25.02.2020: Metro hat seine Warenhaustochter »real« an ein deutsch-russisches Konsortium verkauft ++ die neuen Besitzer kündigen eine umfassende Restrukturierung an ++ die Beschäftigten sind verunsichert und haben Angst um ihre Arbeitsplätze ++ ver.di Südhessen zum Verkauf von real
Seit dem 14. Februar 2020 steht fest: Metro hat das SB-Warenhaus »real« an ein russisch-deutsches Konsortium verkauft. »real« ist eine Supermarktkette mit über 280 Märkten mit vielen interessanten Immobilien und zusätzlich einem schnell wachsenden Online-Geschäft. Die neuen Besitzer sind der russische Finanzinvestor SCP und das deutsche Immobilienunternehmen x+bricks.
Die Beschäftigten sind seit dem Betriebsübergang des SB-Warenhauses »real« zur Metro Services GmbH mit Lohnabsenkung konfrontiert. Um »real« für einen Verkauf "aufzuhübschen", hat das Unternehmen im Juni 2018 Tarifflucht aus dem Flächentarifvertrag begangen. Bei Neueinstellungen oder Versetzungen gilt ein mit der »gelben Gewerkschaft« DHV abgeschlossener Dumping-Tarifvertrag, der durchschnittlich 23 Prozent weniger Geld und längere Arbeitszeit bedeutet.
In einem Interview kündigten die neuen Besitzer harte Zeiten für Real an. "Real so wie es heute ist, ist nicht zukunftsfähig", sagt Marjorie Brabet-Friel, Chefin der russischen SCP Group. Die Restrukturierung sieht vor, dass ein Großteil der 276 Filialen an Mitbewerber gehen soll. Dazu zählen etwa die Handelsriesen Kaufland und Edeka. Ein anderer Teil soll umgebaut werden, so dass mehrere Geschäfte - darunter auch Rewe, Aldi, Lidl und Co. - einziehen können. Nur ein Bruchteil von etwa 50 Märkten darf unter dem Namen Real für die nächsten 24 Monate weitermachen.
Die Beschäftigten sind verunsichert und fragen sich, ob der neue Besitzer überhaupt in der Lage ist, die Märkte operativ zu führen. Während x+Bricks als reiner Immobilienkonzern tätigt ist, gilt die SCP Group als Finanzinvestor, der zum russischen Beteiligungsunternehmen Sistema gehört. Das Konglomerat Sistema ist an russischen Banken, Krankenhäusern, Pharmaunternehmen, Telekommunikationsdiensten, Versicherungen, Medienhäusern und Energieunternehmen beteiligt. Großaktionär (64,2% des Eigenkapitals) und Vorstandsvorsitzender von Sistema ist der russische Oligarch Wladimir Yewtushenkow.
ver.di Südhessen meint dazu:
Verkauf der Real GmbH an SCP Retail Investments & x+bricks
Hoffen und Bangen
Wenn der Vorstandsvorsitzende der Metro AG, Olaf Koch, die von ihm immer wieder aufs Neue angekündigte "Zielgerade" beim Verkauf der Real GmbH erreicht hat, dann ist für die Beschäftigten möglicherweise noch lange nicht klar, ob sie sich ebenfalls schon auf dieser kürzesten Strecke zur Gewissheit ihrer beruflichen Zukunft befinden. Viel eher sieht es derzeit so aus, als ob die Belegschaften der verbliebenen 276 Real-Märkte, also auch der Filialen in Darmstadt, Groß-Gerau und Groß-Zimmern, sich weiterhin im Zickzack zwischen Hoffen und Bangen bewegen müssten, ehe ihnen irgendwann die Verantwortlichen sagen, was geschieht und wie es kommen soll.
Pünktlich zur Vorbereitung von Warnstreiks bei Real am Tag der Hauptversammlung der Metro AG am 14. Februar 2020 erschien Olaf Koch mal wieder mit einem seiner üblichen "persönlichen" Briefe an die "lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Real" auf der seit Monaten mehr als trostlosen Bildfläche der meisten Märkte. Er verkündete anscheinend nicht ohne Stolz die Übernahme des Unternehmens durch den Finanzinvestor SCP, der "mit dem Handelsimmobilienexperten x+bricks zusammenarbeitet", bis Mitte dieses Jahres. Seine Beruhigungspille für die Schwankenden zwischen Abwarten und Streiken: Alle Beschäftigten würden ihre "gültigen Verträge und Rechte auch unter dem neuen Eigentümer behalten". Vom Kaufpreis von lediglich 300 Millionen Euro für die Real GmbH, statt den bisher veranschlagten 500 Millionen Euro war erwartungsgemäß keine Rede.
Streiks fanden trotzdem statt; in Nordrhein-Westfalen mit beachtlicher Beteiligung und Kundgebung vor dem Lokal der Hauptversammlung, in Hessen nur im Markt Groß-Gerau. Der (scheidende) Eigentümer Metro will dem neuen Investor das "Beet" so gut "bestellt" wie möglich übergeben. Deshalb sparte Olaf Koch auch nicht mit für Kenner*innen der Lage nicht ganz geruchsfreiem Eigenlob für "vielversprechende Geschäftsmodelle"; beispielsweise beim beschäftigungsträchtigen und kostenfressenden "neu entwickelten Markthallen-Konzept", dem angeblich "sehr erfolgreichen und rasant wachsenden Onlinegeschäft von real.digital" und dem scheinbar als "Joker" betrachteten, im letzten Jahr "eröffneten Convenience- Format Emmas Enkel". Demgegenüber zeigt sich der Vorsitzende des Verwaltungsrates der SCP Retail Investments, Patrick Kaudewitz, vormals Vorstandsvorsitzender bei Kaufland, in seinem Schreiben vom 20. Februar an die Real-Belegschaften nicht nur offener, sondern auch wirklichkeitsnäher.
Darin ist von einem enormen Investitionsstau die Rede. Wie das? Hatte nicht Olaf Koch gegenüber der "WirtschaftsWoche" im Juni 2015 behauptet: "Bei Real wollen und müssen wir investieren. Aber das funktioniert nur, wenn es einen tragfähigen ökonomischen Ansatz gibt." War dieser mit den "vielversprechenden Geschäftsmodellen" nicht schon weit vor dem Verkauf gefunden? Und wurden nicht im so genannten "Zukunftstarifvertrag" mit ver. di vom Juli 2016 "beginnend mit dem Geschäftsjahr 2016/17 Investitionen" in einer Höhe von "1 Mrd. Euro über 5 Geschäftsjahre" zugesagt? Wo also "staute" es gewaltig: bei den üppigen Geldströmen der finanzstarken Metro AG oder beim politischen Willen ihres Vorstands, das Unternehmen Real wirklich retten zu wollen? Das ist zwar "Vergangenheit", die aber nicht vergessen werden sollte und darf, wenn dafür Verantwortliche wie Olaf Koch immer noch vollmundig auftreten und weiterhin zu wissen vorgeben, was für Real richtig sei.
Für jedes Geschwätz der Führungsebene des bisherigen Eigentümers der Real GmbH kann Patrick Kaudewitz selbstverständlich nicht "haftbar" gemacht werden. Allerdings sollten auch seine Worte wohl "gewogen" und bewertet werden. So verkündet er zum Beispiel: "Gegenüber allen Einzelhändlern, mit denen wir zu einer Übernahme von Standorten im Gespräch sind, haben wir deutlich gemacht, dass für uns die Übernahme von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter dem Gesichtspunkt der Besitzstandswahrung (Betriebsübergang nach § 613a [Bürgerliches Gesetzbuch]) sehr hohe Priorität hat." Damit spricht er eine gute Absicht, aber mehr auch nicht aus. Es wäre völlig falsch und blauäugig, daraus bereits eine Garantie für irgendetwas Notwendiges oder Sinnvolles abzulesen. Sollten er und andere dies wünschen, hält Patrick Kaudewitz sein Versprechen, SCP wolle die Beschäftigten "ab dem Zeitpunkt der Rechtskräftigkeit der Übernahme regelmäßig, offen und ehrlich informieren"; er beabsichtige, mit ihnen "in einen regelmäßigen, vertrauensvollen Austausch zu treten". Dann wäre schon mehr gewonnen, als üblicherweise von einem Unternehmer an redlicher Offenheit zu erwarten ist.
Wenn dazu noch ein tragfähiges Zukunftskonzept käme, das den Namen tatsächlich verdient, dann wäre das schon (fast) zu viel des Guten. Immerhin sieht die SCP offensichtlich in vielen Real-Märkten (und hoffentlich auch in deren Belegschaften) "ein gutes Fundament für neue Ansätze", weil die Filialen anscheinend nicht zum Experimentierfeld für ein möglicherweise ausgeklügeltes, aber hochpreisiges und deshalb nur für eine verhältnismäßig kleine Bevölkerungsschicht finanziell erschwingliches Waren- und Leistungsangebot gemacht werden sollen. Vielmehr hört es sich erst einmal gut an, dass Patrick Kaudewitz wie bei Kaufland "bodenständig" bleiben möchte, wenn er betont, die Real-Märkte seien "in der Regel gut erreichbar", böten "ausreichend Parkplätze" und machten "es Kunden einfach, alles für den täglichen Bedarf zu besorgen".
Angesichts solcher zielgerichteten Überlegungen verwundert es nicht, dass der SCP-Verwaltungsratsvorsitzende das glorreiche "Convienience-Fromat Emmas Enkel" überhaupt nicht erwähnt. Erstaunlich oder ärgerlich, wird Olaf Koch vielleicht denken, könnten solche Läden bei flächendeckender Ausbreitung doch den größten (Weiter)Beschäftigungseffekt erzielen: Märkte wie bei "Emmas Enkel" in Stuttgart von 45 Quadratmetern mit 500 Artikeln, Touch-Display an der Verkaufstheke oder Vorbestellung über eine App, vollautomatische Ausgabe der Waren, 24-stündige Öffnung an 365 Tagen jährlich, Personal nur fürs Verräumen und Nachfüllen der fehlenden Artikel. Auf diese Weise ließen sich die 34.000 Beschäftigten der Real GmbH sicher leicht unterbringen. Das Unternehmen müsste nur schnell bundesweit etwa 10.000 Tante-Emma-Filialen eröffnen. Die Gehälter wären "natürlich" nicht mehr zum Einzelhandelstarif, sondern nur noch zum gesetzlichen Mindestlohn wirtschaftlich "vertretbar". Wie gut, dass solche Geschäftsmodelle bleiben, was sie sind: Hirngespinste von "Träumern", aber ohne praktischen Nutzen für die Beschäftigten.
übernommen von »Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte«, Nr. 136, 24. Februar 2020
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