06.07.2010: Das Spiel der deutschen Nationalmannschaft begeistert zur Zeit viele. Jeder sieht: Jogis Team ist in guter körperlicher und geistiger Verfassung. Selbst die größten Optimisten hielten dieses Sommermärchen 2.0 nicht für möglich. Ballack verletzt – Klose, Podolski, Gomez außer Form bzw. in ihren Vereinen meist auf der Bank. Und nun das. Es gilt nicht mehr, was der ecuadorische Trainer Suarez noch 2006 sagte: „Die Deutschen spielen wie Panzer, die alles, was sich ihnen in den Weg stellt, überrollen. Sie sind Zerstörer, wie im Krieg”.
Stattdessen lobt die ganze Welt die Spielkultur der deutschen Mannschaft. Die argentinischen Supertechniker Messi, Chavez und Higuain, auch die englischen Spieler, schienen ein Schatten ihrer selbst. Die Deutschen kann man aber offensichtlich nur mit deren eigenen Tugenden plus besserer Technik schlagen. Das heißt kämpfen, bei Freistößen konsequent decken, nach deutschen Ballverlusten schnell nach vorne spielen und nicht immer wieder durch die deutsche starke Abwehrmitte (Mertesacker und Friedrich) angreifen. Nur über gutes Flügelspiel scheint die deutsche Abwehr verwundbar.
Vorerst ist zu konstatieren. Es bleibt über Jahrzehnte das Markenzeichen deutscher Mannschaften, dass sie zu Weltmeisterschaften top vorbereitet antreten. Und dadurch fast immer am oberen Limit ihres Leistungsvermögens spielen. Diesmal kommt dazu, dass die systematische Talenteförderung seit Anfang des Jahrzehnts beginnt Früchte zu tragen.
Frau Merkels Präsenz während des Spieles erinnerte an weniger schöne Aspekte des Spektakels. DFB-Präsident Zwanziger (CDU) jubelte nach dem 3:0 durch Friedrich „seiner” Kanzlerin Merkel zu, als wolle er sagen. „Angie, jetzt haste was zum Feiern. Wir kämpfen auch für deine Mehrheit. ” Demgegenüber hatte nicht nur der Steuerzahlerbund Merkel empfohlen: Sparen sie sich den Flug zum Viertelfinale. Dieser Flug sei das falsche Signal. Eine Flugstunde mit der Regierungsmaschine kostet deutlich mehr als 10 000 Euro.
Merkel verspiele sich mit dem Besuch die letzten Sympathien- so Karl Heinz Däke vom Bund der Steuerzahler. Während Merkel auf unsere Kosten jubelt, wird das Wohngeld um 40 Prozent gekürzt, die Koalition plant höhere Krankenkassenbeiträge, der Etat des Arbeits- und Sozialministerium soll deutlich stärker gekürzt werden als der Gesamthaushalt des Bundes. Kann Fußball da noch Spaß machen?
Soll es ewig so weitergehen? Sieg im Halbfinale: Merkel erhöht das Rentenalter auf 70 Jahre. Sieg im Endspiel: Merkel erhöht die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent. Weil sie hofft, dass es keiner merkt, weil sie alle hupend durch die Straßen fahren und „Deutschland, Deutschland” schreien. So darf es nicht kommen. Freuen wir uns über guten Fußball – aber machen wir auch deutlich, dass wir das Kalkül der Regierung durchschauen und Widerstand leisten.
Denn die Fußballweltmeisterschaft endet am 11. Juli – der Sozialabbau bleibt.
Werner Bischoff (Vorabdruck aus der UZ vom 9. Juli 2010) / Foto: Awaya