08.04.2019: Erneuter Mord an einem Mitglied der MLP [1]
Interview mit Thelma Cabrera
02.04.2019: Am 16. Juni wird in Guatemala gewählt. Erstmals tritt die aus der Landarbeiterorganisation CODECA hervorgegangene Partei "Bewegung für die Befreiung der Völker" MLP zur Wahl an. Sie hat Kandidat*innen für den guatemaltekischen Kongress, das Zentralamerikanische Parlament und zahlreiche lokale Mandate wie Bürgermeisterämter aufgestellt. Die Wahl findet in einem Klima der Repression statt.
Kurz nach der Einschreibung wurde Willi Rene de Paz, Bürgermeisterkandidat der MLP im Peten, von zwei unbekannten Männern durch drei Kopfschüsse getötet. Dies war der achte Mord an einem Mitglied von CODECA seit Jahresbeginn. Seit dem 19. März ist Ivone Mazariegos, Mitglied der MLP und Schwiegertochter des MLP Bürgermeisterkandidaten für den Ort San Andres Villaseca im Departamento Retalhuleu spurlos verschwunden, Zeugen berichten von zwei Kleintransportern, die sie in der Nähe des Ortes ihres Verschwindens gesehen hatten.
Thorben Austen sprach mit Thelma Cabrera, Vorsitzende von CODECA und Präsidentschaftskandidatin der MLP
Frage: Am 16 Juni wird in Guatemala gewählt. Voraussichtlich treten bis zu 30 Parteien an, davon zwölf erstmalig. Sie kandidieren für die MLP, die "Bewegung für die Befreiung der Völker". Die Partei wurde im März 2016 aus der Landarbeiterorganisation CODECA gegründet und versteht sich als Instrument der sozialen Bewegungen. Was sind ihre Ziele?
Thelma Cabrera: In Guatemala ist der Großteil der Bevölkerung, insbesondere der indigenen Völker, ausgegrenzt, vom nationalen Reichtum und politischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Alle Vorschläge die CODECA gemacht hat wurden von der herrschenden Politik ignoriert, stattdessen werden wir kriminalisiert und als „Terroristen“ beschimpft. Daher hat CODECA zusammen mit anderen sozialen Bewegungen beschlossen die Sache selbst in die Hand zu nehmen und mit der MLP ein politisches Instrument gegründet. Die konkreten Ziele der MLP sind Nationalisierung aller privatisierten Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, ein plurinationaler Staat, Autonomieregelungen für die indigenen Völker, Verteidig unserer Territorien und die Einleitung eines Prozesses einer verfassungsgebenden, plurinationalen Nationalversammlung. Des weiteren wollen wir die Gehälter der Abgeordneten und der höreren Staatsangestellten entscheident reduzieren, bis dahin werden unsere Abgeordneten den Großteil ihres Gehaltes für politische Aktivitäten verwenden, um unseren Kampf weiter voranzubringen.
Frage: Sie sprechen von einem Plurinationalen Staat. Was meinen Sie damit konkret?
Thelma Cabrera: Wir haben in Guatemala 22 Sprachen und vier Völker, Mayas, Garifunas, Xinkas und Mestizen. Alle diese Völker müssen mit ihrer Kultur, ihrer Sprache etc. in der guatemaltekischen Verfassung und in der Politik berücksichtigt werden.
Frage: Sie fordern in ihrem Programm das "Gute Leben" (Buen Vivir). Können Sie diesen Begriff näher erläutern?
Thelma Cabrera: Das "Gute Leben" meint, neben den Rechten der Menschen auch die Rechte der Natur, der "Madre Tierra", des Wassers etc. zu berücksichtigen. Wir setzen uns ein für den Erhalt der Umwelt, die Verteidigung unserer Territorien gegen Bergbaugesellschaften, andere Grossprojekte und exportorientierte Monokulturen wie grossflächige Zuckerrohrplantagen oder die Palma Africana, wir wollen eine saubere Umwelt, eine Landwirtschaft die unsere Ernährung sicher stellt und gesundes Essen, das nicht kontaminiert ist. Wir vermeiden die Begriffe Wachstum und Entwicklung, wenn damit nur die materielle Steigerung des Lebensstandard gemeint ist. Das Territorium Guatemalas ist begrenzt, die Bevölkerung wächst. Guatemala ist kein armes Land, es verfügt über vielfältige natürliche Ressourcen, kein guatemaltekisches Kind bräuchte zu hungern, in der heutigen Realität sind aber 70% aller Kinder auf dem Land chronisch unterernährt.
Frage: Warum eine neue Partei? War es keine Option zum Beispiel in der ehemaligen Guerillaorganisation Vereinigte Nationale Revolutionäre Guatemalas (URNG) oder deren Abspaltung Convergenzia (Konfergenz für eine demokratische Revolution) mitzuarbeiten? Zur nächsten Wahl kandidieren gleich mehrere linke Parteien jeweils mit eigenen KandidatInnen.
Thelma Cabrera: Wir haben die URNG immer mit Respekt gesehen und als CODECA auch mit der URNG zusammengearbeit, viele GenossInnen von CODECA waren selbst Mitglieder der URNG. Aber in den letzten Jahren hat sich die URNG immer weiter von den sozialen Bewegungen entfernt, ihre Abgeordneten sind im Kongress teilweise auf einer Linie mit der Rechten. Wir wollen das Problem an der Wurzel angehen, einen strukturellen Wandel in Guatemala erreichen als politische Partei, aber als Instrument der sozialen Bewegungen.
Frage: Viele Mitglieder von CODECA wurden ermordet oder kriminalisiert. Befürchten Sie, dass die Repression und die Gewalt mit Blick auf den Wahlkampf weiter zunehmen wird?
Thelma Cabrera: Die Gewalt begegnet uns täglich. Spätestens seit 2012 werden unsere Mitglieder ermordet, kriminalisiert, ins Gefängnis geworfen und wir danach als „Terroristen“ bezeichnet. Mit der Gründung der MLP hat das noch zugenommen. Im letzten Jahr, in der Gründungsphase der MLP, gab es innerhalb von zwei Monaten sieben Morde, unter anderem an unserem Genossen Luis Marroquin und sechs MenschenrechtsverteidigerInnen von CODECA. Aktuell in der vergangenen Woche gab es zwei weitere Verbrechen, nur wenige Tage nach Einschreibung unserer KandidatInnen in der Wahlbehörde gab es am 17. März den Mord an einem Genossen im Peten, und seit dem 19. März ist unser Mitglied Ivone Mazariegos spurlos verschwunden. Sie ist die Schwiegertochter unseres Kandidaten für das Bürgermeisteramt in der Gemeinde San Andres Villaseca im Departamento Retalhuleu, dem Departamento in dem CODECA gegründet wurde und wir unsere stärkste Basis haben. Ivone Mazariegos ist Krankenschwester und verschwand spurlos um die Mittagszeit am 19. März auf dem Rückweg von ihrer Arbeit.
Frage: Sie sprachen von einer Zunahme der Repression seit 2012, also seit dem Amtsantritt von Otto Perez Molina?
Thelma Cabrera: Ja, Otto Perez Molina - Präsidenten der Republik Guatemala von 2012 bis 2015 - war ein Militär, der selbst als Offizier im Bürgerkrieg in Verbrechen verstrickt war. Sein Nachfolger Jimmy Morales hat persönlich zwar keine militärische Vergangenheit, aber seine Partei FCN wurde von Exmilitärs gegründet. Morales hetzerische Reden gegen CODECA und andere soziale Bewegungen können als Aufforderung für neue Morde verstanden werden. Die Morde werden von staatlicher Seite kaum untersucht und eigentlich nie aufgeklärt.
Thelma Cabrera ist Spitzenkandidatin der MLP für das Amt des guatemaltekischen Staatspräsidenten, Vorsitzende von CODECA und gehört zur Mam-Volksgruppe der Maya
Das Interview führte Thorben Austen, Quetzaltenango
Fotos: https://www.facebook.com/ComitedeDesarrolloCampesino/
Erneuter Mord an einem Mitglied der MLP.
Sie ermorden uns weiter wegen der Ausübung unserer politischen Rechte.
Pressemitteilung der Bewegung für die Befreiung der Völker (MLP)
Hermil Leonel Najera Trigueros wurde am 8.4.2019 gegen 9 Uhr morgens im Landkreis de la Libertad, Peten ermordet. Er war Mitorganisator der Wahlkampagne in seinem Landkreis. Najera Trigueros wurde 42 Jahre alt, er verdiente seinen Lebenunterhalt als Fernfahrer und war Vater eines Kleinkindes. Er wurde durch 6 Schüsse auf dem Sandweg Caserio Vista Hermosa während der Ausübung politischer Aktivitäten für die Wahlkampagne ermordet.
Das ist der zweite Mord an einem Mitglied der MLP im Departamento Peten. In den drei Monaten der Existenz der MLP wurden drei Companeros ermordet, einer Kandidat auf lokaler Ebene und zwei aktive Mitglieder in der Wahlkampagne. Im letzten Jahr, in der Gründungsphase der MLP, wurden sechs zentrale Gründungsmitglieder ermordet. Keiner dieser Fälle wurde aufgeklärt.
Wir fordern von der Staatsanwaltschaft und der Wahlbehörde TSE diese Fälle der Repression gegen unser politisches Instrument aufzuklären und die Verantwortlichen mit dem Gewicht des Gesetzes zu bestrafen.
Sie werden uns niemals besiegen!
Zusammen vorwärts bis zur Befreiung unserer Völker
Schaffen wir einen Plurinationalen Staat
Guatemala, 09 April 2019
siehe auch