07.06.2012: Als Gregor Gysi das Wort „Hass“ in den Mund nahm, lief es den Delegierten des Parteitages „Der Linken“ in Göttingen erkennbar kalt den Rücken hinunter. Spätestens jetzt – am Samstagnachmittag – wurden die Gräben innerhalb der Partei „Die Linke“ deutlich.
Eine Spaltung war aber offensichtlich von niemandem beabsichtigt – und vorbereitet worden –, doch erst Gysis Wort erzwang bei den verschiedenen Flügeln Ernsthaftigkeit und Disziplin. Im Ergebnis wurden Katja Kipping und Bernd Riexinger die neuen Vorsitzenden. Eine Wahl, die niemanden vergrätzt und die vor allem Rückbesinnung auf die Aufbruchstimmung vor sieben Jahren ermöglicht – inhaltlich und organisatorisch.
Kippings jugendliche Unbekümmertheit und Riexingers Verwurzelung in der Arbeiterbewegung könnten einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der Partei „Die Linke“ leisten. Dass die Partei lebt, wurde in der Generaldebatte, aber auch in der Vorstellung der KandidatInnen für den Parteivorstand deutlich. Abgehobenheit gibt es eben nicht überall, Basisarbeit wird mancherorts getrieben – übrigens in Ost und West.
Viel zu wenig – fast gar nicht – bezogen sich die Delegierten auf die antikapitalistischen Ansätze des Erfurter Programms, das man doch erst vor wenigen Monaten verabschiedet hat. Auch wenn etliche Redebeiträge beschworen, dass die Partei „Die Linke“ im Angesicht der Krise nötiger sei denn je, fehlte es doch gerade hier an der Bestimmung, was denn das konkret bedeutet.
Da sind Hausaufgaben nachzuholen – bei allen Flügeln. Bei denen verlaufen die Trennlinien keineswegs entlang der vielbeschworenen Linien Ost und West oder Interessen-/ Volkspartei. „Rechtere“ oder „linkere“ Auffassungen gibt es anscheinend querbeet. Das sind für die neue Führung Ansatzpunkte, Verkrustungen aufzubrechen und Politikfähigkeit zurückzugewinnen.
Oskar Lafontaine bestimmte die inhaltlichen Wegmarken ganz einfach: Für oder gegen Krieg, für oder gegen Sozialabbau. Gelingt es der Partei, im Kampf gegen Krieg und Sozialabbau den Anschluss an die sozialen Bewegungen zu finden und sich in die Kämpfe der arbeitenden Menschen einzubringen, könnte die Partei „Die Linke“ ein wichtiges Projekt der deutschen Linken bleiben. Das ständige Schielen auf die SPD ist dabei nicht dienlich.
Die Zukunft liegt auf der Seite der arbeitenden Menschen – und nur dort.
Adi Reiher (Vorabdruck aus der UZ vom 08.06.12)