18.02.2020: Türkei bricht überraschend ihre Militäroffensive ab ++ Luftwaffe bombardierte Gefangenenlager ++ türkischer Staat versucht, sein eigenes Kriegsverbrechen der Guerilla unterzuschieben und so seine Niederlage in Gare zu verbergen ++ Volksverteidigungskräfte HPG: keine Befreiungsoperation, sondern eine Vernichtungsoperation ++ Verhaftungswelle in der Türkei ++ Berlin schweigt
Die Türkei ist in Aufruhr, nachdem der türkische Angriff auf das Gare-Gebirge in Südkurdistan zum Tod von 13 Kriegsgefangenen geführt hat, die jahrelang in den Bergen von der PKK festgehalten wurden. "Unbewaffnete türkische Bürger sind von den PKK-Terroristen ermordet worden", hatte am Sonntagnachmittag (14.2.) Verteidigungsminister Hulusi Akar verkündet. Sie seien in einer Höhle im Nordirak tot aufgefunden worden.
Am 10. Februar hatte die Türkei einen großangelegten Angriff in der südkurdischen/nordirakischen Region Gare (Provinz Duhok) gestartet. Türkische Bomber griffen Dörfer und vermutete Stellungen der PKK-Einheiten an, während gleichzeitig Cobra-Kampfhubschrauber Attacken flogen. Anschließend setzten die Invasionstruppen eine große Anzahl von Soldaten ab. (siehe kommunisten.de: "Türkei greift kurdische Gebiete im Nordirak an")
Die türkischen Truppen trafen auf einen unerwartet harten Widerstand der Volksverteidigungskräfte HPG, die auch mit Drohnen die türkischen Kräfte bekämpfte. Nach vier Tagen brach die Türkei ihren Angriff ab und zog ihre Bodentruppen wieder zurück.
Während dieser vier Tage hat die türkische Luftwaffe mit mindesten 40 Kampfflugzeugen die Gegend massiv bombardiert. Der Bürgermeister des Bezirks Akre in der Provinz Duhok sagte, dass sich die Angriffe von Tag zu Tag intensiviert haben. "Sechs Dörfer in unserem Gebiet wurden von schweren Bombardements getroffen", sagte Bürgermeister Mazen Mohammad Saeed am Samstag (13.2.) gegenüber dem kurdischen Mediennetzwerk Rudaw.
13 tote Kriegsgefangene
Gleich zu Beginn des Angriffs warnte die PKK das türkische Militär, dass sich in den Höhlen der Gare-Berge eines ihrer Gefangenenlager mit türkischen Soldaten, Polizisten und Geheimdienstangehörigen befinde. Sie forderte deshalb die Türkei auf, die Angriffe zu stoppen. Auch Angehörige der Gefangenen appellierten an den türkischen Staat, die Angriffe sofort zu stoppen. Stattdessen wurden die Angriffe sowohl aus der Luft wie auch durch Bodentruppen mit schwerem Kriegsgerät intensiviert.
Nach türkischer Darstellung wurden die Kriegsgefangenen von der PKK vor Ankunft der türkischen Truppen erschossen. Die PKK weist dies entschieden zurück.
"Der Angriff war nicht auf die Befreiung der Kriegsgefangenen ausgerichtet, sondern auf ihre Vernichtung. Verantwortlich für den Tod dieser Menschen ist einzig und allein Hulusi Akar. Er hat den Befehl zu einem solchen Angriff gegeben und verfügt über keinerlei menschliche Gefühle."
Erklärung der Kommandantur der Volksverteidigungskräfte HPG vom Sonntag, 14 Februar 2021
Die Kommandantur der Volksverteidigungskräfte HPG, dem bewaffneten Arm der PKK, erklärte, die türkische Armee habe das Gefangenenlager am Dorf Siyanê in Gare drei Tage lang schwer bombardiert. Der Armee müsse vollkommen klar gewesen sein, dass niemand das Lager lebend verlassen würde. Daher sei dies keine "Befreiungsoperation, sondern eine Vernichtungsoperation" gewesen. Der türkische Staat versucht nun, sein eigenes Kriegsverbrechen der Guerilla unterzuschieben und so seine Niederlage in Gare zu verbergen. Er hatte zuvor die Bemühungen von Menschenrechtsorganisationen und Angehörigen zur Freilassung der Gefangenen ignoriert und versucht nun die Angehörigen, die er selbst im Stich gelassen hat, zu benutzen.
In einer gestern (Mi., 17.2.) veröffentlichte Erklärung heißt es:
"Das Camp mit den Gefangenen wurde zunächst intensiv aus der Luft angegriffen. Als Ergebnis der Bemühungen des Feindes, vom Boden aus in das Camp einzudringen, ist es zu einer Gefechtssituation gekommen, die sich bis ins Innere des Camps ausgebreitet hat. Niemand kann behaupten, dass die Gefangenen in dieser tage- und stundenlang andauernden Gefechtssituation hätten überleben können. Im Ergebnis sind zwölf Gefangene, die den türkischen Sicherheitskräften angehörten, und ein vorübergehend Verhafteter aus Südkurdistan ums Leben gekommen. Um die Gefangenen zu verteidigen, haben sechs unserer Weggefährt*innen bis zum Schluss gekämpft und sind gefallen."
Die HPG spricht in ihrer Erklärung den Familien der bei dem Angriff ums Leben gekommenen Gefangenen und Verhafteten ihr Beileid aus.
"Die Völker der Türkei und unser Volk sollten wissen, dass wir diese Menschen seit sechs Jahren geschützt und bis zum Schluss zu verteidigen versucht haben. Verantwortlich für ihr Schicksal sind nicht wir, sondern die Vertreter des AKP/MHP-Regimes, die diesen Angriff entschieden und geplant haben. Sie werden sich vor der Geschichte dafür rechtfertigen müssen. Der türkische Staat muss Rechenschaft dafür ablegen, dass er nicht davor zurückschreckt, selbst die eigenen Menschen grausam zu töten und dafür zu benutzen, die eigene Realität zu verschleiern und sein Prestige zu retten."
Giftgas zur Befreiung der Gefangenen?
Die Volksverteidigungskräfte HPG werfen der türkischen Armee vor, bei dem Angriff auf das Gefangenenlager Giftgas eingesetzt zu haben. Am Dienstag (16.2.) waren Kräfte der HPG wieder in das umkämpfte Gebiet eingerückt. Sie meldeten:
"Unsere Kräfte haben das Camp, in dem Gefangene im Gebiet Siyanê in Gare festgehalten wurden, erreicht, um eindeutig zu klären, was dort vorgefallen ist. Obwohl bereits drei Tage vergangen sind, befindet sich in dem Gefangenenlager und der Umgebung einer schwerer chemischer Gasgeruch. Weil von der faschistischen türkischen Armee verbotene Chemiewaffen eingesetzt wurden, die als Kriegsverbrechen gelten, kann das Innere des Camps nicht betreten werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind alle in diesem Camp mit chemischem Gas getötet und danach beschossen worden. Das sind die ersten Eindrücke. Die Arbeit zur Aufklärung des vom türkischen Staat im Gefangenenlager begangenen Massakers dauert noch an."
Der türkische Verteidigungsminister Akar dementiert den Einsatz von Giftgas und behauptet, bei dem Einsatz sei lediglich Tränengas verwendet worden.
"Was wir jetzt brauchen, ist die Wahrheit"
Mithat Sancar Sancar, Vorsitzender der HDP
"Was wir jetzt brauchen, ist die Wahrheit", erklärte der Vorsitzende der Linkspartei HDP, Mithat Sancar Sancar:
"Es muss zweifelsfrei geklärt werden, wie es zu den Todesfällen gekommen ist. Handelt es sich um Hinrichtungen oder um das Ergebnis der Bombardierung? Ich möchte vorweg festhalten, dass dieses Massaker weder in humanitärer Hinsicht noch nach dem Völkerrecht zu akzeptieren ist. Wir verurteilen es scharf. Es zu verurteilen, reicht jedoch nicht aus. Wir müssen die Wahrheit erfahren. Wenn die Wahrheit nicht herauskommt, kann es weder Gerechtigkeit noch Frieden geben."
Sancar forderte einen unabhängigen Untersuchungsausschuss und die Veröffentlichung der Autopsieberichte. Die Verantwortung der Regierung gehe noch darüber hinaus. Es stelle sich weiterhin die Frage, warum die Operation auf diese Weise stattgefunden habe und warum keine anderen Alternativen genutzt wurden:
"Was war der Zweck dieser Operation? Zu Beginn wurde die Öffentlichkeit nicht darüber informiert, aber aus den gestrigen Verlautbarungen des Präsidenten geht hervor, dass das Ziel die Befreiung der gefangenen Polizisten und Soldaten war. Wenn das wirklich das Ziel gewesen ist, warum wurde sie auf diese Weise durchgeführt? Über vierzig Kampfjets haben das Gebiet tagelang bombardiert. Wäre es unter diesen Umständen möglich gewesen, diese Menschen zu retten? Es gab andere Wege, sie lebend zu befreien, sogar sehr einfache Wege. Innerhalb von 22 Jahren sind 335 von der PKK entführte Personen gesund zu ihren Familien zurückgekehrt. Wer sich heute fragt, was von der Regierung erwartet wurde, soll sich die Briefe dieser 13 getöteten Menschen ansehen. [1] Die Regierung hätte einen einzigen Schritt machen müssen, damit diese Personen freigelassen werden. Dieser Schritt wurde nicht gemacht. Der Präsident hat offen gesagt, dass die Operation erfolglos war und ihr Ziel nicht erreicht wurde."
NATO-Partner stehen zu Erdogan
Für die NATO-Partner der Türkei ist auch dieses Verbrechen kein Grund, vom Erdogan-Regime abzurücken. So machen auch die USA die PKK für die Tötung der 13 türkischen Soldaten verantwortlich. Außenminister Antony Blinken habe in einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu seine Anteilnahme bekundet und betont, dass nach Ansicht seiner Regierung "PKK-Terroristen" die Verantwortung für den Tod der "Geiseln" tragen, erklärte ein Sprecher des Ministeriums. Blinken habe die Bedeutung der Beziehungen beider Länder und das gemeinsame Interesse im Kampf gegen den Terrorismus hervorgehoben.
Bereits am Freitag (12.2.), als kurz nach Beginn des Überfall drei türkischen Soldaten gefallen waren, erklärte die US-Botschaft in Ankara, sie sei "betrübt" über die Tötung von drei türkischen Soldaten durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auf dem Berg Gara in der Region Kurdistan in dieser Woche. "Wir sind traurig über die Tötung von türkischen Soldaten durch PKK-Terroristen. Unser Beileid an die Familien der Gefallenen. Wir stehen an der Seite unseres #NATO-Verbündeten Türkei", hieß es in einem Tweet der Botschaft am späten Freitag.
Da kann natürlich auch der deutsche Botschafter nicht nachstehen - er verurteilt nicht den völkerrechtswidrigen Überfall der Türkei auf den Irak, sondern weist ohne Beweise die Schuld am Tod der 13 Gefangenen der PKK zu. Er twittert: "Im Namen der Delegation der Europäischen Union in der Türkei spricht Botschafter Nikolaus MEYER-LANDRUT der türkischen Öffentlichkeit sein Beileid zu dem Terroranschlag in #Gara, Irak, aus, bei dem die PKK 13 türkische Staatsbürger getötet hat. Wir möchten den Hinterbliebenen und der Türkei unser tief empfundenes Mitgefühl aussprechen." [2]
Türkische Militäraktion ist gescheitert
Der von der Regierung erhoffte Propaganda-Coup schlägt nach dem Scheitern der Militäroperation möglicherweise ins Gegenteil um. Denn nun wird in der Türkei nach den Gründen für das Scheitern der Militäraktion gefragt. Unter militärischen und politischen Gesichtspunkten wurde sie schon jetzt zu einem Fiasko.
In einer ausführlichen Stellungnahme der Kommandantur der Volksverteidigungskräfte HPG heißt es u.a.:
" … Im Zuge der vier Tage andauernden intensiven Bombardierung der gesamten Region Gare wollte die türkische Armee sich dauerhaft in dem Gebiet festsetzen und gleichzeitig die bei uns befindlichen Gefangenen in die Hand bekommen.
Es ist eindeutig, dass dieser operationelle Angriff in dem Wissen durchgeführt wurde, dass niemand überleben wird. Mit Sicherheit hatte der Angriff nicht das Ziel, die Gefangenen zu befreien, sondern sie zu vernichten. Zusätzlich steht fest, dass eine dauerhafte Stationierung in einem strategisch wichtigen Umkreis in Gare vorgesehen war, wenn die Armee die beim ersten Vorstoß anvisierten Orte wie geplant hätte halten können. Für Tayyip Erdoğan und Bahçeli war der wesentliche Grund für die Operation, ihre angeblichen Erfolgsgeschichten als Wirklichkeit zu präsentieren und damit die Lebensdauer ihres Regimes zu verlängern. Daher hatte der Angriff eine strategische Bedeutung für sie. Er wurde auf höchster Ebene geplant, durchgeführt und in Form eines Spezialangriffs organisiert. …
Der türkische Staat wollte sein Ziel erreichen, indem er das gesamte Gebiet von über vierzig Kampfflugzeugen in Begleitung von bewaffneten und unbewaffneten Drohnen bombardieren ließ. …
Unter den für die Guerilla nachteiligen Bedingungen eines offenen Geländes ohne jegliche Bedeckung hat die neue Kampfweise, die auf professionellen Kleingruppen basiert, zu einem eindeutigen Erfolg geführt. Wie bereits zuvor im Widerstand von Heftanîn zu beobachten war, sind auch hier die Angriffe des Feindes durch die neue Art des Guerillakampfes und die richtige Manövrierfähigkeit ergebnislos verlaufen."
Die Türkei behauptet, während der Offensive 51 PKK-Kämpfer getötet und zwei verhaftet zu haben, während die HPG bekannt gibt, nur 15 ihrer eigenen Kämpfer seien gefallen und zwei von den türkischen Streitkräften gefangen genommen worden. Mehr als 30 türkische Soldaten, darunter ranghohe Offiziere, wurden getötet und Dutzende verletzt, so die HPG.
Volksmobilisierungskräfte (PMF) und Shingal-Widerstandseinheiten gemeinsam gegen türkische Aggression
Zum Rückzug der Türkei mag auch beigetragen haben, dass sich im Irak Widerstand gegen die Verletzung des staatlichen Souveränität regt. Nachdem Erdogan mit einem Angriff auf die ezidisch besiedelte und selbstverwaltete Şhengal-Region im Norden des Irak gedroht hatte, prangerte der einflussreiche irakische schiitische Geistliche Muqtada al Sadr am Mittwoch (10.2.) energisch die Einmischung des "Auslands" in den Irak an. "Ich werde die Einmischung von Nachbarstaaten des Iraks in die irakischen Angelegenheiten oder einen Angriff auf den geliebten Irak nicht akzeptieren, genauso wenig wie ich jemals akzeptieren werde, dass der Irak eine Abschussrampe für Angriffe auf Nachbarstaaten ist", twitterte der Chef der Sadristen-Bewegung am Mittwoch.
Am Tag danach schloss der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin gegenüber dem türkischen Lokalfernsehen nochmals eine Militäroperation gegen die PKK im Bezirk Shingal in Ninive nicht aus.
Daraufhin konferierte der irakische Präsident Barham Salih mit dem Stabschef der Popular Mobilization Forces PMF (Volksmobilisierungskräfte, arabisch Hashd al-Shaabi) des Irak, Abd al-Aziz al-Mohammedawi, über die Entsendung von Einheiten der PMF nach Shengal. Die schiitischen PMF sind ein selbstständiger Teil der irakischen Armee.
Am Freitag (12.2.) wurden dann drei Brigaden der Volksmobilisierungskräfte PMF mit mehreren Tausend Kämpfern nach Shengal verlegt, um einen möglichen türkischen Angriff abwehren zu können. Khal Ali, Kommandeur der PMF im Nordirak erklärte, dass die Shingal-Widerstandseinheiten mit den PMF-Kräften zusammenarbeiten würden. Die Shingal-Widerstandseinheiten waren gebildet worden, nachdem die PKK die Eziden von der Terrorherrschaft des IS befeit hatte und sich wieder aus Shengal zurückzog.
Video: https://twitter.com/RudawEnglish/status/1360589545637437443 |
Der stellvertretende Ko-Vorsitzender des Selbstverwaltungsrats von Shingal bestätigte die Kooperation und sagt: "Wir, die Kräfte der YBS (Shingal-Widerstandseinheiten) und YBJ (Frauen-Widerstandseinheiten), sind immer bereit, jedem Angriff von ISIS oder anderen Kräften zu widerstehen. Unsere Kräfte sind bereit, nicht nur in Shingal, sondern im ganzen Irak Widerstand zu leisten."
Verstärkte Repression in der Türkei
Wie immer nach Misserfolgen setzt das ErdoganRegime auch jetzt innen- und außenpolitisch auf Härte, um mit einem Appell an den türkischen Nationalismus die Kritik zu ersticken.
Die türkischen Repressionskräfte haben am Montag (15.2.) die Verhaftung von 718 Personen im ganzen Land wegen angeblicher Verbindungen zur PKK bekannt gegeben. Feleknas Uca und Hisyar Ozsoy, Ko-Sprecher des HDP-Büros für Außenpolitik, erklärten, dass sich unter den Festgenommenen mindesten 139 HDP-Mitglieder und Führungskräfte befinden.
Die türkische Regierung beschuldigen die HDP immer wieder, der politische Flügel der PKK zu sein, und begründen so die Verhaftung zahlreicher ihrer Politiker*innen - darunter ehemalige Vorsitzende wie Selahattin Demirtaş und viele Parlamentarier*innen. Fast alle Bürgermeister*innen der Partei - die bei den Wahlen 2019 gewählt wurden - wurden ihres Amtes enthoben und einige von ihnen verhaftet.
"Diese Verhaftungswelle gegen unsere Partei und demokratische Institutionen hat nichts mit dem Gesetz zu tun. Immer dann, wenn der Frieden auf dem Spiel steht und die Regierung die Unterstützung nationalistischer Bevölkerungsteile braucht, nimmt sie die HDP ins Visier und greift unsere Mitglieder mit Gewalt an" sagten Feleknas Uca und Hisyar Ozsoy.
Um von dem Scheitern der Militärinvasion abzulenken, wird die Bevölkerung von türkischen Regierungsmitgliedern mit einer beispiellosen nationalistische Hetzte aufgewiegelt. So drohte der türkische Innenminister Süleyman Soylu, man werde den amtierenden PKK-Vorsitzenden Murat Karayilan in tausend Stücke reißen. "Wenn wir Murat Karayılan nicht erwischen und in tausend Stücke reißen, dann sollen uns das Volk und unsere Märtyrer ins Gesicht spucken." Es gebe immer noch "ehrlosen Dreck", der an der Seite der PKK stehe und dieser werde dafür bezahlen müssen. Gemeint ist die HDP, die nicht in das nationalistische Kriegsgeheul einstimmt.
Erdogans faschistische Koalitionspartnerin, die Partei MHP, will ein Verbot der HDP beantragen, die drittstärkste Kraft im türkischen Parlament ist. MHP-Chef Devlet Bahceli forderte am Dienstag zudem eine Großoffensive im Irak. Die Türkei müsse das PKK-Hauptquartier in den Kandil-Bergen rund 100 Kilometer südlich der Grenze einnehmen, verlangte Bahceli. Außerdem sollten türkische Soldaten das Shengal-Gebirge an der irakisch-syrischen Grenze besetzen, um die Verbindung zwischen der PKK und ihrem Ableger in Syrien - gemeint sind die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens und die Syrisch Demokratischen Kräfte SDF - zu unterbrechen.
Deutsche Medien übernehmen Sprachregelung aus Ankara
Leider übernehmen auch viele deutsche Medien die türkische Propaganda und heizen damit die eh schon angespannte Stimmung zwischen den türkischen und kurdischen Bürger*innen in Deutschland an.
Zwar gibt man sich vordergründig objektiv, allerdings fast immer eingebettet in das Framing "PKK = Terrororganisation". Der Gipfel dieser türkeitreuen Propaganda in deutschen Medien war ein Bericht der Tagesschau vom 15.2.2021. [3] Die Tagesschau berichtete über die verhafteten Mitglieder der HDP, einer Partei, die im kurdischen Osten der Türkei bei den letzten Parlamentswahlen fast überall absolute Mehrheiten errungen hatte, von "700 mutmaßlichen PKK-Aktivisten, die heute festgenommen wurden". Der Grund sei die "mutmaßlichen Tötung von 13 Türken .. Bei den meisten Getöteten handelte es sich um Soldaten und Polizisten, die 2015 und 2016 von der PKK entführt worden waren." Die Getöteten waren aber nicht entführt worden, sondern im Zusammenhang mit dem Krieg der Türkei gegen die Kurd*innen gefangen genommen worden. Die PKK behandelt die Gefangenen nach den Leitlinien der Genfer Konventionen - im Unterschied zum Handeln der Türkei.
Dass am selben Tag die kurdische Rechtsanwältin und Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD) ohne Beweise der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation bezichtigt und zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde, interessiert die deutschen Medien und die deutsche Politik dagegen weniger.
Die schwedische Außenministerin Ann Linde sagte am Dienstag (16.2.), ihr Land sei "zutiefst besorgt" über die Verhaftungen in der Türkei, darunter auch Funktionäre der pro-kurdischen HDP. "Wir sind zutiefst besorgt über die Berichte über weitere Massenverhaftungen in der Türkei, darunter auch von gewählten Funktionären und Parteimitgliedern der HDP", twitterte Linde.
Man wird vergeblich warten, wenn man eine vergleichbare Reaktion aus Berlin gegenüber der Türkei erwarten würde.
Anmerkungen:
[1] Einige der Soldaten und Polizisten, die beim türkischen Luftangriff auf Gare getötet wurden, haben bereits 2018 gewarnt, dass der türkische Staat ihr Leben missachte und in Gefahr bringe. Am 7. Juni 2018 sprachen sie mit der kurdischen Nachrichtenagentur ANF über ihren Wunsch nach einer friedlichen Lösung und kritisierten den Staat für seine Ignoranz: https://anfdeutsch.com/kurdistan/staat-hatte-nie-interesse-gefangene-soldaten-am-leben-zu-lassen-24556
[2] https://twitter.com/EUDelegationTur/status/1361254399520219136
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/tuerkei-kurden-us-botschafter-101.html