Der Kommentar

alt12.01.2013:  Ignacio Ramonet war von 1991 bis 2008 Direktor der in Paris erscheinenden Monatszeitung für internationale Politik 'Le Monde diplomatique'. Seither leitet er die spanische Ausgabe der Zeitung. Der 69-Jährige ist Ehrenpräsident von Attac und Autor mehrerer Bücher über die lateinamerikanische Linke, zudem eines mit umfangreichen autobiografischen Erzählungen des kubanischen Staatsführers Fidel Castro. Dieser Tage wird er an der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin teilnehmen. In einem aktuellen Gastbeitrag im Lateinamerikaportal amerika21 äußerte er sich zur politischen Lage Venezuelas im Kontext der schweren Erkrankung von Staatspräsident Hugo Chavez:

In Venezuela muss es von Rechts wegen auch nach dem heutigen 10. Januar keine Neuwahlen geben. Erstens sieht die venezolanische Verfassung von 1999 vor, dass der Präsident seinen Amtseid vor dem Obersten Gerichtshof ablegt, falls er den definierten Termin nicht wahrnehmen kann. Die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs könnten den Termin nicht nur verschieben, sondern Chávez den Amtseid sogar in einem Hospital abnehmen. Zweitens hat Hugo Chávez von der Nationalversammlung die einstimmige Erlaubnis erhalten, sich zur Behandlung seiner Krebserkrankung maximal 90 Tage im Ausland aufzuhalten. Diese Zeit ist erst zu einem Drittel abgelaufen. Drittens muss er nicht in einer neuen Funktion vereidigt werden. Er war vor der Wahl Präsident und ist es auch danach. Die Regierung ist funktionsfähig und das Parlament hat volle Souveränität.

Natürlich schafft die Erkrankung von Hugo Chávez zunächst ein Klima der Unsicherheit, was sich auf die politische Situation auswirkt. Wenn es in diesem Moment in Venezuela allerdings Neuwahlen geben würde, stünde außer Frage, dass sich die Regierungsparteien gegenüber der Opposition in einer ungleich günstigeren Ausgangslage befänden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Regierungslager gerade zwei aufeinanderfolgende Abstimmungen gewonnen hat. Auch die Emotionalität, mit der die Menschen die Krankheit des Präsidenten begleiten, würde eher der Regierung helfen.

Auf der anderen Seite steht eine wenig organisierte und zerstrittene Opposition. Der Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski, war zwar bei der Wahl am 7. Oktober der Kandidat der Opposition. Aber es ist derzeit völlig offen, ob die Allianz der Chávez-Gegner ihn noch einmal ins Rennen schicken würde. Die Opposition hat im Moment also am wenigsten Interesse an Neuwahlen. Tatsächlich fordern sie dies auch nicht, sondern hinterfragen die Verfassungsmäßigkeit der Regierungsvorschläge oder stellen Fragen zum Gesundheitszustand von Chávez.

Es gibt gerade viel Aufmerksamkeit in den internationalen Medien, weil der seit 14 Jahren währende politische Prozess in Venezuela ganz Lateinamerika beeinflusst. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich im Februar Ecuadors Präsident Rafael Correa erneut zur Wahl stellt. Beim Kampf um diese beiden Präsidentschaften spielen viele Interessen eine Rolle, zahlreiche Akteure nehmen Einfluss.

Wenn der Oppositionspolitiker Capriles Radonski in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung La Razón sagt, dass der Chavismus ohne Chávez "verletzbar und besiegbar" sein könne, spricht er zu Recht nur von einer Möglichkeit. Derzeit trifft dieses Urteil kaum zu, denn Hugo Chávez ist präsent und meldet sich trotz seiner Krankheit zu Wort.

Es wird in der Berichterstattung derzeit - mit Verweis auf die starke Rolle von Präsident Chávez - oft die Frage nach dem Fortgang der Bolivarianischen Revolution gestellt, sollte er sich aus der Politik zurückziehen müssen. Doch nicht nur in Venezuela wird der politische Prozess stark mit einer Führungsfigur identifiziert. Das trifft auf Hugo Chávez ebenso zu wie auf Rafael Correa (Ecuador), Evo Morales (Bolivien), Cristina Fernández (Argentinien) und andere. Ein Grund dafür ist, dass die genannten Politiker herausragende Persönlichkeiten mit besonderen Biografien sind. Aber in drei der linksregierten Staaten – Brasilien, Argentinien und Uruguay – hat es ungeachtet dieses Charakteristikums eine Nachfolge an der Spitze progressiver, linker Regierungen gegeben.

In Venezuela wurde diese Option noch vor wenigen Wochen vehement ausgeschlossen. Doch Chávez selbst hat einen möglichen Kandidaten seiner Partei, der PSUV, benannt. Heute wissen wir, dass es mit dem amtierenden Vizepräsidenten Nicolás Maduro einen anerkannten Kandidaten des bolivarianischen Lagers gäbe, wenn dies notwendig würde. Maduro hat damit nicht nur die politische Legitimität, sondern auch die notwendigen Erfahrungen, den bolivarianischen Prozess in Venezuela weiterzuführen. Die Dinge würden dann nicht so laufen wie sie unter Chávez gelaufen wären oder werden, wenn er zurückkehrt. Aber geklärt ist, dass eine Nachfolge des 'Comandante' möglich wäre.

Quelle und CR: amerika21.de

 

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