arbeitsvertrag keine Pflicht zur Sonntagsarbeit beinhaltet, kann dazu verpflichtet werden: "Der bloße Umstand, dass in den Arbeitsverträgen der Parteien nicht ausdrücklich geregelt ist, dass die Beklagte Sonntagsarbeit anzuordnen berechtigt ist, führt nicht dazu, dass eine vertragliche Vereinbarung des Inhalts existiert, dass der Kläger zur Sonntagsarbeit nicht verpflichtet ist" (LAG Baden-Württemberg, 17.07.2008 - 9 Sa 20/08).
Bezeichnend ist auch, was nicht im Arbeitszeitgesetz geregelt ist. Zulässig sind etwa geteilte Schichten. "Geteilter Dienst" wird ein Dienst genannt, wenn er aus zwei Abschnitten besteht, die durch eine längere Freizeitphase geteilt werden. Also Arbeit von 7 bis 10 Uhr, dann weiterarbeiten von 13 Uhr bis 17 Uhr. Die Zeit zwischen den einzelnen Dienstabschnitten ist keine Arbeitszeit, wird nicht bezahlt – ist aber auch keine freie Zeit, über die der Beschäftigte entspannt verfügen kann, denn er muss ja wieder rechtzeitig zur Arbeit im Betrieb sein.
Zur Dienstreise sagt das Gesetz nichts. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb entschieden: "Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber die Zeiten der Hin- und Rückfahrt (Wegezeit) einer Dienstreise als Arbeitszeit vergütet" (BAG, Urteil vom 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05). Auch dazu kann es Ausnahmen geben, Ansprüche aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen, die Beschäftigte absichern. Aber es gibt auch Fälle, in denen Arbeitnehmer bei der Dienstreise von München nach Hamburg die Fahrzeit in der Bahn nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Oder die Flugzeit der Dienstreise zum Headquater nach USA oder zum Zulieferer nach China wird als Privatzeit angesehen. Alles legal, auch in einer von Unternehmen gerne als globalisiert bezeichneten Arbeitswelt. Hier zeigt sich, dass ein fortschrittliches Arbeitszeitgesetz für die abhängig Beschäftigten anders aussehen muss.
Das reicht den Unternehmen aber noch nicht.
Aktuell sind gravierende Veränderungen direkt im Industrie-Bereich feststellbar. Unter dem Motto "Smartphone statt Stechuhr" führt das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft ein Projekt durch: "Das Forschungsprojekt »KapaflexCy« löst die übliche »pauschale« Personalflexibilität ab. Als Beitrag zum Zukunftsprojekt »Industrie 4.0« der Bundesregierung entwickeln wir vorausschauende Strategien und smarte Assistenten für die flexible Produktionsarbeit der Zukunft" (siehe http://www.kapaflexcy.de).
Wer sich die Situation in den Betrieben der Metallindustrie – der Kernbranche der Industrie 4.0 – vor Augen führt, erkennt, wie massiv diese Forderungen sind. Durch Arbeitszeitkonten, Überstunden und Schichtarbeit sind die Beschäftigten bereits heute belastet. Der Arbeitsdruck soll noch schärfer werden – unter den Vorwand der Sachzwänge.
"Während die einen ihren Job verlieren, haben andere immer mehr zu tun. Auch das eine Folge der Digitalisierung. Arbeitsverdichtung nennt sich das. Jederzeit einsatzfähig, überall erreichbar, immer weniger Privatleben. Eine Veränderung, die immer mehr Menschen ernsthaft psychisch krank macht", erläutert Georg Restle, Journalist des WDR-Politmagazins Monitor.
Ja, dieses Arbeitszeitrecht ist nicht mehr zeitgemäß – aber nicht so, wie es die Kampagne-Betreiber der Unternehmen meinen.
Marcus Schwarzbach, Berater für Betriebsräte
Autor des neuen isw-Wirtschaftsinfo 52 "Agil und ausgepresst – Agile Unternehmensführung als Herausforderung für Gewerkschaften und Betriebsräte in der digitalen Arbeitswelt", bestellen: https://isw-muenchen.de/produkt/wirtschaftsinfo-52/