27.11.2011: Malalai Joya stammt aus der Provinz Farah im Westen Afghanistans. Bei der Parlamentswahl 2005 war sie mit der zweithöchsten Stimmenzahl in dieser Provinz zur jüngsten Abgeordneten des afghanischen Parlaments gewählt worden. Doch im Mai 2007 wurde sie wieder ausgeschlossen - wegen ihrer scharfen Kritik an den 'Warlords' der Nordallianz, an Staatspräsident Karsai, und an der Kriegsführung der USA. Vier Anschläge auf ihr Leben hat sie überlebt. Deswegen war sie gezwungen, unter Personenschutz leben und alle zwei Tage ihren Aufenthaltsort wechseln - sie lebte wie ein Flüchtling im eigenen Land. Aus Anlass der 'Petersberg-II-Konferenz' beantwortete Malalai Joya einige zentrale Fragen des Widerstands in unserem Land:
Unsere Regierung begründet den Krieg in Afghanistan, damit, dass der Wiederaufbau abgesichert und die Frauenrechte geschützt werden müssen. Was ist da dran?
Zehn Jahre Besatzung und Krieg brachten nicht die geringste Verbesserung im Bereich des Wiederaufbaus und der Frauenrechte. Milliarden von Dollar wurden nach Afghanistan gepumpt und hätten aus Afghanistan ein Paradies machen können. Stattdessen verschwand dieses Geld in den Taschen der von den USA unterstützten brutalen Warlords und Fundamentalisten Afghanistans. Wiederaufbaumaßnahmen sieht man nur in den urbanen Zentren wie Kabul, Heart und Mazar-e-Sharif. Zudem werden die Baumaßnahmen im Bereich der Infrastruktur meistens mit qualitativ minderwertigen Baumaterialien durchgeführt und sind bereits nach mehreren Monaten wieder reparaturbedürftig.
Die US-Regierung hat nach eigenen Angaben über 55 Milliarden US Dollar in den Wiederaufbau von Afghanistan gesteckt, aber noch immer ist Afghanistan im Human Development Index (UN-Index der die menschliche Entwicklung weltweit misst und vergleicht) auf Position 181 von 182 Ländern gelistet, d.h. das mit am schlechtesten entwickelte Land der Welt. Afghanistan verfügt nach Angaben des Bergbauministers über Bodenschätze im Wert von rund 3 Mrd. US-Dollar. Aber bedingt durch die zweithöchsten Korruptionsraten der Welt würde die Einnahmen aus dem Abbau auch wieder nur in den Taschen von Regierungsvertretern und Warlords landen.
Afghanistan sieht sich gerade einem Desaster gegenüber, was die Frauenrechte angeht. Nicht nur das die Situation von Frauen sich in den letzten Jahren verschlechtert hat, nein, es ist sogar in vielen Provinzen schlimmer geworden als zu Taliban-Zeiten. Frauen werden vergewaltigt, entführt, ermordet, und mit Säuren angegriffen. Immer mehr Frauen und Mädchen versuchen diesem Elend durch Selbstmord zu entkommen, in den meisten Fällen durch Selbstverbrennung.
Erst kürzlich wurde ein 17jähriges Mädchen durch den Vorsitzenden des Regional Rates von Kunar vergewaltigt. Ein Neffe des Parlamentariers Qazi Kabir Marziban, Abdul Basir zwang ein Mädchen zur Heirat und schoss ihr nach der Heirat dreimal in den Kopf. Ein anderes Mädchen, Bibi Sanubar wurde erst kürzlich in der Provinz Badghis in aller Öffentlichkeit ausgepeitscht und dann dreimal in den Kopf geschossen.
Dies zeigt die Degradierung der Frauenrechte unter der Nato-Besatzung genau wie zu Taliban Zeiten. Frauen genossen weit mehr Rechte in den 1960er und 1970er Jahren denn heute.
Hat die NATO Demokratie nach Afghanistan gebracht? Wie bewertest du die Parlamentswahlen und die Regierung des Präsidenten Hamid Karsais?
In all den Jahren der Besatzung brachten die US/Nato-Truppen nur Krieg, Terror, Armut, Brutalität und Unsicherheit. Zu sagen, dass sie hier sind um uns Demokratie zu bringen, ist ein extrem schmerzhafter und zynischer Witz angesichts des ungebrochenen Leidens meines Volkes. Das einzige Geschenk das sie uns mitbrachten, war die 'Installierung' einer Reihen von berüchtigten mit Kriegsverbrechen beladenen Warlords und Kriminellen in den höchsten Rängen der Macht, die ihre brutalen Verbrechen gegen das afghanische Volk, insbesondere gegen Frauen fortsetzen. Sie werden bis heute von USA/Nato gepflegt und gehegt.
Die Parlamentswahlen und die daraus hervor gegangene Krise verursachten ein weiteres Drama für das afghanische Volk. Die westlichen Medien präsentierten die Wahlen wie ein sehr zentrales, wichtiges Thema für die afghanische Bevölkerung. Doch dem war nicht so. Die Parlamentswahlen hatten keine Relevanz für die afghanische Bevölkerung, die genug damit beschäftigt ist, im Dschungel von Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, Korruption und anderer Desaster zu überleben. Zudem war die Wahl eine Makulatur, keine Wahl, sondern eine bereits zuvor festgelegte Auswahl an Personen, ohne jede demokratische Legitimierung.
Karzai ist in den Augen meines Volkes ein Krimineller, denn er arbeitet zusammen mit den eingeschworenen Feinden Afghanistans, gegen Demokratie, gegen Freiheit, gegen Frieden und Unabhängigkeit. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte die Bevölkerung Hoffnung in ihn gesetzt. Doch diese Hoffnung erlosch schnell. Er verriet diese Hoffnungen, als er fortwährend Warlords unterstützte und ihnen hohe Positionen in der Regierung vermachte. Er ist schlussendlich nur ein Lakai der USA und folgt blind und devot ihren Anweisungen und Befehlen.
Welche Perspektiven siehst du für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in Afghanistan?
Bevor das fundamentalistische und kriminelle Regime nicht vollständig zerschlagen ist wird Afghanistan nie den Weg in eine lebenswerte Zukunft einschlagen können. Erst wenn eine wirklich demokratische, ehrliche, nicht-korrupte, aktiv sich für Frauenrechte einsetzende und anti-fundamentalistische Regierung sich in Afghanistan etabliert hat, werden sich Verbesserungen der Lebensbedingungen einstellen.
Was können wir in Deutschland tun, um zu helfen?
Zu allerst bedürfen die progressiven Kräfte in Afghanistan sehr dringend finanzieller Unterstützung, um ihren Kampf fortführen zu können. Zusätzlich könnt ihr uns politisch unterstützen, indem ihr Anti-Kriegsdemonstrationen und Kampagnen organisiert und so aktiv auf eure Regierung Einfluss nehmt, damit diese die Besatzung durch die Bundeswehr ebenso beendet wie ihre Unterstützung von Warlords in der Regierung Karzais, und endlich aufhört der verräterischen US-Kriegspolitik zu folgen.
Ebenso könnt ihr uns unterstützen, indem ihr Artikel schreibt und/oder übersetzt, die die Kriegstreiberei und Kriegsverbrechen in Afghanistan thematisieren, indem ihr Anti-Kriegs Website kreiert und ganz allgemein in eurem Land und in der ganzen Welt über die Kriegs-Aktivitäten der USA und den Kampf der progressiven Kräfte hier in Afghanistan aufklärt.
Quelle: afghanistanprotest.de
s.a. den Aufruf: NEIN zu 45 Jahren Krieg in Afghanistan