Interview mit Tassos Koronakis, Generalsekretär von SYRIZA
30.04.2015: Tassos Koronakis ist am 1. März dieses Jahres zum neuen Generalsekretär der griechischen Regierungspartei SYRIZA gewählt worden. Er ist ein enger Weggefährte von Ministerpräsident Alexis Tsipras, mit dem er schon 2003 an der Spitze der Jugend der damaligen Linksformation Synapsismos zusammengearbeitet hat. Er machte seine ersten politischen Schritte in der globalisierungskritischen Bewegung und gehörte um das Jahr 2000 herum zu den Gründern des griechischen Sozialforums. Nun hat er einer Sonderkorrespondentin der französischen kommunistischen Tageszeitung "Humanité“ in Athen erstmals ein längeres Interview gegeben. Da darin viele aktuelle Fragen behandelt werden, die auch in unseren Medien häufig eine Rolle spielen und überwiegend aus der Sicht der EU Oberen mit heftiger Kritik gegenüber Griechenland- und SYRIZA dargestellt werden, nachfolgend eine Übersetzung dieses interessanten Frage- und Antwortspiels.
Frage: Mehrere in den letzten Tagen in der griechischen Presse veröffentlichten Umfragen verweisen auf ein Abbröckeln der Unterstützung im Volk für SYRIZA. Fürchten Sie die Auswirkungen der von den europäischen Institutionen und dem Internationalen Währungsfonds gewählten Strategie des Sich-Totlaufenlassens?
Tassos Koronakis: Unmittelbar nach den Wahlen hat die Regierung eine enorme Unterstützung im Volk gehabt. Die Griechen hatten zum ersten Mal das Gefühl, dass die Regierung sich auf ihre Seite stellt,. Dann zogen sich die Verhandlungen in die Länge und wir haben die Verantwortung, diese Beziehung des Vertrauens mit dem Volk aufrechtzuerhalten. SYRIZA muss mit dem Ohr an der Gesellschaft bleiben, die Bürger informieren.
Frage: Finanzminister Yanis Varoufakis erklärt, dass das Szenario eines Austritts aus dem Euro im Fall des Scheitern der Verhandlungen kein Bluff sei. Macht die Idee des „Grexit“ ihren Weg?
Tassos Koronakis: Nach der Rede des Premierministers zur generellen Politik hat Yanis Varoufakis gewarnt: wenn man in eine Verhandlung dieser Natur eintritt, muss man sich auf das Schlimmste vorbereiten. Wir arbeiten von Beginn an unablässig daran, eine gegenseitig annehmbare Lösung zu entwickeln. Wir sind nicht in einer Logik der Konfrontation. Aber wir verweigern die Fortsetzung der Austeritätsprogramme, die das Land in eine humanitäre Krise gestürzt haben. Wir werden unsere Zusagen und unsere Pflichten gegenüber dem griechischen Volk auf den Buchstaben genau einhalten.
Frage: Steht mit der griechischen Frage die demokratische Natur des europäischen Projekts auf dem Spiel?
Tassos Koronakis: Welches Europa wollen wir entwerfen? Das ist der Kern des Problems. Von unserer Seite bringen wir Vorschläge für das Herauskommen aus der Krise vor, die es gestatten würden, auf den Weg einer demokratischen Konstruktion zurückzufinden. Unsere Gesprächspartner finden die von der griechischen Regierung erstellte Liste von Reformen „unvollständig“. Aber in Wirklichkeit findet diese Liste bei ihnen aus politischen Gründen keinen Gefallen. Es ist also sehr wohl die Frage der Demokratie gestellt.
Frage: Volksbewegungen, die die Austeritätspolitik in Frage stellen, bleiben vereinzelt in Europa. Ist das ein Hindernis für Sie?
Tassos Koronakis: Wenn unsere Gesprächspartner sich in den Verhandlungen mit uns so hart zeigen, dann weil Griechenland die Politik in Frage stellt, die sie überall in Europa durchsetzen wollen, Sie fürchten, dass andere Völker ihrerseits die Dogmen des Neoliberalismus anfechten. Es eröffnen sich echte Möglichkeiten, diese Bewegung gegen die Austerität in Spanien, in Italien, in Frankreich größer zu machen. Bei einer jüngsten Meinungsumfrage in Österreich haben 25 Prozent der Befragten geantwortet, dass sie bereit wären, für eine politische Formation wie SYRIZA zu stimmen.
Frage: Sie erwarten viel von den spanischen Wahlen im Herbst. Doch die Vorgehensweise von PODEMOS, die die Kluft zwischen links und rechts ablehnt, unterscheidet sich ziemlich von der Haltung von SYRIZA, die sich als eine radikale Linkspartei definiert.
Tassos Koronakis: Ein Sieg von PODEMOS in Spanien würde ganz Europa ein heilsames Aufatmen erlauben. Die Kluft zwischen links und rechts, wie man sie traditionell begriff, ist nicht mehr gegeben. Was nunmehr zählt, ist die Positionierung gegenüber dem Neoliberalismus, der eine zerstörerische Krise für die Völker aufrechterhält. SYRIZA ist die Vereinigung von unterschiedlichen politischen Strömungen und unabhängiger Geistern. Diese Partei vereinigt die radikale Linke, aber auch Grüne und Mitstreiter, die von der Sozialdemokratie gekommen sind. Wir wollen eine sehr breite Front bilden, um die neoliberalen Entscheidungen anzufechten und einem demokratischen und sozialen Europa Gestalt zu verleihen.
Frage: SYRIZA ist im Augenblick der Schauplatz sehr harter Debatten. Kann die Erfahrung der Machtausübung den Zusammenhalt der Partei gefährden?
Tassos Koronakis: Diese Spannungen sind nicht überraschend für jemanden, der unsere Kultur der demokratischen Debatte kennt. Die Konfrontation war übrigens sehr viel härter, als wir bei vier Prozent lagen. Wir sind uns sehr der Verantwortung bewusst, die auf unseren Schultern liegt. Es kommt nicht in Frage, die interne Debatte über den Inhalt der Politik, die von der Regierung verfolgt wird, zu ersticken. Wir ermutigen im Gegenteil die demokratische Diskussion, um die Regierung zu unterstützen, die Volksbewegung anwachsen zu lassen und Antworten zu entwickeln, die es ermöglichen, das Land aus dieser schweren Krise herauszubringen.
Frage: Griechenland ist mit dem Zufluss von Flüchtlingen konfrontiert, die vor den Kriegen im Nahen Osten fliehen. Was halten Sie von den Schlussfolgerungen der letzten EU-Ratstagung zu dieser Krise?
Tassos Koronakis: Die Festung Europa verweigert sich dem Problem an seiner Peripherie, wobei sie einen großen Druck auf die angrenzenden Staaten ausübt. Sie vermeidet es sorgfältig, nach den Gründen zu fragen, aus denen diese Flüchtlinge aus ihren Ländern fliehen. Wir können jedoch einer ernsthaften Diskussion über die Verantwortlichkeit Europas für das Chaos, das in Syrien, in Libyen, im Irak herrscht, nicht entziehen.
Humanité, 28.4.2015
Übersetzung: Georg Polikeit