23.02.2011: Die Tarifrunde bei VW erbrachte nach drei Verhandlungsrunden eine Erhöhung der Monatsentgelte von 3,2 %, bei einer Laufzeit von 16 Monaten. Zusätzlich erhalten die Beschäftigten für die Monate Februar bis einschließlich April 2011 ein Prozent ihres Jahresentgeltes - mindestens jedoch 500 Euro. Die Ausbildungsvergütungen erhöhen sich entsprechend der prozentualen Anbindung. Bei Beginn des Ausbildungsverhältnisses erhalten Auszubildende einen einmaligen Lernmittelzuschuss in Höhe von 150 Euro.
Die Mitglieder der DKP Betriebsgruppe bei VW und einige Kollegen befassten sich mit diesem Ergebnis auf ihrer Gruppensitzung in der letzten Woche. Es war eine kritische Diskussion zur Einschätzung der Tarifrunde. Bis tief in die Abendstunden, wurde den Fragen nach gegangen: Wie ist die Stimmung in der Belegschaft nach dem Abschluss? Warum kam es nicht zur Mobilisierung der Beschäftigten und welche Rolle spielte die IG Metall bei der Vorbereitung und Durchführung?
Ein Kollege aus dem Bereich Logistik des VW-Werkes in Braunschweig kritisierte die dilettantische Vorbereitung der Tarifrunde von Seiten der IG Metall. "Da wurden die Vertrauensleute aufgefordert, die Kollegen zu befragen ‚Was wollt ihr?'. Dann lag eine Forderung von 6 bis 8 Prozent auf dem Tisch und nach nur drei Verhandlungsrunden schließt die IG Metall mit 3,2 Prozent ab. Das ist eine Pleite. Oder besser gesagt: Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet."
Das unterstrich der Genosse aus dem Bereich der Vorderachse. Keiner sei mit dem Ergebnis zufrieden. "Die Kollegen haben mehr erwartet. Wir fahren über Jahre enorme Mehrarbeit, wir haben alle damit gerechnet, dass es zu einem Abschluss nicht unter 4 Prozent kommt. Die Enttäuschung unter der Belegschaft ist groß." Sauer aufgestoßen sei außerdem die Einmalzahlung. Die, die mehr verdienen bekommen auch noch mehr. Das ist ein Rückfall in alte Zeiten.
Das sah der Kollege aus der Tochtergesellschaft AutoVision etwas anders. Es sei ein Erfolg, dass die ausgehandelten Beträge für die AutoVision eins zu eins übernommen wurden. "Das erhöht den Zusammenhalt. Was bei VW passiert, passiert auch bei uns, so das Gefühl der Kollegen". Aber man habe schon den Eindruck bekommen in der Verhandlungsrunde, dass alles vorher abgesprochen war. Ansonsten sei die Stimmung in der AutoVision schlecht. "Keine 50 Meter neben uns machen die VW Kollegen, mehr oder weniger die selbe Arbeit wie wir und bekommen fast das Doppelte bezahlt. Das führt zu Frust."
"Ja können die nicht rechnen?"
Aus dem VW-Werk Wolfsburg berichtete ein Genosse von der IG Metall Ortsratssitzung, die in Vorbereitung der Tarifrunde stattfand. Dort hat schon im Vorfeld ein Mitglied der IG Metall Verhandlungskommission die 4 vor dem Komma als zu hoch bezeichnet und die Braunschweiger Kollegen für ihre zu hohen Forderungen kritisiert. Eine Genossin zitierte in diesem Zusammenhang die Überschrift aus der Frankfurter Rundschau zu dem Ergebnis: "Üppig ist anders". "Da reden alle von 3,2 Prozent. Ja können die nicht rechnen? Bei einer Laufzeit von 16 Monaten sind das 2,4 Prozent aufs Jahr gerechnet. Und dann so ein Abschluss, bei einem Betrieb, der am besten gewerkschaftlich organisiert ist, wo die Gewinne nur so sprudeln? Das ist, in den letzten Jahren, Reallohnverlust, wenn man die Preissteigerungen und die Inflationsrate bedenkt." Sie kritisierte scharf die IG-Metall-Sekretäre, die davon reden, dass "wir" wettbewerbsfähig bleiben müssen. "Wenn wir das Argument der Wettbewerbsfähigkeit akzeptieren, dann sind solche Abschlüsse nur eine logische Folge. Es ist eh schon schwer bei VW die Kollegen bei Tarifverhandlungen hinterm Ofen hervor zu bekommen. Wenn sie dann noch nicht mal mit einbezogen werden in die Tarifverhandlungen, brauchen wir uns darüber nicht zu wundern."
Der Kollege aus dem Bereich Logistik kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Beratungen im stillen Kämmerlein durchgeführt wurden. Er gab zu bedenken: "Die Personalkosten bei VW machen höchstens 14 Prozent aus, da fällt doch so eine Lohnerhöhung kaum ins Gewicht." Ein Genosse, der Mitglied im Betriebsrat ist, sagte dazu: "Wir hatten drei Forderungen, 6 Prozent mehr Lohn, 12 Monate Laufzeit und keine Einmahlzahlung. Nach drei Verhandlungsrunden kommt so ein Ergebnis raus. Wenn die IG Metall mit einer 6- Prozent-Forderung in die Verhandlung reingeht, muss sie auch um 6 Prozent kämpfen. Ich weiß, ein Teil der Vertrauensleute hat dieses Ergebnis akzeptiert, aber viele Vertrauensleute fühlen sich einfach nur verarscht."
Ausdruck des "kooperativen Konfliktmanagements"
"Für uns Auszubildende ist das Ergebnis 1 A. Ein Büchergeld in Höhe von 150 Euro und eine Einmalzahlung in der Höhe von 200 Euro, das hat es noch nicht gegeben. Sicherlich, die Schichtkollegen wollten mehr. Es wäre sicher besser gewesen Festbeträge zu fordern, damit die oberen und unteren Löhne nicht noch weiter auseinander differieren."
Ein weiterer Genosse aus dem Betriebsrat betonte, dieses Verhandlungsergebnis sei Ausdruck der VW-Kultur des sogenannten "kooperativen Konfliktmanagements". "Seit 1978 gab es keine Urabstimmung mehr und wer kann sich noch an Warnstreiks im Rahmen der Tarifverhandlungen erinnern? Wir bekommen zwar die Kollegen gegen die Übernahmeversuche von Porsche oder gegen den von der Bundesregierung betriebenen Sozialabbau vor das Tor, aber es gibt keine Kultur der Auseinandersetzung bei den Tarifrunden. Hinzu kommt, wir haben 6 VW-Werke und hatten 6 verschiedene Forderungen. Das macht die gemeinsame Mobilisierung so schwer. Außerdem argumentierte der VW-Vorstand, dass er schon einen Erfolgsbonus in Höhe von 10 Prozent des operativen Ergebnisses bezahlt und ebenfalls eine leistungsorientierte Vergütung von 100 Euro. Der VW-Vorstand hat in seiner Planungsrunde 300 Millionen Euro für die Tariferhöhung vorgesehen. Wenn man diesen Rahmen nicht akzeptiert, muss man kämpfen. Es wäre auf jeden Fall besser gewesen, zuerst die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen zu diskutieren, statt sofort die Vertrauensleute loszuschicken, um die Belegschaft zu Fragen ‚Was wollt ihr denn haben?'. Man kann nicht die Erwartungshaltung hochtreiben und dann auf halber Strecke stehen bleiben. Das richtet sich dann gegen den Betriebsrat und die IG Metall. Das war eine dilettantische Vorbereitung der Tarifrunde."
"Die leistungsorientierte Vergütung führt zur Entsolidarisierung und wird systematisch genutzt um die Kollegen gegeneinander auszuspielen", wandte der Genosse aus Wolfsburg ein. "Die IG Metall muss sich davon lösen. Und überhaupt, warum führen wir bei VW immer separate Tarifrunden und nicht gemeinsam mit den anderen Belegschaften in der Metallindustrie? Dieser Abschluss durchbricht nicht die Entwicklung der letzten 10 Jahre, die von Reallohnverlusten geprägt ist. Wir müssen doch beachten, wie die Lebensmittelpreise und die Inflation steigen. Dieses Land konkurriert die anderen EU-Länder kaputt. Selbst der EGB-Vorsitzende Monks hat davon gesprochen, dass die deutschen Gewerkschaften ihrem tarifpolitischen Anspruch nicht gerecht werden."
"Unsere Vorstellungen in die DGB Jugend- Initiative einbringen"
"Ich finde die Tarifrunden mittlerweile sau kompliziert", sagte die Genossin. "Für die Kollegen sind sie inhaltlich kaum noch nachvollziehbar. Und deinen Vorschlag gemeinsam mit der Fläche zu verhandeln, halte ich für problematisch. Da hast du Leiharbeiter und Beschäftigte der Zulieferindustrie, denen das Wasser bis zum Hals steht. Und auch dort ist doch unsere klassische Lohnforderungsformel, Inflationsausgleich plus Produktivitätssteigerung plus Umverteilungskomponente vollkommen vergessen. Das Problem ist, wenn das Instrument Tarifrunde immer stumpfer wird, dann leidet zusehends das Ansehen der Gewerkschaften. So entwickeln wir kein Bewusstsein, keine Stimmung bundesweit für höhere Löhne. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir in solchen Tarifrunden eine Bewusstseinsentwicklung unter den Kolleginnen und Kollegen erreichen können und wir müssen hier diskutieren welche Rolle unsere Betriebszeitung der ‚Rote Käfer' dabei spielt."
Über die Rolle der Gewerkschaften wird auch unter den Auszubildenden stark diskutiert, betonte der junge Azubi. "Wir werden jetzt drei Anträge an die Bundesjugendkonferenz stellen, in denen dieses Gesellschaftssystem hinterfragt wird. Die DGB-Jugend startet jetzt die Initiative ‚Wie wollen wir leben?'. Also ein 21 Schichtensystem gehört sicher nicht zum ‚Guten Leben'. In diese Diskussion um die Perspektiven der Jugend müssen wir uns doch mit unseren Vorstellungen einbringen. Die Frage ist doch, wie bringt sich die DKP in diese Aktion ein?"
Text: Wolfgang Teuber (Vorabdruck aus der UZ vom 25.2.2011)