19.10.2011: Unter dem Titel „Kurswechsel: Gemeinsam für ein Gutes Leben“ hielt der wiedergewählte Erste Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, seine Grundsatzrede, die als Zukunftsreferat bezeichnet wurde. Wichtige Punkte behandelte Huber dort, wie z. B. die Jugendarbeitslosigkeit und Bildungsmisere, die Zunahme von prekären und ungeschützten Arbeitsverhältnissen, in dessen Zusammenhang er zu Recht fragt: „Was ist das für eine zynische Ökonomie, in der Leiharbeit nicht mehr unter Personalausgaben, sondern unter Materialeinkauf verbucht wird?“. Er benannte den wachsenden Arbeitsstress und psychische Erkrankungen, die Notwendigkeit von Arbeitszeitkonten und einiges mehr. Doch eine grundlegende Analyse der Wirtschaft- und Finanzkrise, ihrer Ursachen und gewerkschaftlichen Konsequenzen daraus blieb aus. Stattdessen wimmelt es nur so von Allgemeinplätzen über diese dramatisch anwachsende große Krise, aus denen er schwammige Forderungen ableitet.
So behauptet Huber: „Die Epoche des rücksichtslosen Shareholder-Kapitalismus ist gescheitert“ und fordert darüber eine gesellschaftliche Debatte und will gemeinsam mit der Bundesregierung (?) ein großes Projekt über eine „Neue Kultur der Arbeit“ auflegen. Huber betonte, dass Finanzmärkte gebraucht werden, aber reguliert werden sollten. Wie dies geschehen kann zeige die erfolgreiche „Krisenintervention 2008/2009“, wo auf Vorschlag der IG Metall die Kurzarbeit verlängert wurde und eine Abwrackprämie für Altautos eingeführt wurde. Ungenannt bleibt von ihm, dass gerade dieses von der Gewerkschaft geduldete jahrelange Lohndumping in Deutschland, die Exportwalze der deutschen Industrie ermöglichte, die die anderen europäischen Länder überschwemmte und mit zu ihrer Schuldenkrise führte. Aus dieser erfolgreichen „Krisenintervention“ leitet Huber die Forderung an die Unternehmer ab, „eine Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung, ganz besonders bei Sanierungskonzepten, bei Betriebsänderungen, bei Beschäftigungssicherung, beim Recht auf externe Beratung, bei Leiharbeit und Werkverträgen“, analog dem VW-Gesetz. Auch hierbei macht sich bitter bemerkbar, eine gründliche Krisenanalyse fehlte. Er verkennt, dass die Politik- und Wirtschaftseliten in Europa seit geraumer Zeit darüber diskutieren, dass jetzt der günstige Moment gekommen sei, um mit den letzten Resten von Sozialstaat aufzuräumen, dass die Krise den Widerstandsgeist so weit aufgeweicht hat, dass sie jetzt endlich durchziehen können.
Wie Huber vor dem Hintergrund, dass in der Krise die ständige Verschlechterung der Masseneinkommen und die gigantische Ansammlung von Reichtum in den Händen weniger zunimmt, wo die enorme Ungleichheit von Einkommen und Vermögen gleichermaßen für ein ständiges Anschwellen der Geldvermögen der Reichen ist, die mit ihren Finanzmassen in die Finanzmärkte drängen, stets auf der Suche nach höchstrentablen „Finanzinnovationen“, davon sprechen kann, das „Kriterium ist nicht die Eigentumsfrage“, ist nicht mehr nachvollziehbar. Er will die Marktwirtschaft mit gesellschaftspolitischen Zielen verbinden. Eine „Marktwirtschaft“ in der die galoppierende Verschuldung der Staaten durch die „Rettung“ der Finanzinstitute und der Konjunkturen im Gefolge der Krise in eine Dimension geriet, die selbst die reichsten Staaten in die Nähe der Insolvenz rückt. Es ist bei Huber das alte Konzept der Sozialpartnerschaft, des Klassenkorporatismus, von der Gemeinschaft der Interessen über Klassenunterschiede hinweg, was den Gewerkschaften schon immer die Hände zum Handeln gebunden hat. Da hebt sich schon wohltuend die Aussage vom gewählten geschäftsführenden Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban ab, der in seinem mündlichen Rechenschaftsbericht sagte: „Ein Gesellschaftsmodell, das weltweit die Existenz von Millionen riskiert, um die Vermögen von Millionären zu mehren, und das Arbeit und Natur ausbeutet, anstatt mit der ungeheuren Produktivkraft der Menschen Wohlfahrt und Nachhaltigkeit zu fördern, ein solches Modell kann nicht, es darf nicht das letzte Wort der Geschichte sein. Wenn die Geschichte das vergessen haben sollte, dann ist es unsere Aufgabe, sie daran zu erinnern – mit Worten und mit Taten. Auch daran will ich weiter arbeiten.“ (Anhaltender starker Beifall)
Der Delegierte Jürgen Brandes betonte schon in der Diskussion zu den Rechenschaftsberichten, auf dem Gewerkschaftstag kritisch über die geleistete Arbeit zu diskutieren. Vier Themen benannte er: „Und zwar erstens die Durchlässigkeit für eine bessere Bildung von Arbeiter- und Angestelltenkindern unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft. Das zweite Thema ist das ewige Ringen um Arbeitsplätze, um sichere Arbeitsplätze, um damit eine Zukunftsperspektive für jeden zu haben. Das dritte Thema ist die ewige Auseinandersetzung um den Lohn und den Versuch, die Umverteilung zu unseren Gunsten zu verändern. Das vierte Thema ist der Kampf um die Arbeitszeit, damit das Leben lebenswerter ist.“ Und fragt: „Haben wir dort Erfolge zu verzeichnen?“ Er führte die Fakten aus, wie die Gewerkschaften in diesen Fragen „Federn lassen musste“ und schlussfolgerte zu Recht: „Sind wir nicht allzu sehr bereit, auf den Einsatz unserer kollektiven Stärke zu verzichten? Eine zu schnelle Rücksichtnahme auf die zu erwartende wirtschaftliche Entwicklung, sollte sie schlechter werden, hindert uns selbst an aktiver Gegenwehr. Laut dem statistischen Taschenbuch ist festzustellen, dass in den letzten Jahren die Zahl der durch Arbeitskämpfe ausfallenden Tage dramatisch gesunken ist, fast null ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nutzen wir diesen Gewerkschaftstag zur kritischen Diskussion. Eine weitere Chemisierung unserer Gewerkschaft darf es in unserem Interesse nicht geben. Wir sind nur unseren Mitgliedern verpflichtet.“ Mit keinem Wort geht Bertold Huber in seinem „Zukunftsreferat“ auf die für die Gewerkschaften so wichtige Friedensfrage ein. Diskussion gab es dazu jedoch in der Antragsberatung, wo der Rückzug der Bundeswehr aus allen Kampfeinsätzen beschlossen wurde. Ebenso wurde gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern und den Ausbau der Bundeswehr als Interventionsarmee votiert, wie auch Anträge zu Bundeswehr raus aus den Unis, Schulen, Berufschulen und Arbeitsämtern angenommen wurden.
Einstimmig wurde ein Initiativantrag beschlossen, in dem es heißt: „Wir überbringen den US-amerikanischen Bürgern, die unter dem Motto ‚Occupy Wallstreet’ für einen Kurswechsel zu einem Guten Leben demonstrieren, unsere solidarischen Grüße. Euer Kampf ist auch unser Kampf! Die weltweite Solidarität von Millionen Menschen kann die Macht der Finanzmärkte und Millionäre brechen.“
Text: Wolfgang Teuber (Vorabdruck aus der UZ vom 21.10.11) Foto: IG Metall