02.11.2016: Die Rechtsentwicklung in Brasilien hat sich vertieft. Nach der verheerenden Niederlage der Arbeiterpartei in der ersten Runde der Kommunalwahlen wurde die Stichwahl am Sonntag (30.10.) erneut zum Debakel für die Linke. Jetzt wird es der brasilianischen Rechten darum gehen, Luiz Inácio Lula da Silva, kurz 'Lula' auszuschalten. Denn trotz Diffamierungskampagnen rechter Medien ist Lulas Popularität bis heute ungebrochen. Bei Umfragen liegt er regelmäßig vor anderen möglichen Bewerbern für die 2018 regulär anstehenden Präsidentschaftswahlen.
Debakel für die Linke
Schon bei der ersten Runde der Kommunalwahlen am 2. Oktober hatte die Arbeiterpartei (PT) der aus dem Amt geputschten Präsidentin Dilma Rousseff eine schwere Niederlage erlitten. Besonders schwer wiegt, dass die PT in den Hauptstädten der Bundesstaaten und Städten mit mehr als 200.000 Stimmberechtigten weiter abgestürzt ist. In diesen 93 Städten, in denen 40 Prozent der brasilianischen Wahlberechtigten leben, liegt nun die PSDB vorn.
Selbst in Porto Alegre hat die PT gegen die rechtskonservative PSDB verloren. Besonders schwerwiegend ist die Niederlage der PT in der Industrieregion Sao Paolo. Dort war die PT im Jahr 1980 im Zuge großer gewerkschaftlicher Streikbewegungen gegründet worden. In ihrer bisherigen Hochburg 'ABC paulista' erreichten die Kandidaten der PT nur in Santo André und Maua die Stichwahl. In Sao Paulo schnitt die PT so schlecht ab wie seit 20 Jahren nicht mehr. Bereits im ersten Wahlgang eroberte der rechtsgerichtete Kandidat das Rathaus.
Im Nordosten, der Hochburg der PT seit Lulas Amtsantritt im Jahr 2002, schaffte es die Partei nur in Recife in den zweiten Wahlgang zu kommen.
Die Stichwahl am 30. Oktober in 57 Städten Brasiliens wurde dann erneut zum Debakel für die PT. Sie konnte kein einziges Rathaus für sich entscheiden, Aber auch weiter links stehende Parteien wie die kommunistische PCdoB oder die Partei für Sozialismus und Freiheit PSOL, die gehofft hatten, von den Verlusten der PT profitieren zu können, konnten nichts hinzu gewinnen. Ebenso wie neue Gruppierungen nach Art der spanischen PODEMOS keinen nennenswerten Zulauf verzeichnen konnten.
In Rio de Janeiro gewann der erzkonservative Politiker und 'Exorzist' Marcelo Crivella mit knapp 60 Prozent der Stimmen vor dem Kandidaten der Linkspartei PSOL, Marcelo Freixo. Der bisherige Senator Crivella ist Bischof der evangelikalen Pfingstkirche Igreja Universal, die ihren Einfluss in der parteiübergreifenden religiösen Fraktion weiter ausbaut.
In Zukunft stellen die PMDB, die Partei von Putsch-Präsident Michel Temer, und die 'sozialdemokratische' PSDB, die den Putsch wesentlich betrieben haben, in 1.028 bzw. 793 der 5.570 brasilianischen Kommunen das Stadtoberhaupt.
Die PT verlor 60% der Bürgermeister, die sie bei der Wahl 2012 gewonnen hatte. Wurden bei den Wahlen vor vier Jahren noch 638 PT-Mitglieder zu Bürgermeistern gewählt, so werden es ab 2017 nur noch 263 sein. Nur noch eine Provinzhauptstadt, Rio Branco im nordwestlichen Bundesstaat Acre, wird von der PT regiert. Dort setzte sich ihr Kandidat Marcus Alexandre bereits im ersten Wahlgang mit 54% der Stimmen durch.
Geringe Wahlbeteiligung und viele ungültige Stimmzettel
Trotz Wahlpflicht lag der Anteil der Nichtwähler mit 21,6 Prozent auf Rekordniveau. In 18 der 50 größten Städte und Gemeinden ist die Summe der Wahlenthaltung und der ungültigen Stimmen höher als die Stimmen, die für einen der Kandidaten abgegeben wurden. Dies trifft auch für die beiden größten Städte São Paulo und Rio de Janeiro zu.
Für den Politologen an der staatlichen Universität von Rio de Janeiro, Geraldo Tadeu Moreira, drückt sich darin die Unzufriedenheit mit der politischen Klasse aus. "Dieses Verhalten steigt seit den beiden zurückliegenden Wahlen 2014 und 2016. Dies ist ein Zeichen der wachsenden Unzufriedenheit mit dem politischen System und mit den ungelösten Problemen, die zu den Straßenprotesten 2013 geführt haben. Wir haben ein politisches System mit sehr geringer Repräsentativität. Die Menschen verlangen ein Bündel von Reformen. Dies ist unleugbar der Grund für das Wahlverhalten", sagte Moreira gegenüber Agencia Brasil.
Auf dem Nachrichtenportal Amerika21 benennt Antonio Martins, Redakteur des Debattenportals Outras Palavras, in dem Artikle 'Das Ergebnis der Kommunalwahlen in Brasilien - eine andere Analyse' Gründe dafür, warum sich die Proteste gegen den "parlamentarischen Putsch" nicht in einem Stimmenzuwachs für die Arbeiterpartei PT ausdrücken. Von der Macht verführt hat sich die (institutionelle) Linke ihren Wählern entfremdet. Die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen hat den Konservativen genutzt.
Kampagne gegen Lula
Diese Entwicklung wir die brasilianische Rechte nutzen, um ihre Kampagne gegen Lula zu verstärken. Obwohl die Vorwürfe an den Haaren herbeigezogen und nicht belegt werden, ist die Gefahr einer Verurteilung Lulas konkret.
Die brasilianische Justiz hat Luiz Inácio Lula da Silva ins Visier genommen. Die Ermittlungsgruppe im Lava-Jato-Korruptionsskandal erhebt hanebüchene Anklagen, die sich nach eigener Aussage "auf Überzeugungen" statt Fakten gründen, und bezeichnete ihn bei einem Medienspektakel als "Oberkommandierenden einer kriminellen Organisation".
Der Grund für diese Kampagne liegt darin, dass Lulas Popularität trotz aller Diffamierungskampagnen rechter Medien bis heute ungebrochen ist. Bei Umfragen liegt er regelmäßig vor anderen möglichen Bewerbern für die 2018 regulär anstehenden Präsidentschaftswahlen. Damit ist er der größte Stein im Weg der Verschwörer, die am 31. August seine Nachfolgerin Dilma Rousseff um ihr Amt brachten und seitdem Brasilien ein Programm des Rückschritts aufzwingen.
Dabei zielen die falschen Anschuldigungen weniger auf die Person Lula, vielmehr, wie Lula selbst sagt, auf "das politische Projekt, für das ich stehe: das eines gerechteren Brasiliens mit Möglichkeiten für alle".
"Alle Angriffe ohne Beweise, basieren nur auf dem einzigen Wunsch, ihn aus dem Wahlkampf für 2018 zu entfernen, weil er - trotz aller Verfolgung – die Umfragen als stärkster Kandidat für die Präsidentschaft von Brasilien bei den bevorstehenden Wahlen mit weitem Abstand anführt", schreibt der brasilianische Journalist Wellington Calasans in einem Kommentar für kommunisten.de.
Lula wird vorgeworfen, von dem großen Mischkonzern Odebrecht bestochen worden zu sein. Ignoriert von Justiz und Medien wird, dass jetzt eine Liste mit mehr als 200 Namen von Politikern aufgetaucht ist, die von Odebrecht bestochen worden sind. Lula ist nicht dabei.