Wirtschaft

Lieferkette Kampagne Schweiz 103.12.2020: Mehrheit der Schweizer*innen stimmte für scharfes Lieferkettengesetz ++ nach Schweizer Volksabstimmung in Österreich eine Initiative für ein Lieferkettengesetz ++ Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU): Jetzt auch in Deutschland handeln, vor Weihnachten zu einer Entscheidung kommen ++ Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) und Wirtschaftsverbände blockieren ++ Video: Der Konzern-Report

 

Am vergangenen Sonntag (29.11.) stimmten die Schweizer*innen in einer Volksabstimmung über die "Konzernverantwortungsinitiative" ab. Ziel der Initiative war es, Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dazu zu zwingen, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in allen globalen Produktionsschritten zu garantieren. Andernfalls könnten sie vor Schweizer Gerichten zur Verantwortung gezogen werden.

Die Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt", kurz: Konzernverantwortungsinitiative wurde von den Schweizer*innen zwar mit einer knappen Mehrheit (50,7%) angenommen, ist jedoch am "Ständemehr" gescheitert, weil sie nicht in der Mehrheit der 23 Kantone siegte.

Nur wenige Volksinitiativen haben die Schweiz so lange beschäftigt wie diese. Vor mehr als vier Jahre haben die Aktivist*innen der Konzernverantwortungsinitiative mit ihrer Arbeit begonnen. Im Jahr 2015 begannen mehrere Dutzend Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltgruppen mit der Kampagne, heute ist der Unterstützerverein auf 130 Organisationen und Tausende von Freiwilligen in über 400 Lokalkomitees angewachsen. Sie haben Unterstützung im gesamten politischen Spektrum, vor allem von linken und grünen Kräften im Parlament, von Gewerkschaften bis hin zu kirchlichen Gruppen.

  Lieferkette Kampagne Schweiz 2  
  Selten hat ein Referendum das Land so lange beschäftigt wie die Konzernverantwortungsinitiative. Die orangefarbenen Banner mit weißem Ja hängen seit mehr als vier Jahren an Schweizer Balkonen.  

 

Dagegen stehen die großen Wirtschaftsverbände, die Schweizer Regierung, die Mehrheit des Parlaments und die konservativen Parteien. In den letzten Wochen gab es eine Schmutz- und Verleumdungskampagne gegen die Konzernverantwortungsinitiative, die man so in der Schweiz noch nie erlebt hat.

Für die Konzerne stand auch einiges auf dem Spiel. Mit der Konzernverantwortungsinitiative hätte die Schweiz das weltweit strengste Regelwerk erhalten, mit dem die Unternehmen für Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden haften, die sie selbst oder ihre Tochterfirmen im Ausland begangen haben. Menschen, die nachweisen können, dass sie von einem Schweizer Unternehmen oder einem seiner Partner im Ausland geschädigt wurden, könnten also vor Schweizer Gerichten klagen.

Und das bei einer ansehnlichen Dichte von Großkonzernen. Nestlé sitzt in der Schweiz, ebenso die Pharmariesen Roche und Novartis, der Agrochemiekonzern Syngenta, der Baustoffhersteller Lafarge-Holcim und nicht zuletzt die umsatzstarken Rohstoffhändler: Glencore, Cargill, Gunvor, Mercuria, Vitol. All diese Unternehmen wären definitiv von der neuen Regelung betroffen. Und: Viele von ihnen wurden bereits mit problematischem Verhalten im Ausland in Verbindung gebracht.

 

Der Konzern-Report

 
   
  Der Film lässt Menschen auf zwei Kontinenten zu Wort kommen, die durch Konzerne mit Sitz in der Schweiz geschädigt werden. Dick Marty und weitere Stimmen aus dem In- und Ausland erklären, warum sie klare Regeln verlangen, damit Konzerne wie Glencore für Verfehlungen geradestehen müssen.  

 

Cristina Gaggini vom Wirtschaftsverband Economiesuisse nannte das Abstimmungsergebnis eine "große Erleichterung". Die gescheiterte Initiative habe bei den Schweizer Unternehmen für Verunsicherung gesorgt.

Für Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz, ist das Ergebnis trotz der Niederlage ein Erfolg. "Wir haben zwar knapp an der Urne verloren, aber dennoch Erfolge erzielt. Wir haben es mit einer breiten Koalition und dem Engagement von Zehntausenden von Unterstützerinnen und Unterstützern geschafft, die Forderung nach mehr Konzernverantwortung ganz oben auf die politische Agenda der Schweiz zu setzen. Unser Anliegen bleibt aktuell und wird heute von einer zivilgesellschaftlichen Bewegung im ganzen Land getragen."

Es gab die Besiegten, die zum Sieg bestimmt waren
Silvio Rodríguez, kubanischer Sänger

Nach dem Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative wird nun ein vom Schweizer Parlament verabschiedeter Gegenvorschlag auf den Weg gebracht. Der Vorschlag sieht ebenfalls vor, dass Unternehmen zu Menschenrechts- und Umweltschutz weltweit verpflichtet werden, ohne sie jedoch rechtlich verantwortlich zu machen, eine zivilrechtliche Haftung gibt es nicht.

Nach Schweizer Volksabstimmung: Komitee kündigt Initiative für Lieferkettengesetz in Österreich an

Nach der Volksabstimmung in der Schweiz wurde in Österreich ein Komitee gegründet, das die "Initiative Lieferkettengesetz Österreich" auf den Weg bringen will. "Konzerne beuten Menschen aus, verseuchen die Umwelt und schädigen das Klima. Sie machen es, weil sie es können. Weil niemand sie zur Verantwortung zieht. In Bangladesch stürzen Textilfabriken ein, in Pakistan verbrennen Näherinnen, in Brasilien werden indigene Völker vertrieben, auf europäischen Feldern und afrikanischen Plantagen arbeiten Frauen und Kinder als moderne Sklaven. Überall auf der Welt werden Lebensräume zerstört, Wasser vergiftet und Pflanzen- und Tierarten vernichtet. Dieser Raubbau an Menschen, Tieren und Umwelt muss gestoppt werden. Das erreichen wir nicht über Freiwilligkeit. Hier braucht es einen gesetzlichen Rahmen" sagt Veronika Bohrn Mena, eine der Sprecher*innen der "Initiative Lieferkettengesetz Österreich" (http://www.lieferkettengesetz.at).

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU): Jetzt auch in Deutschland handeln

Für Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist das Ergebnis der Schweizer Abstimmung eine Aufforderung, jetzt auch in Deutschland zu handeln. In einer Erklärung verweist er auf die mehrheitliche Zustimmung der Wähler für die Initiative. "Das Signal der Wahl ist ganz klar: Die Menschen wollen, dass Konzerne mehr Verantwortung für Arbeitsbedingungen und Umweltschutz in ihren Lieferketten übernehmen. Sie wollen nicht länger Produkte kaufen, in denen Kinder- und Zwangsarbeit steckt."

"Die Blockade einiger Wirtschaftsverbände darf nicht dazu führen, dass ein Gesetz in dieser Legislaturperiode verhindert wird. Wir müssen vor Weihnachten zu einer Entscheidung kommen."
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller

Auch Deutschland müsse jetzt handeln, erklärt Müller. "Wir müssen vor Weihnachten zu einer Entscheidung kommen." Dies sei im Koalitionsvertrag eindeutig festgelegt. "Die Eckpunkte von Arbeitsminister Heil und mir liegen nunmehr seit vier Monaten vor. Die Blockade einiger Wirtschaftsverbände darf nicht dazu führen, dass ein Gesetz in dieser Legislaturperiode verhindert wird." [1]

Müller erinnert auch daran, dass sich in Deutschland in einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap im September 75 Prozent der Befragten für ein ambitioniertes Lieferkettengesetz ausgesprochen haben

Wirtschaftsministerium blockiert

Eigentlich sollte ein Lieferkettengesetz längst zur Abstimmung in den Bundestag gehen, doch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellt sich quer.

Altmaier folgt damit den Wirtschaftsverbänden, die intensive Lobbyarbeit für eine Abschwächung der von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) angepeilten Vorgaben betreiben. Eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland sei realitätsfern und verkenne die Komplexität globaler Lieferketten.

In einer gemeinsamen Stellungnahme unterstützen BDA, BDI, DIHK "Bundeswirtschaftsminister Altmaier ausdrücklich darin, darauf zu drängen, die Punkte eines geplanten Gesetzesentwurfes, die in der Praxis nicht umsetzbar sind, abzuändern. Insbesondere die Forderung für eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland, die dort eigenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, ist realitätsfern." [2]

Lieferkette Mueller HeilHubertus Heil und Gerd Müller haben in den vergangenen Monaten eine entsprechende Gesetzesinitiative vorangetrieben. Sie sehen freiwillige Selbstverpflichtungen als gescheitert an. Vorangegangen waren Unternehmensbefragungen, die ergaben, dass deutlich weniger als 50 Prozent der befragten Firmen ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen.

Im Juli sagte Gerd Müller: "Zur Verwirklichung von Menschenrechtsstandards, die entlang der Lieferketten Kinderarbeit ausschließen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards sichern, brauchen wir jetzt einen gesetzlichen Rahmen, so wie im Koalitionsvertrag festgelegt." Demnach solle eine gesetzliche Regulierung erarbeitet werden, wenn sich bis 2020 freiwillige Maßnahmen nicht als wirksam erweisen.

Müller und Heil wollen Unternehmen ab 500 Mitarbeitern in die Verantwortung nehmen und sehen eine zivilrechtliche Haftung vor, wonach dann Unternehmen vor Gericht für Verfehlungen zur Verantwortung gezogen werden können. Von Wirtschaftsminister Altmaier ist jedoch nach wie vor zu hören, dass er ein Lieferkettengesetz nur für Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitenden und ohne zivilrechtlichen Durchsetzungsmechanismus akzeptiert.

Für Befürworter*innen eines Lieferkettengesetzes hingegen zählt die Haftung zu den Kernstücken des Vorhabens. Auch lehnen sie es ab, die geplanten Regeln nur auf direkte Zulieferer statt auf die ganze Lieferkette anzuwenden, da sie dann durch Zwischenschaltung eines Strohmannes leicht umgangen werden könnten.

"Es ist kein Kokolores, sondern es geht um die fundamentalen Rechte von Menschen: Es geht um den Kampf gegen Sklavenarbeit. Es geht um den Kampf gegen Kinderarbeit. Es geht um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)

Soll das Lieferkettengesetz tatsächlich noch in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden, bleibt Heil und Müller nicht mehr allzu viel Zeit. Denn nach der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs durch die Regierung muss noch der Bundestag zustimmen, der im Herbst 2021 neu gewählt wird. 

 

Anmerkungen:

[1] BMZ, Minister Müller: Schweizer Volksabstimmung ist Signal für Lieferkettengesetz
http://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2020/november/201130_Minister-Mueller-Schweizer-Volksabstimmung-ist-Signal-fuer-Lieferkettengesetz/index.html

[2] Gemeinsame Pressemitteilung von BDI, BDA und DIHK anlässlich der Diskussion um ein nationales Lieferkettengesetz
https://bdi.eu/artikel/news/gemeinsame-pm-von-bdi-bda-und-dihk-anlaesslich-der-diskussion-um-ein-nationales-lieferkettengesetz/


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