27.08.2011: Pflegekräfte der Alpenland Pflegeheime Berlin GmbH & CoKG traten am 18. August an drei Standorten von Marzahn- Hellersdorf in einen unbefristeten Vollstreik. Die Geschäftsführung verweigert den Abschluss eines seit sieben Jahren angemahnten Tarifvertrags. Er soll im gleichen Betrieb bei gleicher Arbeit für gleichen Lohn und weniger Stress sorgen. Die Einrichtungen in Steglitz-Zehlendorf und auch die Baden- Württemberger Häuser des Konzerns sind tarifgebunden, während die Beschäftigen im Ostteil Berlins immer noch um den Anschluss an das Tarifniveau ihrer Westkollegen kämpfen. In den Ost-Berliner Einrichtungen gab es bereits im Dezember 2010 einen Warnstreik. „Für uns ist es völlig unverständlich, warum Alpenland den Abschluss eines Tarifvertrages blockiert. Schließlich gibt es ein Gerichtsurteil, dass Tarifverträge immer als wirtschaftlich zu betrachten und über die Pflegesätze zu refinanzieren sind“, erklärte ver.di-Verhandlungsführerin Meike Jäger.
Gleichzeitig skandalisierte sie angesichts der aktiven Streik-Mitwirkung von etwa 35 Prozent der Beschäftigten, dass die gleichzeitig angebotenen Verhandlungen über Pflege aufrechterhaltende Notdienste vom Arbeitgeber in unverantwortlicher Weise abgelehnt wurden. Dies geschah sowohl in den Gesprächen am 18. als auch am 19. August. Die Geschäftsleitung habe die Streikleitung auf die jeweils zuständigen Heimaufsichten verwiesen. Diese sind angewiesen, gegenüber dem Personal die Gewährleistung der vollen Pflegestandards durchzusetzen. Ein Erzwingungsstreik unter solchen Bedingungen ist aber nicht denkbar. „Damit liegt das Risiko einer Unterversorgung der Bewohner/innen beim Arbeitgeber“, so Jäger. Trotzdem sei ver.di für eine tatsächliche Notdienstregelung weiter verhandlungsbereit.
Eine Pflegehelferin verdient bei Alpenland in Ostberlin auf einer 30-Stunden- Stelle gerade einmal 1 105 Euro brutto monatlich. Sie muss aber unter Zeitdruck im Drei-Schicht-Dienst körperlich und psychisch schwere Fließbandarbeit leisten – bei voller Verantwortung für hilfebedürftige Menschen, teilweise 90 Jahre und älter. Stress und Hektik können dabei beide Seiten nicht brauchen – doch sind sie an der Tagesordnung. „Wir haben den Beruf des Altenpflegers gewählt, weil wir eine sozial wichtige Arbeit machen wollen“, heißt es im verteilten Flugblatt aus dem Berlin- Brandenburger ver.di-Fachbereich 3. „Unserer Auffassung nach haben es alte Menschen verdient, Tag für Tag nicht nur satt, sauber und sediert’ in einem Bett herumzuliegen.“ Es geht sowohl um eine ganzheitliche Pflege als auch um vernünftig geregelte Arbeitsbedingungen und eine Bezahlung, von der die Beschäftigten auch leben können.
Am 19. August blieben zur Abschlusskundgebung ihres Protestmarsches im Ostberliner Bezirk Marzahn- Hellersdorf die Streikenden an einer belebten Einkaufszone zwar weitgehend unter sich. Dennoch nutzten zwei Politikerinnen aus der Partei „Die Linke“ und aus der SPD – die Koalitionsparteien möchten im September wiedergewählt werden – die Gelegenheit zu öffentlicher Solidarisierung. Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Partei „Die Linke“) bestärkte die Streikenden in ihrem Mut, „Alpenland“ zu einem Tarifvertrag in den „bezirkswichtigen Einrichtungen“ zu zwingen. Es könne nicht sein, dass sich der bundesweit aufgestellte Konzern (immer noch) „auf Kosten der Ost- Beschäftigten bereichert“. Am Samstag, den 27. August nutzen die Streikenden eine Wahlkundgebung der SPD in Marzahn, um auf ihre Streikaktion aufmerksam zu machen. So musste sich auch Iris Spranger, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Finanzen, und der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit der Diskussion stellen. Beide nutzten die Gelegenheit, sich mit den Streikenden zu solidarisieren.
Auf UZ-Nachfrage wies ver.di-Gewerkschaftssekretär Michael Musall darauf hin, der konkurrierende „Kursana“-Konzern verfahre mit sogenannten Ost-Entlohnungen in mehreren Pflegeeinrichtungen Marzahns nicht anders. „Kursana“ versuche auch damit bundesweit seine Position als aufgestiegener Branchenführer zu verteidigen. Für eine Entwicklung dagegen halte leider der gewerkschaftliche Organisationsgrad unter den Beschäftigten in Marzahn nicht Schritt. Auf Dauer hält Musall auch bei „Kursana“ Arbeitskämpfe für unvermeidbar.
Text: Hilmar Franz (aus der UZ vom 26.08.2011) Fotos: mami