10.10.2012: Der Marsch der Flüchtlinge begann am 8. September in Würzburg und hat nun Berlin erreicht, wo auf dem Orienplatz in Kreuzberg ein Camp errichtet worden ist. Die Flüchtlinge aus unterschiedlichen Herkunftsländern und verschiedenen Asyllagern kämpfen so für ihre Rechte, vor allem für die Abschaffung der Flüchtlingslager und der Residenzpflicht. Die UZ führte ein Interview mit Arash Dosthossein, Asylbewerber iranischer Herkunft und Mitorganisator der Flüchtlingsproteste.
UZ: Sie sind jetzt seit einem Monat mit dem „Refugee Protest March to Berlin“ unterwegs durch die Bundesrepublik und erreichen die Öffentlichkeit. Kannten sich die Teilnehmer untereinander schon vorher?
Arash Dosthossein: Einige schon, doch die meisten haben sich erst innerhalb der jeweiligen Route des Protestmarsches und bei deren Zusammentreffen vorige Woche kennen gelernt. Die Flüchtlinge kommen aus verschiedenen Ländern, sie gehören verschiedenen Religionsgemeinschaften an oder sind konfessionslos, und sie haben unterschiedliche politische Ansichten.
UZ: Eins Ihrer nächsten Ziele ist es, vor dem Bundestag zu demonstrieren. Welche Reaktion erwarten Sie?
Arash Dosthossein: Die Reaktion auf das, was wir dem deutschen Parlament zu sagen haben und dort übergeben, wird für uns nicht das entscheidende Ergebnis sein. Für die meisten Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, wird es immerhin einfacher, die grundsätzlichen Forderungen für unsere Rechte mit zu formulieren und in die Öffentlichkeit zu tragen. An der Art, wie wir durch Solidaritätsgruppen in Berlin und in vielen anderen Städten unterstützt werden, sehen alle, dass dies unsere eigentliche Stärke ist und nicht der Streik vor dem Parlament. Der ist nur ein Teil unserer Aktion.
UZ: Heißt das, dass Sie sich von einer zivilen Gesellschaft unterstützt fühlen?
Arash Dosthossein: Natürlich stehen wir mit der Zivilgesellschaft in Verbindung. Seit wir über eine Region hinaus streiken, haben uns viele engagierte Einzelpersonen unterstützt, oft sehr unabhängig von Organisationen. Sie helfen uns solidarisch. Antirassistische Initiativen und Gruppen, mit denen diese Einzelpersonen zusammenarbeiten, sind zwar nahe an den Problemen der Flüchtlinge, doch haben sie auch ihre eigene politische Ausrichtung. Wir betonen, dass alle unsere Entscheidungen von den Flüchtlingen selbst getroffen werden müssen und hoffen, dass die Unterstützer dies respektieren. Aus unseren täglichen Treffen entstehen Basisentscheidungen. Wir haben keine besonderen Sprecher und verstehen uns in einem gemeinsamen ständigen Prozess.
UZ: Praktizieren Sie mit Ihren Straßencamps und Ihrem Verständnis von Basisdemokratie möglicherweise ähnliche Widerstandsformen wie Occupy hier und weltweit gegen das „eine Prozent, das die Welt beherrscht“?
Arash Dosthossein: Natürlich sind Flüchtlinge und Runners nicht so weit davon entfernt, von diesem einem Prozent unterdrückt zu werden. Occupy ist eine soziale Bewegung, wie wir es auch sind, und ich kann mich persönlich damit identifizieren. Aber unser Kampf geht ausschließlich um die Rechte von Flüchtlingen.
UZ: Oft ist der Krieg in ihren Heimatländern daran schuld, dass Menschen von zu Hause weggehen. Sehen Sie eine Verbindung zwischen Flucht und Krieg?
Arash Dosthossein: Flucht und Krieg sind nicht allein in einem militärischen Sinn miteinander verbunden. Es gibt verschiedene Arten von Krieg. Krieg herrscht z. B. auch, wenn eine imperialistische Regierung Diktaturen unterstützt, die gegen revolutionäre Kräfte vorgehen. Auch international verabredete Sanktionen, die immer zuerst die Lebensgrundlagen der Menschen betreffen, bedeuten Krieg gegen die Bevölkerung. Wenn sich zum Beispiel die deutsche Regierung darum gekümmert hat, dass Siemens in Irak und in Afghanistan Fuß fassen konnte, dann muss ihr klargemacht werden, dass viele gerade deshalb inhaftiert, gefoltert oder ermordet werden, weil dafür die Siemenstechnologie für ein dichtes Überwachungsnetz ins Land geliefert wurde. Vom Krieg, von seiner Vorbereitung und seinen Folgen profitiert nicht bloß Siemens.
UZ: Zurück zum Protestmarsch. Was halten Sie von Aufmarschversuchen der Neonazis?
Arash Dosthossein: Sie sehen doch, wie viele Leute wir sind und wie wenige von ihnen sich an die Strecke der Karawane wagten. Wenn die Öffentlichkeit entschlossen genug ist, stellen Neonazis für uns nicht die Herausforderung dar.
UZ: Wir wünschen Ihnen Mut für die weiteren Aktionen und Erfolg.
Arash Dosthossein: Lassen Sie mich mit einem geflügelten Wort schließen: Es gibt einen Geist, der über Europa schwebt, und der verheißt, menschlich zu sein im 21. Jahrhundert.
Für die UZ fragte und übersetzte Elke Zwinge-Makamizile (Vorabdruck aus der UZ vom 12.10.12)
Foto: mami
Aufruf zur Demonstration zur Unterstützung des Protestmarschs der Flüchtlinge in Deutschland
Samstag, den 13. Oktober 2012, 15:00 Uhr
Oranienplatz Berlin
Abschlusskundgebung vor dem Bundestag
Wir, die streikenden Flüchtlinge des Protestzeltes am Oranienplatz in Berlin, laden alle Flüchtlinge, UnterstützerInnen und bewohnerInnen der Stadt ein, sich der Demonstration für ein menschenwürdiges Aufenthaltsrecht in Deutschland, für die Schließung der Asyllager und gegen Rassissmus, Abschiebung und Residenzpflicht anzuschließen.