04.12.2020: oppositionelle Kräfte organisieren Demo für Meinungsfreiheit vor Kulturministerium ++ linke Jugendliche, Intellektuelle und Künstler*innen antworten mit spontaner Demonstration "Tángana im Trillo" für einen stärkeren Sozialismus durch mehr Demokratie: "wenn die revolutionäre Linke nicht den Kampf für den sozialistischen Rechtsstaat führt, gibt sie diesen Raum für die Reaktion frei"
"Was können wir tun? Wir können nicht länger schweigen!" Das war die Prämisse einer Gruppe von Jugendlichen, Intellektuellen und Künstler*innen in einem Telegramm-Chatroom. Brainstorming. Name. Ort. Ziel: die Jugend, das Volk zur Verteidigung der Revolution aufzurufen. Das ist alles.
Die Internetseite "Tángana im Trillo" entstand und von dort aus Texte erstellen, teilen, mobilisieren.
So beschreibt die Zeitschrift »Cubadebate« den Anfang einer Kampagne, die am vergangenen Sonntag (29.11.) mit einer großen Kundgebung und Kulturveranstaltung Tángana (deutsch: Durcheinander, Krach) im Parque Trillo im Zentrum Havannas eine vorläufigen Höhepunkt fand.
Der Aufruf für die Aktivität im Trillo-Park war anfangs spontan. Sie kam hauptsächlich von einer Gruppe junger Menschen, die durch soziale Netzwerke miteinander verbunden sind, weil sie ähnliche politische Meinungen haben. Es sind junge Menschen, die der Realität, in der sie leben, kritisch gegenüberstehen, die aber der Meinung sind, dass die Verteidigung der kubanischen Revolution mit der Verteidigung des kubanischen Staates gegen die Aggressionen seiner äußeren Feinde einhergeht.
Demonstration für Meinungsfreiheit vor dem Kulturministerium
Der Aufruf zu dieser spontanen Veranstaltung am Sonntag erfolgte, nachdem es am Freitag (27.11.) zu einer Demonstration vor dem Kulturministerium MINCULT gekommen war. Initiator war die Künstler*innen-Aktivistengruppe El Movimiento San Isidro (MSI), von der einige Tage vorher Mitglieder in einen Hungerstreik getreten und das von ihnen besetzte Haus von der Polizei geräumt worden war. Unterstützer*innen nutzten Facebook, YouTube und andere soziale Medienplattformen, um die Presse und die internationale Gemeinschaft auf das aufmerksam zu machen, was sie als Unterdrückung der Rede- und Meinungsfreiheit durch die kubanische Regierung ansehen. Die US-Regierung und die US-Botschaft in Havanna erklärten ihre Unterstützung für das MSI und deren Forderungen.
Die spontane Demonstration vor dem Kulturministerium ging jedoch weit über das Spektrum des MSI hinaus. Beobachter*innen schreiben, dass viele Menschen, vor allem junge Menschen und vor allem Künstler*innen und Intellektuelle, die Gelegenheit zum Anlass nahmen, um größeren Respekt für Pluralismus und politische Vielfalt, für die Beendigung der Zensur in der Kunst usw. zu fordern. Die Demonstration sei Ausdruck dafür, dass sich die Beziehungen zwischen dem Staat und diesem Teil der Zivilgesellschaft so sehr verschlechtert haben, dass dissidente Gruppen wie das MSI unter der Fahne von Demokratie und Meinungsfreiheit Anklang finden.
Angesichts der Informationen, die über die Verbindungen einiger Mitglieder der San-Isidro-Bewegung mit US-Agenturen verbreitet wurden, und der Darstellung, dass die Demonstration vor dem Kulturministerium ausschließlich der Unterstützung der Sache dieser Gruppe diente, kamen die Organisator*innen von "Tángana im Trillo" zu dem Schluss, dass eine öffentliche Demonstration notwendig sei, um auch für die revolutionäre Linke die Spontaneität zu beanspruchen.
Die Tángana fanden vor dem Denkmal für Quintín Banderas, einem militärischen Führer des kubanischen Aufstands gegen die Spanier während des kubanischen Unabhängigkeitskrieges, statt. Der Parque Trillo in dem die Tángana stattfand war ebenfalls gut gewählt. "Als ich eine Nachbarin fragte, was und warum sie dort war, erklärte die Frau, die auf eine Parkbank kletterte, um einen besseren Blick zu bekommen, ganz klar: 'Die Leute haben hier ihre eigene Meinung. Aber dieses Barrio ist »Heimat oder Tod«. Es gibt hier niemanden, der sich mit der Revolution anlegt'", berichtet Arleen Rodríguez Derivet in Cubadebate.
"Tángana im Trillo"
Iramís Rosique Cárdenas, der die Veranstaltung am Sonntagnachmittag um 16 Uhr eröffnete, sagte: "Keiner von uns - den Organisator*innen - ist ein Staatsfunktionär oder ein professioneller Kader, dessen Aufgabe es war, auf diese Weise auf die Ereignisse der letzten Tage zu reagieren. (Anm.: siehe oben) Das virtuelle Kollektiv, in dem all dies erdacht und konzipiert wurde, setzt sich aus einem vielfältigen Spektrum von Bürger*innen zusammen: Es gibt Studenten, Beschäftigte in Unternehmen und Institutionen, Selbständige und sogar Arbeitslose. Wir kommen aus verschiedenen Berufen, Provinzen, Altersgruppen zusammen... Diese Vielfalt hat jedoch ein verbindendes Prinzip: eine linke politische Militanz."
Iramís Rosique bekräftigte, dass diese Kundgebung gegen aktuelle Diskurse gerichtet ist, die dem antikommunistischen Klischee verhaftet sind, dass Sozialismus nicht mit Freiheit und Demokratie zu vereinen wäre. Im Gegenteil: "Wir behaupten, dass die Kämpfe für Demokratie und Freiheit dem revolutionären sozialistischen Projekt inhärent sind, und wir sind ihnen verpflichtet." Wenn über Demokratie gesprochen werde, dann müsse auch über Volksmacht, soziale Gerechtigkeit und eine "demokratische und integrative Wirtschaft, die auf Zusammenarbeit beruht" gesprochen werden.
"Für uns kann es nur einen Weg geben, um die Revolution zu unterstützen und zu verteidigen: es zu tun."
Iramís Rosique Cárdenas
Er setzte sich auch mit den Vorwürfen auseinander, dass die Aktion vom Ausland gesteuert und gegen den Sozialismus gerichtet sei. Dieser Vorwurf komme von Menschen, die "die Möglichkeit jeder revolutionären Spontaneität leugnen" und deren "Diskurs auf der Idee aufbaut, dass die Regierung alles kontrolliert und was sie nicht kontrolliert, verboten ist". Dem setzte er entgegen, dass sich die Revolution selbst kritisieren müsse und dass die "Institutionen" sich mit Tángana verständigt hätten. "Ja, wir existieren, "weil die Revolution die formalen Institutionen, die sie verwalten, überfordert", sagte er. (vollständige Rede hier)
Die Revolution vollenden
Claudia Damiani Cavero, die von sich selbst sagte, dass sie sich "von der Politik losgesagt und sie gemieden" habe, weil diese als "etwas Fremdes, von oben gemacht" gesehen werde, rief dazu auf, die "Trägheit" zu überwinden und "die Revolution wiederzubeleben, ihren revolutionären Geist wieder zu wecken". Voraussetzung sei, so die 29-jährige Literatin und Absolventin des Centro Nacional de Formación Literaria, dass "die Basis, die Zivilgesellschaft, die Menschen" einbezogen werden, und dass sie wissen, "dass die Entscheidungen der Gesellschaft von der Gesellschaft getroffen werden und dass der Staat ihr nicht fremd ist".
"Die Revolution muss vollständig sein: feministisch, vielfältig, integrativ, ökologisch und antikapitalistisch."
Claudia Damiani Cavero
Die Bedingung dafür sei soziale Gerechtigkeit. "Wir können nicht über Demokratie und Volksmacht sprechen, ohne soziale Gleichheit vorauszusetzen. Und soziale Gleichheit gibt es, wenn es keinerlei Privilegien gibt." Die Revolution könne sich nicht zufrieden geben, solange Diskriminierungen jeder Art nicht nur institutionell, sondern auch im alltäglichen Leben überwunden sind. " Aber wenn die Linke nicht ausreichend feministisch, antihomophobisch, ökologisch, antirassistisch und demokratisch ist, wird sie diese Anliegen verraten." (vollständige Rede hier)
Die Revolution aus der Revolution heraus aufbauen
Die junge Informatik-Ingenieurin Claudia Flores Villa kritisierte, dass die Forderung nach Meinungsfreiheit mit der Opposition verbunden wird, "als ob sie die einzigen wären, die sie verdienen". "Wenn die Meinungsfreiheit auch verteidigt, dass wir Revolutionär*innen sind, dann sagen wir es, wo es gesagt werden muss. Ohne Angst, dass uns jemand beschuldigt, wir würden gezwungen oder bezahlt, oder dass die UCJ (Anm.: kommunistischer Jugendverband) uns auffordert, dies zu tun."
"Wir werden nicht von den Institutionen bezahlt, wir werden nicht vom Imperialismus bezahlt. Wir tun das, was wir meinen."
Claudia Flores Villa
Mit der Kundgebung solle vermittelt werden, dass die Revolution nichts Statisches sei, sondern jeden Tag aufgebaut werden müsse, so Claudia Flores. "Wir Organisator*innen sind Menschen jeden Alters; aber wir teilen dieselben Kriterien: Wir wollen die Revolution aufbauen, denn eine Revolution ist nicht etwas Statisches, das geschaffen wurde und alles schon gesagt und getan ist, die Revolution muss jeden Tag aufgebaut werden. Und diese Botschaft wollten wir vermitteln."
Claudia Flores verwies darauf, dass sich mit der Pandemie zeigt, dass die jungen Menschen mit der Freiwilligenarbeit "zu sehr schönen und spontanen Taten fähig sind", dass aber auch viele Probleme der Gesellschaft ans Licht kamen.
Sie bedankte sich für die Unterstützung durch die Institutionen, forderte dies jedoch auch auf, die jungen Menschen handeln zu lassen. "Ich möchte, dass Sie verstehen, dass wir jungen Menschen sehr dankbar für die Unterstützung sind, aber es gibt auch einen Moment, in dem wir auf eigenen Füßen stehen müssen, dass wir dazu in der Lage sind, dass unser Leitfaden die Geschichte ist, das Studium der Geschichte. Dass sie uns manchmal handeln lassen müssen und uns auf eigene Faust gehen lassen und vielleicht unsere Hand loslassen müssen. Vertrauen muss sich durchsetzen." (vollständige Rede hier)
Unseren Sozialismus vertiefen, die Revolution und ihre Organisationen demokratisieren
Raul Escalona forderte die revolutionäre Linke auf, "den Kampf für den sozialistischen Rechtsstaat" zu führen. Denn wenn sie dies nicht tue, gebe sie "diesen Raum für die Forderungen der Reaktion frei, die diesen Raum instrumentell nutzen wird, um ihr antikommunistisches Programm voranzubringen". Es gehe um die Demokratisierung der Revolution und ihrer Organisationen, um "eine echte Vergesellschaftung der Macht, die Kontrolle des Volkes über die Produktionsmittel, eine solidarische, demokratische und integrative Wirtschaft, die auf Zusammenarbeit beruht. Und um zu zeigen, dass dies keine ausschließliche Pflicht der traditionellen Institutionen der Revolution ist." (Auszüge aus der Rede hier)
Die Revolution wird bleiben, denn die jungen Leute sind auf der Straße
"Ich muss hier sein. Es ist ein Treffen junger Menschen, und die Revolution hat immer auf sie gezählt."
Präsident Miguel Díaz-Canel:
Gegen 17 Uhr traf zur allgemeinen Überraschung der Präsident der Republik Kuba, Miguel Díaz-Canel Bermúdez, ein. Von seinem Herzen gestoßen, wie er sagte, als ihm das Mikrofon angeboten wurde. Was er in der ersten Stunde der Tángana in den sozialen Medien gesehen habe, hätte ihn hierher gedrängt. "Ich war der Überzeugung und hatte das Empfinden, dass ich hier sein muss. Es ist ein Treffen junger Menschen, und die Revolution hat immer auf sie gezählt. Sie haben eine heroische Seite im Kampf gegen COVID-19 geschrieben. Ich muss auch hier sein, weil ich auch noch nicht so alt bin. .. Sie (Anm.: die Konterrevolution) dachten, sie könnten die Revolution vor dem Ende der Trump-Administration zerstören, aber sie blieb und sie wird bleiben, denn die jungen Leute sind auf der Straße und das kubanische Volk ist auf der Straße, und wir lassen keine Einmischung zu."
Tángana - Die traditionellen politischen Kräfte suchen nach Wegen, sich neu zu organisieren und zu erneuern
Auf der Facebookseite von "Tángana im Trillo" schreibt der marxistische Philosoph und Aktivist Yassel A. Padrón Kunakbaeva, dass am Sonntag bei der "Tángana im Trillo" das Ungewöhnliche war, dass "neue Stimmen auf dem Podium zu hören waren, nämlich die der ursprünglichen Organisator*innen, die keine traditionellen Kader der FEU (Sudentenorganisation) oder des UJC (kommunistische Jugendorganisation) waren - obwohl es auch den interessanten Fall gab, dass jemand, der Kader der FEU ist, auch Neuheiten in seinen Diskurs einfließen ließ".
Natürlich sei der "spontane" Aufruf bei den Institutionen - Staat und Partei - nicht unbemerkt geblieben. "Die Behörden wussten von der Existenz der Idee und beschlossen, sie zu unterstützen. Die Organisator*innen folgten ihrem Argument, dass die kubanischen Institutionen immer noch für die Revolution einstehen, und akzeptierten diese Unterstützung", auch wenn dadurch das Bild einer spontanen Aktion etwas an Glaubwürdigkeit verlor. Andererseits respektierten die Institutionen bis zu einem gewissen Grad den ursprünglichen Plan der Aktivität.
Yassel A. Padrón Kunakbaeva: "Angesichts der politischen Herausforderung, die die Demonstration gegen MINCULT bedeutete, befand sich der offizielle Block in einer völlig reaktiven und verunsicherten Position; ein Vorschlag musste von den sozialen Netzwerken kommen, von jungen Leuten, die Träger von Konzepten und Ideen sind, die von den theoretischen Fortschritten der linken Bewegungen in der Welt beeinflusst sind und die das Potenzial haben, den revolutionären Diskurs in Kuba zu erneuern; sie lancierten den Aufruf, aber sie dienten als Katalysator, damit der traditionelle Block reagieren konnte, und dies wiederum zeigte, dass er noch politisches Potential hat. … Das Erscheinen des Präsidenten, sein Eingreifen, die Begeisterung, die er hervorrief, die Art und Weise, wie die Aktivität entwickelt wurde, ist ein Zeichen dafür, dass die alten Quellen des politischen Funktionierens des institutionellen revolutionären Blocks in Kuba immer noch die Fähigkeit zum Handeln haben. … Es gibt nichts Normaleres, als dass die traditionellen politischen Kräfte, wenn sie vor einer politischen Herausforderung stehen, nach Wegen suchen, sich neu zu organisieren und zu erneuern. Auf dem Weg einer toxischen Polarisierung zu beharren, wäre zum jetzigen Zeitpunkt sehr negativ: Was unser Land braucht, ist, dass die Aufrichtigen unter den Teilnehmer*innen der Demonstration vor dem Kulturministerium und die Aufrichtigen unter den Teilnehmer*innen der Tángana die Fähigkeit zu Begegnungen, zum Dialog aus der Differenz heraus und zum gemeinsamen Aufbau finden."
Yassel A. Padrón Kunakbaeva stellt sich aber auch die Frage: "Ist es zu spät? Vielleicht ist die Verschlechterung zu groß. Vielleicht hätten wir schon vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren anfangen sollen, über Gramsci, über Meinungsfreiheit und den sozialistischen Rechtsstaat zu sprechen: Wird die Injektion von neuem Blut die verlorene Zeit wieder aufholen können?"
Im Editorial des digitalen Magazins La Tizza heißt es: "Nach dem zu urteilen, was die meisten nationalen Medien - mit Ausnahme von Cubadebate - berichteten, war es ein "mehr vom Gleichen". Aber wie wir bereits wissen, müssen wir unbedingt lernen, zwischen der gelebten und der von unseren Medien vermittelten Realität zu unterscheiden. Der Unterschied zwischen beiden ist nach wie vor beträchtlich. Mit der Veröffentlichung eines Teils der im Trillo-Park aufgeworfenen Ideen, von denen einige geschrieben, andere gefilmt wurden, versucht La Tizza, die Manipulation von Informationen von beiden Seiten abzubauen. Wir werden nicht zulassen, dass die spontane Initiative einer Gruppe von Genoss*innen in Beschlag genommen wird von den ängstlichen Hütern eines Glaubens, den sie als Lehnsgut betrachten, oder von den eigennützigen Testamentsvollstrecker einer Erzählung, in deren Prämissen es keine Möglichkeit gibt, dass das revolutionäre soziale Gefüge Kubas seine Lethargie abschüttelt und sich ohne vorgefertigte Richtlinien in Bewegung setzt." (Editorial de La Tizza, 30. November 2020)
Wir existieren, weil die Revolution die Institutionen überfordert.
Rede von Iramís Rosique Cárdenas, "Tángana im Trillo", 29. November 2020
Guten Tag, allerseits:
Meine Kollegen haben mich für die einleitenden Worte der Veranstaltung bestimmt: ein schwieriges Unterfangen.
Zunächst möchte ich mich bei allen Gruppen, Personen und Institutionen bedanken, die uns beim Aufbau dieser Veranstaltung unterstützt und beraten haben. Sie hat unsere ursprünglichen Erwartungen wirklich übertroffen.
Ich möchte damit beginnen, wer wir sind - oder besser gesagt, wer wir nicht sind.
Keiner von uns - den Organisatoren - ist ein Staatsfunktionär oder ein professioneller Kader, dessen Aufgabe es war, auf diese Weise auf die Ereignisse der letzten Tage zu reagieren.
Das virtuelle Kollektiv, in dem all dies erdacht und konzipiert wurde, setzt sich aus einem vielfältigen Spektrum von Bürgern zusammen: Es gibt Studenten, Beschäftigte in Unternehmen und Institutionen, Selbständige und sogar Arbeitslose. Wir kommen aus verschiedenen Berufen, Provinzen, Altersgruppen... Diese Vielfalt hat jedoch ein verbindendes Prinzip: mehr als eine politische Sensibilität, eine linke politische Militanz.
Von einem solchen Kollektiv ging diese Initiative aus, und sie kam auf die natürlichste Art und Weise zustande. Wir verstehen, dass dies für eine Gruppe von Menschen schwer zu verstehen oder zu glauben ist: ein Teil hat Bedenken, weil die Gewohnheit dafür fehlt. Andere weigern sich zu begreifen, weil sie die Idee unerträglich finden. Dann reagieren sie heftig, wie sie noch nie auf irgendwelche anderen offensichtlichen, erbärmlichen und schmutzigen Farcen reagiert haben.
Und es ist logisch, dass sie die Möglichkeit jeder revolutionären Spontaneität leugnen: diese Heftigkeit ist nichts anderes als versteckte Angst und Ohnmacht: die Angst davor, im Raum des Legitimen und Spontanen herausgefordert zu werden.
Sie befürchten, dass die Spontaneität gerade deshalb existiert, weil ihr Diskurs auf der Idee aufbaut, dass die Regierung alles kontrolliert und was sie nicht kontrolliert, verboten ist. Und ja: Wir existieren, weil die Revolution die formalen Institutionen, die sie verwalten, überfordert. Und ja: diese Institutionen verständigen sich mit uns, denn die Revolution hat das Recht, sich zu verteidigen.
Wir haben uns zu dieser Aktion entschlossen, weil die Diskurse, die in den letzten Jahren von verschiedenen medialen und intellektuellen Diensten mit regierungsfeindlicher Einstellung über Kuba artikuliert wurden, darauf abzielen, ein altes antikommunistisches Klischee aufzuwärmen und den Kampf für Demokratie und Freiheit aus dem sozialistischen Horizont zu vertreiben, der durch die kubanische Revolution eröffnet wurde: Dies hat sich in den Ereignissen der letzten Tage dramatisch gezeigt. Wir behaupten, dass die Kämpfe für Demokratie und Freiheit dem revolutionären sozialistischen Projekt inhärent sind, und wir sind ihnen verpflichtet. Was wir für inakzeptabel halten, ist, dass diese Auseinandersetzungen dazu benutzt werden, die Niederträchtigkeit von Personen oder Gruppen zu vertuschen, die Annexionismus oder Söldnertum praktizieren, was ein Angriff auf die Bedingungen der Möglichkeit einer echten Demokratie in Kuba ist.
Wir verstehen auch, dass Demokratie oder Meinungsfreiheit Abstraktionen, Entelechie sind, wenn sie nicht mit Inhalt gefüllt sind.
Sie sprechen viel über Demokratie, aber nie über die Volksmacht. Sie wollen, dass Tausende von politischen Parteien sich bei der Monopolisierung der Macht abwechseln, aber sie sprechen nie über die effektive Sozialisierung dieser Macht in den Gemeinwesen.
Sie sorgen sich um die politische Freiheit, aber sie interessieren sich nicht dafür, die Unfreiheit zu kritisieren, die der Markt dem sozialen Organismus aufzwingt: eine demokratische und integrative Wirtschaft, die auf Zusammenarbeit beruht, ist für die freie Entwicklung aller, und nicht nur einiger weniger, unerlässlich.
Wir denken auch, dass es an uns Revolutionäre in Kuba liegt, uns selbst von innen zu betrachten: uns selbst zu kritisieren. Wir können keinen Zweifel mehr daran haben, dass unsere Feinde auf jedem leeren Stuhl sitzen werden, den wir ihnen überlassen.
Alle gerechten Anliegen passen in das Feld der Revolution. Genau das ist die Grundlage des revolutionären Gesellschaftspakts, des sozialistischen Konsenses: Die gesamte soziale Gerechtigkeit.
Denn für uns kann es nur einen Weg geben, um die Revolution zu unterstützen und zu verteidigen: es zu tun.
Die Revolution vollenden
Rede von Claudia Damiani Cavero, "Tángana im Trillo", 29. November 2020
Ich habe nicht viel mit politischer Militanz zu tun, jedenfalls nicht aus Überzeugung. Ich hatte mich von der Politik losgesagt und sie gemieden, weil wir uns daran gewöhnt haben, sie als etwas Fremdes zu sehen, das von oben gemacht und mit Trägheit angenommen wird. Politik ist nicht so, aber einige Formen der Politik haben dazu geführt, dass sie als solche wahrgenommen wird.
Deshalb müssen wir heute darüber nachdenken, die Revolution wiederzubeleben, ihren revolutionären Geist wieder zu wecken. Die Basis, die Zivilgesellschaft, die Menschen, müssen sich einbezogen fühlen, sie müssen wissen und feststellen können, dass die Entscheidungen der Gesellschaft von der Gesellschaft getroffen werden und dass der Staat dieser nicht fremd ist.
Aus meiner Sicht ist dies nur möglich, wenn soziale Gerechtigkeit zur Bedingung gemacht wird. Wir können nicht über Demokratie und Volksmacht sprechen, ohne soziale Gleichheit vorauszusetzen. Und soziale Gleichheit gibt es, wenn es keinerlei Privilegien gibt: weder von der Klasse noch vom Geschlecht oder von der sexuellen Orientierung oder von der Rasse. Und diese Gleichheit ist nicht nur durch individuelles Bewusstsein und Handeln möglich, sie muss in einer Gesellschaft aufgebaut werden, in deren Beziehungen diese Gleichheit implizit vorhanden ist, sie ist eine politische Entscheidung.
Deshalb darf die Revolution nicht zulassen, dass man mit homophoben oder sexistischen Begriffen für sie spricht, dass jene von uns, die sich für Revolutionäre halten, in ihrem Privatleben heteropatriarchale Beziehungen und Vorurteile reproduzieren. Wir können es auch nicht zulassen, dass wir gespalten sind und unsere Differenzen das gemeinsame Ziel - soziale Gerechtigkeit - überwiegen oder dass die Rechte und die Interessen von außen sich einen progressiven Diskurs aneignen, denn keine Gesellschaftsordnung, die Ungleichheit und Privilegien beinhaltet, wie der Kapitalismus, kann wirklich gerecht sein. Aber wenn die Linke nicht ausreichend feministisch, antihomophobisch, ökologisch, antirassistisch und demokratisch genug ist, wird sie diese Anliegen verraten.
Der revolutionäre Sieg bedeutete einen großen Fortschritt für die Emanzipation der Frauen, aber die Revolution kann sich mit diesen Eroberungen nicht zufrieden geben. Die Tatsache, dass die Geschlechterdiskriminierung nicht institutionellen Charakter hat, bedeutet nicht, dass sie nicht im gesellschaftlichen Denken, in der ungleichen Verteilung der reproduktiven Arbeit, im Haus und in geschlechtsspezifisch wirksamen Beziehungen, in der Auferlegung eines einzigen Familienmodells, in der Privatisierung der Kinderbetreuung fortbesteht. Institutionen sind auch die Menschen, die in ihnen arbeiten.
Noch größer ist die Herausforderung im Kampf gegen Heteronormation für geschlechtliche Dissidenz und in der Eroberung der Gerechtigkeit für das LGBTIQ-Kollektiv.
Um diese hetero-patriarchalen Beziehungen, die der Kapitalismus instrumentalisiert, zu überwinden, ist es notwendig, Zivilgesellschaft und Institutionen zu vernetzen. Die Verantwortung für den sozialen Fortschritt liegt bei beiden, und der eine kann nicht Bremser oder Gegenspieler des anderen sein.
Wir Jugendlichen streben nach Epos, danach, uns selbst als Subjekte der Geschichte zu verstehen, und dieser Protagonismus kann uns nicht abgesprochen werden, er muss in das sozialistische Projekt Kubas passen. Aber um kohärent und vollständig zu sein, darf dieser Protagonismus nicht in der Geste verbleiben, das Ziel muss soziale Gerechtigkeit sein.
Die Revolution muss vollständig sein: feministisch, vielfältig, integrativ, ökologisch und antikapitalistisch.
Die Revolution aus der Revolution heraus aufbauen
Rede von Claudia Flores Villa, "Tángana im Trillo", 29. November 2020
Guten Tag.
Was sich hier wirklich abspielt, hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Es gibt etwas, über das ich mir im Klaren sein möchte, obwohl meine Kollegen es bereits gesagt haben. Ich möchte es ratifizieren und bekräftigen. Wie kam es zu diesem Raum? Ich werde es Ihnen auf eine einfache Art und Weise erklären. Denn als etwas Spontanes wird es auch nicht vollständig erklärt.
Wir sind eine Gruppe von Freunden, denn als Freunde teilen wir gemeinsame Interessen, Interessen, die uns verbinden. Ein Teil dieser Interessen besteht darin, die Revolution aus der Revolution heraus aufzubauen. Eine unserer ersten. Wir hatten viele Ideen zu teilen, und wir wollten, dass diese Ideen aus dem kleinen Raum, der das Wohnzimmer eines jeden von uns war, herauskommen. Wir wollten diesen Moment des Aufruhrs nutzen, in dem viele Menschen ihr Recht auf Verteidigung der Meinung einfordern, in dem jeder die Meinungsfreiheit will. Meinungsfreiheit, die sehr stark mit der Opposition verbunden ist, als wären sie die Einzigen, die sie verdienen. Wenn die Meinungsfreiheit auch verteidigen soll, dass wir Revolutionäre sind, dann sagen wir es, wo es gesagt werden muss. Ohne Angst, dass uns jemand beschuldigt, wir würden gezwungen oder bezahlt, oder dass die UJC (Anm.: kommunistischer Jugendverband) uns auffordert, dies zu tun.
Sie können auch ein Revolutionär sein, weil Sie es fühlen, nicht weil Ihnen jemand sagt, dass Sie einer sein müssen, sondern weil Sie verstehen, wie der Prozess funktioniert, weil Sie sich die Verantwortung dafür zu eigen gemacht haben, weil Sie sich als Teil des Prozesses fühlen und weil Sie das Beste für Ihr Land wollen.
Es stimmt, dass der Anruf spontan erfolgte. Es tut mir sehr leid und ich entschuldige mich bei allen hier, die nicht hier sein wollten. Das ist etwas, das über das hinausgeht, was wir wollten. Unser ursprüngliches Ziel war es, dass jeder, der hier anwesend ist, sich mit dem Aufruf identifiziert und kommen möchte. Es ist jedoch eine sehr große Chance und eine noch größere Verantwortung, dass so viele Menschen uns zuhören, was wir zu sagen haben. Wir wollten einfach unsere Debatte erweitern. Wir wollten, dass sie über die Whatsapp-Gruppe, die Telegramm-Gruppe, hinausgeht. Wir wollen den Dialog. In der Revolution muss es Raum für alle geben, sie muss aus den unterschiedlichsten Kriterien und aus der Auflösung von Widersprüchen aufgebaut werden.
Wir Organisator*innen sind Menschen jeden Alters; aber wir teilen dieselben Kriterien: Wir wollen die Revolution aufbauen, denn eine Revolution ist nicht etwas Statisches, das geschaffen wurde und alles schon gesagt und getan ist. Die Revolution muss jeden Tag aufgebaut werden. Und diese Botschaft wollten wir vermitteln.
Am Ende muss ich improvisieren, da dies nicht mehr das war, was ich erwartet hatte, kann die Rede nicht das sein, was ich vorbereitet hatte. Alles änderte sich. Die ursprüngliche Botschaft, die ich vermitteln wollte, lautete, dass Räume wie dieser genutzt werden müssen, um das Gefühl zu vermitteln, dass die Revolution von uns gebaut wird. Wir Kubaner*innen bauen Kuba auf, ohne dass uns jemand dazu zwingt, ohne dass uns jemand gesagt hat, was wir sagen sollen. Wir müssen authentisch sein.
Wir, die wir hier oben sind, werden nicht von den Institutionen bezahlt, wir werden nicht vom Imperialismus bezahlt. Wir tun das, was wir meinen.
Wir müssen studieren, wir müssen uns für den Prozess engagieren und studieren, uns in der Revolution ausbilden, studieren, was Revolution ist, studieren, was Sozialismus ist, um ihn zu verstehen. Um den Prozess zu verstehen und uns nicht durch einen leeren Diskurs verwirren zu lassen, dass der Sozialismus dies oder jenes ist, dass die Castristas das andere sind. Wir dürfen uns von einem solchen Diskurs, der voller hohler Parolen steckt, nicht beirren lassen. Wir müssen den Prozess verstehen, ihn sich aneignen, uns an ihm beteiligen und wissen, dass wir ihn jeden Tag aufbauen.
Gerade jetzt, mit der Pandemie, zeigen vor allem junge Menschen, dass wir zu vielem fähig sind und zu sehr schönen und spontanen Taten fähig sind. Die ganze Freiwilligenarbeit. Alle Jugendlichen, die sich freiwillig gemeldet haben, um das Land in allem, was nötig ist, zu unterstützen. Diejenigen, die den bedürftigen Menschen in ihren Häusern Lebensmittel brachten, die miterlebten, wie die Familienfürsorgesysteme funktionieren.
Jetzt mit der Pandemie kamen auch viele Probleme in der Gesellschaft ans Licht, viele Menschen, die verletzlich und schutzlos sind angesichts der Trägheit von Einzelpersonen, die die Kontrolle über die Ressourcen haben, die um die SAF herum verwaltet werden. (Anm.: Das Programm "Sistema de Atención a la Familia" wurde 1996 ins Leben gerufen und soll die Ernährung von älteren Erwachsenen, Menschen mit Behinderungen, Risikoschwangeren und kritischen sozialen Fällen ergänzen, die über kein ausreichendes Einkommen verfügen und keine Familienmitglieder haben, die Hilfe leisten können.)
Ich wollte die jungen Leute aufrufen, sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, weiterhin denen zu helfen, die es am meisten brauchen. Es gibt viele Kämpfe zu führen, und es ist gut, dass die Verbindung zu den Gemeinschaften nicht verloren geht.
Was für eine Überraschung! Wir jungen Kubaner*innen sind hier, mit dem Präsidenten unseres Landes. Sie erinnern sich, dass ich ihnen gesagt hatte, dass er unsere Erwartungen übertroffen hat. Aber das übertrifft sie noch mehr. Ich bin gehemmt.
Wir junge Menschen müssen uns fragen, wie wir die Revolution, die wir wollen, aufbauen können, und wir müssen uns die Frage selbst beantworten.
Eines möchte ich jedoch in Bezug auf die Institutionen sagen, in Bezug auf die Institutionalität. Ich möchte, dass Sie verstehen, dass wir jungen Menschen sehr dankbar für die Unterstützung sind, aber es gibt auch einen Moment, in dem wir auf eigenen Füßen stehen müssen, dass wir dazu in der Lage sind, dass unser Leitfaden die Geschichte ist, das Studium der Geschichte. Dass sie uns manchmal handeln lassen müssen und uns auf eigene Faust gehen lassen und vielleicht unsere Hand loslassen müssen. Vertrauen muss sich durchsetzen.
Unseren Sozialismus vertiefen, die Revolution und ihre Organisationen demokratisieren
Auszüge aus der Rede von Raul Escalona, "Tángana im Trillo", 29. November 2020
Wenn im heutigen Kuba ein Recht eingefordert werden muss, dann ist es das Recht auf revolutionäre Spontaneität, wenn in diesen Tagen, in denen so viele Beleidigungen auf diese Tángana herabregneten, ein Recht eingefordert werden muss, dann ist es das Recht auf revolutionäre Aufrichtigkeit, und wenn aus diesen Worten, aus dieser Tat, aus diesem historischen Moment, der uns hilft, eine Pflicht erwächst, dann ist es die Pflicht, unseren Sozialismus zu vertiefen, dann ist es die Pflicht, die Revolution und ihre Organisationen zu demokratisieren. (…)Wir sind hierher gekommen, um das Programm des kubanischen Sozialismus voranzubringen, wir sind hierher gekommen, um von unserem Recht Gebrauch zu machen, die Revolution zu verteidigen, ohne dass sie uns jemand schickt, wir sind hierher gekommen, um unser Herz in Demut zu zeigen und unsere ungeschickten Hände zu öffnen, um die Erfüllung einer Pflicht zu fordern. (..)
Wir sind hierher gekommen, um unsere Pflicht zu erfüllen, den Sozialismus in Kuba aufzubauen: einen ketzerischen Sozialismus, einen Sozialismus, der eine transparente Demokratie vertieft, eine echte Vergesellschaftung der Macht, die Kontrolle des Volkes über die Produktionsmittel, eine solidarische, demokratische und integrative Wirtschaft, die auf Zusammenarbeit beruht. Und um zu zeigen, dass dies keine ausschließliche Pflicht der traditionellen Institutionen der Revolution ist. (..)
(..) wenn die revolutionäre Linke nicht unbestreitbar den Kampf für den sozialistischen Rechtsstaat führt, der vom Volk in der Verfassung von 2019 gebilligt wurde, gibt sie diesen Raum für die Forderungen der Reaktion frei, die diesen Raum instrumentell nutzen wird, um ihr antikommunistisches Programm voranzubringen.
Es ist die Revolution und ihr Prozess des erweiterten Aufbaus der sozialistischen Rechtsstaats, die den Weg zur Lösung dieser Probleme, zur Anleitung der Ausübung bewusster Macht und zur Bildung wahrer, vom liberalen »gesunden Menschenverstand« und stalinistischem Dogmatismus emanzipierter Subjekte beschreiten können.
verwendete Quellen: Cubadebate (www.cubadebate.cu), La Tizza (https://medium.com/la-tiza), Tángana en el Trillo (https://www.facebook.com/TanganaEnElTrillo/)
eigene Übersetzung
Fotos und Videos:
http://www.cubadebate.cu/especiales/2020/11/30/viaje-a-lo-que-viene-fotos-y-video/#.X8YYardCepo
http://www.cubadebate.cu/noticias/2020/11/29/tremenda-tangana-en-el-trillo-fotos-y-videos/#.X8YYYbdCepo