15.11.2011: Dieser Tage trafen sich in der Hanauer Reinhardskirche Genossinnen und Genossen und Kolleginnen und Kollegen aus dem Rhein-Main zum „Gewerkschafts- und betriebspolitischen Forum der DKP Hessen“ um die Ergebnisse des vergangenen IG Metall Gewerkschaftstages einzuschätzen.
Mit Horst Schmitthenner, ehemaliges Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall, diskutierten die Teilnehmer Positionen und Aktionen zur Tarif- und Gesellschaftspolitik der IG Metall. Schmitthenner und der Hanauer Delegierte Jürgen Brandies waren sich einig, dass der Karlsruher Gewerkschaftstag weniger von politischen Debatten geprägt war als vorangegangene Kongresse. Die Delegierten folgten größtenteils der Kongressregie des Vorstandes der Gewerkschaft, der auf Tarifpolitik und betriebliche Arbeit orientierte und auf eine Analyse der aktuellen politischen, finanz- und realwirtschaftlichen Lage weitgehend verzichtete.
So hatte der IGM-Vorsitzende Berthold Huber in seinem „Zukunftsreferat“ die gewerkschaftliche Tagesarbeit als vorrangige Aufgabe bezeichnet. „Eine Positionierung zu grundlegenden Änderungen des kapitalistischen Systems hat er nicht vorgenommen. Da gibt es keine Orientierung und keine Vision“, so Schmitthenner, der auch monierte, dass der Vorstand der IG Metall sich der vermeintlich positiven Wirkung seiner Kontakte zur Regierung zu sicher sei. Huber hatte darauf verzichtet, den Delegierten der IG Metall vor Augen zu führen, was bei der nächsten Wirtschaftskrise auf sie zukomme, so dass eine Diskussion über die kommenden Herausforderungen an gewerkschaftliche Arbeit ausblieb: „Die Regierung gibt 480 Milliarden Euro für die Banken aus. Die haben kein Geld mehr für Konjunkturprogramme und die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes“, warnte Horst Schmitthenner.
Jürgen Brandies wies darauf hin, dass mehr als 80 Prozent der Delegierten des Karlsruher Gewerkschaftstages der IG Metall erstmals an einem solchen Kongress teilnahmen und zudem einer Generation angehören, die an den Kämpfen um die Flächentarifverträge nicht teilgenommen hat. Der Betriebsratsvorsitzende von Passavant Roediger kritisierte die Tarifentschließung des Gewerkschaftstages, in der weiterhin auf Kurzarbeit als Instrument der Beschäftigungssicherung gesetzt wird und erfolgsabhängige Entgeltbestandteile als akzeptabel bezeichnet werden. „In der Tarifentschließung ist auch zu lesen, dass sich die IG Metall mit prekären Arbeitsverhältnissen und der Umverteilung von unten nach oben arrangiert hat“, prangerte Brandies an. Allerdings ist er sich sicher, dass die größte Einzelgewerkschaft der BRD sich in absehbarer Zeit zu grundsätzlichen Fragen des kapitalistischen Systems positionieren muss: „Noch immer wird in einigen Betrieben kurz gearbeitet. Die Probleme sind nicht gelöst, und es wird bald zu neuen Konflikten kommen. Das führt unweigerlich zu Brüchen“, sagte Brandies voraus.
Diese Einschätzung teilte auch Horst Schmitthenner, der die Frage formulierte, welche Organisation in einer solchen Situation in der Lage sei, eine Mobilisierung der Arbeiterklasse herbeizuführen. Schmitthenner konstatierte in Bewegungen wie etwa den Bankenkritikern von „Occupy“ eine „adressatenlose Wut“ – die Menschen seien enttäuscht, aber nicht in der Lage zu erkennen, gegen wen sie ihren Protest richten müssten. Diesen Mangel an Analysefähigkeit lastete er auch den Gewerkschaften an, die ihre Bildungsarbeit schon seit Jahren hauptsächlich auf Betriebsräte zuschnitten, während sie die politische Bildung stark vernachlässigt hätten. Schmitthenner mahnte auch hier den Mut zu Visionen an und schlug vor, beispielsweise Konzepte zur Wirtschaftsdemokratie zu diskutieren und die Verteilungsfrage stärker ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu stellen.
In der anschließenden Diskussion wurde das Thema Arbeitsverkürzung intensiv erörtert. So waren sich die bei IG Metall und ver.di organisierten Teilnehmer der Veranstaltung einig, dass Arbeitszeitverkürzung und Leistungsbeschreibung des Arbeitsplatzes zwei Seiten einer Medaille sind. Viele Lohnabhängige sähen den erhöhten Leistungsdruck, oft aus Mangel an Einsicht in die tatsächlichen Ursachen, als direkte Folge der Arbeitsverkürzung an. Insofern muss eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit stets im Zusammenhang mit Gesundheitsbelastungen diskutiert werden, zumal im Zusammenhang mit Veröffentlichungen zu Phänomenen wir „Burn Out“ und zur Zunahme psychischer Erkrankungen dafür gegenwärtig ein Bewusstsein vorhanden ist. Dies bietet auch die Chance, gegen die Rente mit 67 zu mobilisieren. In Branchen mit körperlich und psychisch stark fordernden Tätigkeiten halten Beschäftigte kaum bis zum regulären Renteneintrittsalter durch. Sie würden auch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei entsprechender „Leistungsbeschreibung“ als Maßnahme zum Gesundheitsschutz ansehen und wären bereit, dafür zu kämpfen. Wie Horst Schmitthenner berichtete, hat „Arbeit, die nicht krank macht“, jüngst in einer Umfrage unter 47.000 Beschäftigten den höchsten Zustimmungswert erhalten.
Volker Metzroth legte Wert darauf, dass die DKP auch unbezahlt für das Unternehmen erbrachte Arbeit in der Freizeit und am Wochenende, erzwungene Teilzeit und die Geschlechtergerechtigkeit bei der Gestaltung der Arbeitszeit in die gewerkschaftliche und gesellschaftliche Debatte einbringt. Zur Thematik Arbeitszeitverkürzung sind demnächst Artikel in der UZ und Bildungsthemen für die Parteiarbeit vorgesehen.
Großes Interesse besteht im Gewerkschafts- und betriebspolitischen Forum der DKP Hessen an einer eingehenden Analyse des Charakters und der Zielsetzungen neuer sozialer Bewegungen. Die IG Metall hat eigens ein Verbindungsbüro für die Kooperation mit den sozialen Bewegungen eingerichtet. Auch ver.di und die Gewerkschaft NGG arbeiten mit Gruppierungen wie Attac, Greenpeace und Sozialverbänden zusammen. „Es besteht eine hohe Unzufriedenheit mit den demokratischen, sozialen und wirtschaftlichen Zuständen. Das ist ein Potenzial, das die linken Kräfte nutzen müssen“, forderte Schmitthenner.
Ein weiteres, durchaus kritisch beleuchtetes Thema waren gewerkschaftliche Projekte, wie etwa „Gute Arbeit“. Während in einigen Redebeiträgen der eher nichtssagende und wenig kämpferische Titel solcher Kampagnen kritisiert wurde, erläuterte Horst Schmitthenner, dass der IG Metall-Bezirk Frankfurt am Main unter der Überschrift „Gute Arbeit“ eine umfassende Diskussion über Arbeits- und Gesundheitsschutz, Bezahlung und inhaltlich interessante, die Persönlichkeit fördernde Arbeit initiieren will. Diese Diskussion soll auch genutzt werden, um die Sozialversicherungen zu verteidigen und eine Abschaffung von „Hartz IV“ zu verlangen.
Die Teilnehmer des Gewerkschafts- und betriebspolitischen Forums der DKP Hessen waren sich einig darüber, dass es Aufgabe der DKP ist, „ sich mit den Konzepten für einen sozial-ökologischen Umbau und wirtschaftsdemokratischen Konzeptionen als Schritte auf dem Weg zur Überwindung des Kapitalismus solidarisch auseinanderzusetzen“, wie Falk Prahl formulierte. Auf diesem Weg muss auch die Umverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums im Blick bleiben. Hier wird die kommende Tarifrunde der Metallbranche im Frühjahr 2012 spannend, denn während Horst Schmitthenner darauf drängt, sich nicht mit der Abschöpfung des verteilungsneutralen Spielraums zufrieden zu geben, ist aufgrund der jüngsten Wirtschaftsprognosen mit einer neuen „Jammerrunde“ seitens der Arbeitgeber zu rechnen.
Text: Christine Kessler Foto: Frank Prahl